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Eine Bloggerin aus Litauen empfiehlt einen Besuch der Sieggessäule.

© Montage: Tagesspiegel | freepik

Berlin-Tipps aus Litauen: „Eine freie, köstliche Stadt der lauten Stille“

Litauer steigen 285 Treppenstufen, um einer charmanten deutschen Frau Gesellschaft zu leisten. Mit ihren ausgefallenen Worten verleihen sie unserer Hauptstadt einen melancholischen Glanz.

Eine Kolumne von Sönke Matschurek

Man kennt es: Vor einer Reise sucht man im Internet nach authentischen Orten. Viele Menschen, die nach Berlin reisen, wollen das hier auch. Doch wie leicht ist es, den Touri-Hotspots zu entfliehen? Der Tagesspiegel durchforstet Reiseblogs aus der ganzen Welt und wertet aus, was empfohlen und wie die Hauptstadt auf ihnen dargestellt wird.

Bevölkerungsschwach, aber über alle Maßen poetisch: In ganz Litauen leben weniger Menschen als in Berlin, nämlich lediglich 2,8 Millionen. Doch litauische Reiseimpressionen aus der deutschen Bundeshauptstadt lesen sich wie Gedichte und zeichnen das vermeintlich Bekannte in einem surrealistisch-verträumten Pinselschlag.

Die Bloggerin Auguste schwärmt von Berlin als „eine freie, köstliche Stadt der lauten Stille“. Sie beobachtet ein Berliner Nachtleben, in dem viele „wie von Raserei getrieben“ tanzen und über dem „ein Schleier der Dualität“ liegt. Sie streift durch ein „leicht fiebriges Kreuzberg“. Die Berliner Unbeeindruckbarkeit entgeht ihr nicht. „Ein junger Mann, der mitten am Tag mit einer Dose Bier in der Hand auf dem Bürgersteig schläft, überrascht niemanden.“

Mag die Selektion der Sehenswürdigkeiten auch nicht sonderlich originell sein, die Beschreibungen sind es allemal. Am Checkpoint Charlie materialisiert sich die „zerbrechliche Atmosphäre der Ära des Kalten Krieges“. Staunend stehen die Reisenden vor dem 368 Meter hohen „dantų krapštukas“ (dem Zahnstocher) und erklimmen die Siegessäule. „Für ein paar Euro können Sie trainieren und echte Treppen steigen, um einer charmanten deutschen Frau Gesellschaft zu leisten.“

Und ist all die Berliner BVG-Selbstgeißelung womöglich gar nicht gerechtfertigt? „Der öffentliche Nahverkehr in Berlin ist der Stolz der Stadt, selten verspätet und gut geplant“, denken zumindest die Litauer. Die Autorinnen vom Linas Blog beobachtet auf den Straßen teils bewundernd, teils verwundert subversive Handlungen: „Es ist in Berlin wirklich nicht ungewöhnlich, Menschengruppen zu sehen, die über rote Ampeln laufen und Zigarettenstummel auf den Boden werfen, obwohl sie neben Mülltonnen stehen.“

Und weil Stadterkunden hungrig macht, noch schnell ein Schnitzel. Nur ist das kompliziert, denn „der Service wird von einer ostdeutschen Frau erbracht“ – Hertha vielleicht? – „die versucht, alles so schnell wie möglich zu arrangieren und dann vor uns wegzulaufen. Allerdings ist alles möglich“ – wir sind ja immerhin in Berlin – „besonders, wenn du ihr ein paar Komplimente machst.“ Hört sich nach Hertha an, und nach Berlin.

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