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Berlin: Der Tag der Kanzlerkritiker

Auf ihrer 1.-Mai-Demo wetterten Gewerkschafter lautstark gegen Schröders Reform, das Fußvolk tat es leiser. 20000 kamen – oder waren es 8000?

1. MAI: EINER FÜR ALLE

Immerhin – „brennende Schröder-Puppen habe ich noch nicht gesehen“, bemerkte ein langjähriges SPD-Mitglied erleichtert angesichts einer 1.-Mai-Demonstration, die man sich wütender hätte vorstellen können. Die Haltung der Gewerkschaften zu den Reformplänen des Bundeskanzlers ist bekannt, und der Hauptredner auf der 1.-Mai-Kundgebung des DGB griff den „Sozialabbau“ denn auch scharf an. Auf dem Marsch selber jedoch war von Volkszorn gegen die „Agenda 2010“ nicht viel zu spüren.

Da und dort ein handgemaltes Plakat, auf dem ein Ende von Gerhard Schröders „wahnsinnigen Plänen“ gefordert wurde, der Schluss des „Sozialraubbaus“ oder die „Aufhebung des Kündigungsschutzes“ für den Kanzler. Andere – die gewerkschaftsoffiziellen – Transparente vertraten herkömmliche Ziele: „Keine Sparmaßnahmen in Erziehung und Bildung“; „Auch Millionäre sollen Steuern zahlen“; „Wir fordern unsere rechtmäßig erworbene Altersversorgung der Deutschen Reichsbahn“. Das zentrale Motto des DGB war ein lokales: „Schaut auf diese Stadt – macht sie nicht platt! Berlin braucht Arbeit, Bildung, Zukunft“. Ernst und überwiegend schweigend zogen die nach Polizeiangaben 8000, nach Gewerkschaftsangaben 20 000 Demonstranten vom Brandenburger Tor zum Roten Rathaus. Diesmal nicht wie in den Vorjahren und wie irrtümlich im Tagesspiegel angekündigt über die Leipziger Straße, sondern über Wilhelm-, Tor- und Rosenthaler Straße. Vor dem Rathaus warteten die traditionellen Imbiss- und Informationsstände, und es sprach Rolf Steinmann vom Bundesvorstand der IG Bauen- Agrar-Umwelt. Der ging nun tatsächlich mit dem Kanzler und seinen Plänen hart ins Gericht. Das Reformprogramm habe eine „eindeutige Schieflage“, rief Steinmann, es bedeute „keinen Um-, sondern einen Abbau des Sozialstaates“, schaffe keine Arbeitsplätze und entspringe überhaupt der „Gedankenwelt der Neo-Liberalen“. Kurz, die Reformen röchen „nach schlecht gekochtem Kohl“. Gemeint war Schröders Vorgänger von der CDU. In zwei Demonstranten am Rande löste die Rede indes den Wunsch nach einem ganz anderen ehemaligen Politiker aus: „Schröder muss weg – Oskar muss her!“ skandierten sie lauthals. Ihrem Ruf schloss sich keiner an.

Holger Wild

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