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Berlin: Hauptmänner, Helden und Heiler

Sie hüllen sich in weiße Kittel und machen auf Ärzte, erschwindeln sich lukrative Eheschließungen, oder erschleichen sich gar eine Königskrone. Die Großstadt ist seit jeher das Revier der Hochstapler.

Sie hüllen sich in weiße Kittel und machen auf Ärzte, erschwindeln sich lukrative Eheschließungen, oder erschleichen sich gar eine Königskrone. Die Großstadt ist seit jeher das Revier der Hochstapler. Den Verbrecher ziehe es „mit Vorliebe“ nach Berlin, notierte schon Magnus Hirschfeld um 1910, „weil er hier nach dem Gesetz der Mimikry am längsten unerkannt leben kann“. Daran hat sich wenig geändert, glaubt man Norbert Gunkel, dem Sprecher der Berliner Polizei: „Die ganze Stadt ist voll von Hochstaplern“, sagt er und fügt ironisch hinzu: „Und die meisten haben eine reine Weste.“

Berlins berühmtester Hochstapler bleibt der Schumachergeselle Wilhelm Voigt, der 1906 als Hauptmann verkleidet eine Militäreskorte unter sein Kommando brachte und mit ihr das Rathaus von Köpenick besetzte, um die Stadtkasse zu konfiszieren. Als „Hauptmann von Köpenick“ machte er den preußischen Militarismus und die Uniformgläubigkeit vor aller Welt zum Gespött.

Auf eine ähnliche Tour führte auch der Schifferknecht Emil Blumenau seine Zeitgenossen gegen Ende des Ersten Weltkrieges an der Nase herum. Der 19-Jährige gab sich als Fliegeroffizier Graf Bodo von Blumenau aus und erschwindelte sich mit Prahlereien über seine Luftkämpfe Kredite in Berliner Hotels, aber auch Schmuck und Wertsachen.

Zum gekrönten Haupt der Hochstapler wurde der Berliner Schausteller Otto Witte . Der Schwertschlucker, Zauberer und Raubtierbändiger reiste in einer Fantasie-Uniform verkleidet nach Albanien, gab sich als türkischer Prinz aus und wurde 1913 zum König von Albanien gekrönt. Als der Schwindel aufflog, floh er zurück nach Berlin.

Als falscher Arzt erleichterte Berlins jüngster Hochstapler seine Opfer um Bargeld. Der 16-jährige entflohene Fürsorgezögling Willy Hinze lockte 1927 Ärzte aus der Wohnung, um sich anschließend bei der Ehefrau oder dem Dienstmädchen Geld abzuholen. Beim Anruf eines Arztes in der Heerstraße hatte er sich als Dr. E. ausgegeben und den Mediziner zu einem Notfall gerufen. Als der Arzt das Haus verlassen hatte, rief der 16-Jährige erneut an und erklärte der Gattin, dass ihr Mann von einem Auto überfahren und getötet worden sei. Die Frau stürzte zur Unfallstelle. Kurz darauf klingelte Hintze beim Dienstmädchen und sagte ihr, der Überfahrene gebe noch Lebenszeichen von sich und forderte 150 Mark für die Anschaffung dringend benötigter Medikamente.

Auch der Postbote Gerd Postel , der als falscher Arzt sein Unwesen trieb, machte Station in Berlin. 1993 kam Postel als Patient in die Psychiatrische Klinik der Charité. Ohne jemals Medizin studiert zu haben, arbeitete er danach unter anderem als „Dr. Dr. Clemens von Bartholdy“ an mehreren Kliniken, trat als Gutachter auf und war als Oberarzt eines psychiatrischen Krankenhauses sogar für den Maßregelvollzug zuständig. 1999 wurde er wegen Betruges in 37 Fällen zu vier Jahren Haft verurteilt. Stephan Wiehler

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