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Berlin: Post von der Kasse: „Zahl endlich Du scheiss Kanake“

Am Mahnschreiben der Krankenversicherung an einen türkischen Friseur steckte eine anonyme Drohung – jetzt ermittelt ein Graphologe

Saim Tufan ist noch immer fassungslos. „So etwas ist mir in den ganzen 23 Jahren, die ich hier lebe, noch nie passiert“, sagt der 38-Jährige. Nicht ein einziges Mal habe er Ärger mit einem Deutschen gehabt oder fühlte sich hierzulande aufgrund seiner Abstammung diskriminiert. Seit ein paar Tagen ist das anders.

Am Mittwoch, dem 8. Januar veränderte ein Mahnschreiben der Innungskrankenkasse (IKK) des Leben des Türken. Denn an den offiziellen, maschinell erstellten Brief war mit einer Büroklammer an den rechten oberen Rand ein kleiner Zettel geheftet, und auf dem stand, mit der Hand und nicht ganz fehlerfrei geschrieben: „Zahl endlich Du scheiss Kanake, sonst schneiden wir Dir Deinen Schwanz ab“.

„Ich will wissen, wer das war“, sagt Saim Tufan. Zum Gespräch bringt er Kopien mit, die Originale hat sein Anwalt. Die Innungskrankenkasse nimmt den Fall offenbar ernst: Sie ermittelt unter ihren Mitarbeitern.

An jenem Mittwoch war Saim Tufan gegen Mittag in das Friseurgeschäft seiner Frau in Reinickendorf gekommen. „Uns ist so etwas noch nie passiert“, sagt auch sie. Ihr Ehemann wollte nach dem Rechten schauen, weil sie an diesem Tag in ihrem zweiten Geschäft gearbeitet hat. Deshalb öffnete Saim Tufan den Brief, obwohl er an die Ehefrau adressiert war. Dass „Nazan“ ein türkischer Frauenname ist, scheint der Schreiber nicht gewusst zu haben.

Zwei Mitarbeiterinnen bekamen mit, wie Tufan den Brief öffnete. Eine von ihnen schaffte es schließlich, ihn zu beruhigen. Tufan schaute gleich nach, ob der selbstklebende Umschlag schon einmal geöffnet worden war. Dann legte er ihn zu Seite, um eventuelle Fingerabdrücke nicht zu verwischen. Schließlich rief er die Verfasserin der Rechnung in der IKK-Filiale in der Keithstraße in Schöneberg an. Doch die versicherte hoch und heilig, dass sie den Zettel nicht geschrieben hat.

„Ein wutentbrannter Herr Tufan rief dort an und schimpfte ins Telefon“, bestätigt Gisela Köhler in der IKK–Zentrale in Potsdam-Babelsberg. Und: „Wir sind kollektiv betroffen.“

Als sie von dem Fall erfuhr, habe sie zunächst an „brutale Inkassomethoden scheinbar seriöser Unternehmen“ gedacht, von denen manchmal zu hören sei. Als sie jedoch das Konto der Geschäftsinhaberin überprüft hatte, fiel sie aus allen Wolken: „Der Rückstand ist eine Bagatelle“, sagt sie.

Genau gesagt ist Frau Tufan mit 69 Euro und 20 Cent im Rückstand, plus zwei Euro Säumniszuschlag und Mahngebühr. Die Kasse für die Handwerksberufe reagierte sofort mit einem Entschuldigungsschreiben: „Sie können sicher sein, dass wir gegen einen möglichen Verfasser dieses Zettels aus den Reihen der IKK-Mitarbeiter strafrechtlich vorgehen werden.“

Die IKK hat mittlerweile einen Graphologen beauftragt, Schriftproben von fünf Mitarbeitern zu vergleichen, die die Rechnung an diesem Tag in der Hand gehabt haben. „Sonst haben die Ergebnisse unserer Recherchen vor Gericht keinen Bestand“, sagt Gisela Köhler. Bis Ende des Monats sollen sie vorliegen. Die Kasse wollte sogar eine Anzeige gegen Unbekannt stellen, doch als Beschuldigte kann sie das nicht.

Anzeige gegen Unbekannt hat aber der Anwalt von Saim Tufan gestellt, jetzt liegt der Fall beim Staatsanwalt. „Wenn die Menschen sich beschimpfen lassen und das schlucken, werden sie krank“, sagt Tufan.

Suzan Gülfirat

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