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Berlin: Schauspielend Deutsch lernen

An der Erika-Mann-Grundschule stammen 80 Prozent der Kinder aus Ausländerfamilien. Sie sollen Theater spielen.

Von Susanne Vieth-Entus

Schulen machen sich fit für die Zukunft - und der Tagesspiegel ist dabei. Nach dem schlechten Abschneiden Berlins bei der Pisa-Studie stellen wir Schulen vor, die Reformen von sich aus angestoßen haben.

Die Schule. Wer sich dem hellen Altbau der Erika-Mann-Grundschule in der Utrechter Straße nähert, merkt schnell, dass er mittendrin ist im schwierigen Weddinger Kiez: Männer stehen auf der Straße herum. Weit und breit kein geschäftiges Treiben. Hier hat jeder zweite Bewohner keine Arbeit.

Genauso sah es hier auch schon aus, als die Schule 1996 gegründet wurde. Das Kollegium wusste, was es erwartete: 80 Prozent Kinder nichtdeutscher Herkunft, 70 Prozent mit Eltern, die keinen Beruf gelernt haben. Auch die wenigen deutschen Familien sind zumeist sozial ganz unten angekommen. Deshalb stand von Anfang an fest, dass dies hier keine „normale“ Schule werden könnte, die ihre Kinder nur von 8 bis 12 Uhr nach herkömmlicher Art betreut und dann wieder ihrem Schicksal überlässt.

In der ganzen Bundesrepublik suchten Schulleiterin Karin Babbe und ihre Kollegen nach Impulsen für ihre neue Schule – und gelten bereits jetzt als Vorbild für andere Schulen, die unter ähnlich schwierigen Bedingungen arbeiten. Die Phalanx der Bewunderer und Unterstützer reicht von Bildungssenator Klaus Böger (SPD) bis hin zu den vielen Eltern, die hier ihre Kinder anmelden. Inzwischen ist die Schülerzahl auf 420 gestiegen, um die sich 30 Lehrer, drei Sonderpädagogen und drei Erzieher kümmern.

Das Besondere. Die Erika-Mann-Grundschule ist auf dem Weg zum „Kinderkiezzentrum“. Ziel ist es, jedem Kind so viel Förderung und Betreuung zukommen zu lassen, wie es aufgrund seiner individuellen und familiären Situation braucht – also „bedarfsgerecht“ zu betreuen.

Schon jetzt ist die Schule von 7.30 bis 14.30 Uhr für die Kinder offen. Erzieher sind in die schulischen Abläufe integriert. Dreimal pro Woche kann man sogar bis 16 Uhr kreativ sein: Da kommen Werkzeugmeister und Maler als ABM-Kräfte, um mit den Schülern zu arbeiten. Zusätzlich macht sich das Kollegium dafür stark, in die Reihe der neuen Ganztagsschulen aufgenommen zu werden, die im kommenden Schuljahr genehmigt werden. Wenn das gelingt und darüberhinaus noch die Kooperation mit den benachbarten Horten und Schülerläden weiter ausgebaut wird, soll ein Gebilde entstehen, dass den n „Kinderkiezzentrum“ wirklich verdient.

Aber schon jetzt ist die Erika-Mann- Grundschule etwas völlig anderes als eine einfache „verlässliche Halbtagsschule“. Sie ist zum Beispiel Berlins erste „theaterbetonte Grundschule“ und hat bereits zwei Nachahmer gefunden. Theaterbetont heißt unter anderem, dass alle Klassen eine zusätzliche Stunde Unterricht haben, in der sie sich dem Theaterspiel widmen. Unter der Anleitung von Theaterpädagogen wird nicht stur Rollentext auswendig gelernt, sondern in erster Linie improvisiert. Und das ist viel für die Kinder im Leopold-Kiez. „Es sind Kinder, die kaum Bewegung hatten. Kinder, die weder Deutsch noch ihre Muttersprache richtig beherrschen“, beschreibt Karin Babbe die Ausgangslage. Und sie berichtet von „Löchern in der grammatischen Festplatte“. Soll heißen: Es gibt wenig, worauf man aufbauen kann. Aber das Wenige wird voll genutzt. Denn Karin Babbe ist nicht bereit, bei diesen Kindern ihren Bildungsanspruch aufzugeben. So hat sich die Schule auch den Namen der Tochter von Thomas Mann gegeben, die Kinderbuchautorin war, Kabarettistin, Schauspielerin und Weltbürgerin.

Beim Deutschlernen wird nichts dem Zufall überlassen. Zu Karin Babbes vielfältigen Aktivitäten gehört deshalb auch, dass sie dem Berliner Beirat des Fachs „Deutsch als Zweitsprache“ vorsitzt. Hier werden neue Lernmaterialien erarbeitet und Methoden ausprobiert. Jetzt läuft auch noch ein Antrag auf Genehmigung einer zweijährigen Vorschulklasse. „Wir entlassen sehr viele Kinder mit Realschul- oder Gymnasialempfehlung – das zeigt, dass wir ganz gute Arbeit machen“, resümiert der stelllvertretende Schulleiter Klaus Gröger.

Und auch sonst passiert noch eine ganze Menge hinter den alten Mauern in der Utrechter Straße. So sind gerade Studenten der Technischen Universität dabei, die Flure mit Fabelwesen vollzustellen. Sie orientieren sich an Collagen der Kinder zum Thema „meine Traumschule“. Und dann gibt es die Aktion „Gesundes Frühstück“: Die Siegerklasse, also die mit den meisten Möhren, Äpfeln und Vollkornscheiben, wird sich mit hochkarätigen Sportlern treffen.

Eltern und Schüler. „Das Konzept fördert alle Kinder, nicht nur die leistungsschwachen“, lobt Ortrud Simon, deren zwei Kinder die Mann-Schule besuchen. Sie hat sich bewusst für die Schule entschieden und wäre aus Wedding weggezogen, wenn sie hier keinen Platz bekommen hätte. Denn die Schule biete nicht nur einen guten leistungsdifferenzierten Unterricht, sondern stärke auch das Selbstbewusstsein der Kinder durch das Theaterspiel. Ihre Tochter Franziska findet nur eines an ihrer Schule bedauernswert: „Warum darf ich hier nur sechs Jahre bleiben?“

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