zum Hauptinhalt

Berlin: Tausendundein Tinnef

Türkischer Kitsch kommt aus der Mode, meldet die Zeitung Hürriyet. Seyfullah Arslan lebt vom Geschäft mit buntem Krimskrams – und will sich trotzdem nicht beklagen

Man beachte den Tautropfen. Er scheint morgenfrisch die blaue Blume hinunterzugleiten. Wäre er nicht aus Kunststoff, die Blütenblätter aus Nylon und alles zusammen in Zellophanfolie eingewickelt. So liegen die Kunstblumen in prächtigen Farben gestapelt in Seyfullah Arslans Laden in der Potsdamer Straße 150 in Schöneberg. „Ebru Export“ heißt sein Geschäft. Seit fünf Jahren handelt Arslan hier mit Geschenkartikeln, Textilien, Spielzeugen und Haushaltswaren – so steht es auf seiner Visitenkarte.

Kitsch, Staubfänger, Tinnef nennen viele das, was der 47-jährige Geschäftsmann feilbietet: elektrisch betriebene, illuminierte Kakteen, die sich obendrein drehen, goldumrandete Teegläser-Sets, maschinengehäkelte Spitzendeckchen aus 100 Prozent Polyester in einer Farbpalette von weiß über Mauve bis Apricot…

Erst kürzlich war in der Tagesspiegel-Rubrik „Gazeteler Rückblick“ unter dem Titel „Abkehr vom Heimatkitsch“ von einer Krise der Branche zu lesen: Die türkische Zeitung „Hürriyet“ hatte berichtet, die junge türkische Generation habe ein Geschmacksproblem mit dem bunten Glitzerkram der Elterngeneration, die „Import-Export“-Laden-Besitzer klagten über Absatzprobleme. Und wie sieht Seyfullah Arslan das? „Alle sagen: ,Wer kauft denn so etwas?‘“, erzählt der Geschäftsmann und grinst. „Aber bei mir kaufen auch viele Deutsche, das wissen die wenigsten.“ Absatzprobleme? Ja, die habe er. Aber nicht etwa, weil die jungen Türken als Abnehmer fern blieben. Der Markt sei einfach am Ende. „Alle arbeitslos, die Geschäfte laufen insgesamt schlecht.“ Aber momentan falle für ihn immer noch genug ab, um über die Runden zu kommen.

Die jungen Türken seien nicht das Problem. Die meisten lebten ja bei ihren Eltern, bis sie heiraten. „Neulich erst hatte ich ein Brautpaar hier. Die haben sich Grundausstattungen gekauft“: Ein Bettwäsche-Set bestehend aus einer gesteppten Überdecke, vornehmlich mit roséfarbenen Blumen bedruckt, Laken, Kopfkissen- und Bettbezug. Dazu Badehandtücher mit Spitzenhäkeleien sowie ein Kochtöpfe-Set. „Viele meiner Waren gibt es genauso bei Woolworth oder in anderen deutschen Läden“, sagt Arslan. Die meisten Produkte werden in China angefertigt und über türkische Großhändler vertrieben.

Ein Mittvierziger betritt den Laden. Er spricht weder Deutsch noch Türkisch. „Wahrscheinlich Russe“, sagt Arslan. Der Mann deutet auf eine Plexiglas-Uhr, an der sich aufgeklebte Plastik-Elefanten-Figuren entlang hangeln – und kauft sie für 20 Euro.

Arslan, Vater von zwei erwachsenen Töchtern, lebt seit 29 Jahren in Berlin. Er ist damals zum Germanistik-Studium an der Technischen Universität in die Stadt gekommen. „Aber ich habe mich nach dem Grundstudium selbstständig gemacht“, sagt er. Türkische Videofilme und Musikkassetten hat er verkauft und ausgeliehen. Die Geschäfte liefen damals gut mit Heimatfilmen und ihren Stars wie Türkan Soray, die türkische Sophia Loren, oder Kadir Inanir, dem anatolischen Alain Delon. Später ist Arslan dann auf „Import-Export“ umgestiegen. Den Laden führt Arslan ganz alleine. Wenn er mal Pause macht oder einen Termin hat, springt sein Schwager ein. Angestellte braucht er nicht. Er wisse in seinem bis an die Decke vollgestopften Laden ohnehin als einziger, wie die „1001 Waren“ sortiert sind. Und überhaupt, die meisten Kunden würden eh sofort den „Chef“ verlangen, wenn mal jemand anderes hinterm Tresen steht.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false