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© dpa / Horst Ossinger dpa

„Hans Meiser“ und die Folgen: Total normal

Vor 30 Jahren begann mit Hans Meiser die Ära der Nachmittagstalkshows in Deutschland. Dann kamen irgendwann Twitter, Facebook & Co.

Fernsehgeschichte wird ja immer schnell geschrieben, aber der 14. September 1992 war in dieser Hinsicht schon ein besonderes Datum. Da trat am Nachmittag beim Kölner Privatsender RTL ein Moderator, Mitte 40 mit schon recht grau meliertem Haar, in Erscheinung, der ganz normale Menschen an das Talkpult bat.

Hans Meister sollte achteinhalb Jahre lang im Nachmittagsprogramm die nach ihm benannte Talkshow präsentieren. Und nicht nur das: Sein Format begründete ein Genre, das in der nächsten Dekade sehr erfolgreich durch die Fernsehnachmittage geisterte.

Der große Erfolg dieser Sendung, in Spitzenzeiten hatte sie über 40 Prozent Marktanteil, führte zu einer Flut von Talkshows im Nachmittagsprogramm mehrerer deutscher Fernsehsender, bis hin zu ARD und ZDF. Nach eigenen Angaben brachte Hans Meiser erstmals ganz normale Menschen ins Fernsehen. Man muss bedenken, damals gab es noch kein Twitter, Facebook, Instagram. Wo sollten Alltagsbesorgnisse und jedermanns Befindlichkeiten sonst hin?

„Ich bin stolz, eine Schlampe zu sein.“

Es gab da plötzlich interessante, scheinbar echte Auseinandersetzungen im Fernsehen, wo vorher US-Serien liefen. Ein Mensch betrat die Bühne eines TV-Studios und präsentierte eine steile These, etwa: „Ich bin stolz, eine Schlampe zu sein.“ Woraufhin ein weiterer unbekannter Mensch aus der Kulisse trat, der anderer Meinung war („Ich kann Schlampen eigentlich nicht leiden“). Der Konflikt glitt schnell ins Emotionale ab. Mittlerweile können daraus Shitstorms werden.

Meiser, heute 76, und seine Gäste blieben nicht lange alleine. So oder so ähnlich funktionierten die täglichen Talkshows am Mittag, die von 1992 an einen zehnjährigen Boom erlebten. Und sie sind offenbar nicht totzukriegen. Sat1 arbeitet gerade an einer Wiederkehr des Daily Talks. Britt Hagedorn, 50, soll vom 24. Oktober an wieder werktäglich talken. Angekündigt sind Schlagabtausche zu „Tattoosucht – du siehst aus wie Karneval!“ und „Spätes Mutterglück – ist das dein Enkel?“. Das kommt bekannt vor.

Der Vorteil des Talk-Türöffners Meiser war, dass er seinen Ruf als arrivierter Nachrichtenmann in die Waagschale werfen konnte. Neu war an dem Format nämlich fast alles für damalige Sehgewohnheiten. Es sprachen Menschen, die keine Promis waren. Es wurde werktäglich gesendet.

Kein Thema war den Diskutanten fremd. „Wir waren die Ersten, die dem normalen kleinen Mann auf der Straße eine Stimme gegeben haben. Und ich glaube, das war der Erfolg der Sendung“, sagt Meiser heute. Wobei es am Anfang gar nicht mal so gut gelaufen sei. „Wir hatten quasi keine messbare Quote. So die ersten vier, fünf Wochen, da waren wir gar nicht existent.“ Das habe sich bald geändert. „Zu Spitzenzeiten schauten drei bis fünf Millionen Menschen zu.“

Die Konkurrenz zog nach. Mehr als 20 Daily-Talk-Formate wurden zwischen 1992 und 2003 ausgestrahlt. Der Höhepunkt war 1998 erreicht: Mehr als 14 Millionen Menschen schauten täglich rein bei Ilona Christen (RTL), Arabella Kiesbauer (ProSieben), Vera Int-Veen (Sat1), Bärbel Schäfer (RTL), Sonja Zietlow (Sat 1), Andreas Türck (ProSieben), Oliver Geissen (RTL), Britt Hagedorn (Sat1) oder gar Pastor Jürgen Fliege im Ersten.

Die Shows waren nach Angaben der Bundeszentrale für politische Bildung relativ günstig zu produzieren und „lebten von den Effekten und Affekten“. „In ihrer Vermittlung sachlicher Informationen“ seien sie „als eher gering“ eingeschätzt worden, so die Analyse. Vielmehr hätten sie viele Zuschauer als unterhaltende „Freakshow“ rezipiert.

Der Daily-Talk-Boom ebbte Anfang der Nullerjahre ab. Es begann die Ära eines neuen Genres, der Gerichtsshows. Vielleicht hat das dann eben doch mit dem Aufzug von Social Media zu tun, wo gänzlich anders Intimität verhandelt werden kann – der Stimme des Volkes. mit dpa

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