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Nach George Floyds Tod und dem Aufschwung der „Black Lives Matter“-Bewegung im Jahr 2020 hatte ich, wie viele andere People of Color auch, Hoffnung auf eine Gesellschaft, die sich kritisch mit Rassismus auseinandersetzt.

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Rassistische Fragen im Alltag: Ich habe keine Dschungel-Geschichten für euch!

Weiße Menschen erhoffen sich von unserer Autorin aufregende Geschichten über ferne Länder – die sie weder erzählen kann noch will. Haben die „Black Lives Matter“-Proteste wirklich so wenig bewirkt?

Ein Kommentar von Anna Ruhland

Wilde Tiere in Regenwäldern, rhythmische Trommeln auf bunten Festen, ich, umgeben von meiner Schwarzen Großfamilie – das ist das Bild von Afrika, das ich als Kind zeichnete, wenn mich jemand fragte, woher ich komme. Alles Märchen. Ich habe gelogen, weil ich Druck verspürte, weißen Menschen das zu geben, was sie sich wünschten. Sie sollten sich freuen.

Heute will ich das nicht mehr. Und es macht mich traurig und wütend zugleich, dass ich diese Frage jetzt nicht seltener beantworten muss als damals. Nach George Floyds Tod und dem Aufschwung der „Black Lives Matter“-Bewegung im Jahr 2020 hatte ich, wie viele andere Schwarze Menschen auch, Hoffnung auf eine Gesellschaft, die sich kritisch mit Rassismus auseinandersetzt.

Obwohl der Mord an Floyd alles andere als ein Einzelfall ist, schien vielen weißen Menschen zu diesem Zeitpunkt das erste Mal bewusst zu werden, dass es so etwas wie Rassismus gibt. Dass die Diskriminierung Schwarzer Menschen kein Relikt der Vergangenheit, sondern für viele Menschen tägliche Realität ist. Und dass man eventuell etwas dagegen tun sollte. Doch so schnell dieser anfängliche Enthusiasmus aufkam, so schnell ebbte er auch wieder ab.

Ich, Deutsche und ohne Verbindung zu meinen afrikanischen Wurzeln, passe nicht in ihr Klischeebild einer Schwarzen Frau. 

Anna Ruhland

„Ich lebe schon lange in Berlin, aufgewachsen bin ich in Bayern“ – das ist meine Standardantwort, wenn ich lange genug bearbeitet worden bin. „Meine Mutter ist weiß, mein Vater Schwarz. Ich weiß nicht genau, woher er kommt, ich habe ihn nie kennengelernt.“ Ich blicke in enttäuschte Gesichter. Das ist nicht, was viele hören wollen, wenn sie mir die offenbar unvermeidliche „Woher kommst du?“-Frage stellen.

In vielen Situationen müssen Schwarze Deutsche sich die „Woher kommst du“-Frage anhören.

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Diese Erfahrung mache ich immer wieder aufs Neue: Weiße Menschen betrachten mich als „anders“ und „exotisch“, sie erhoffen sich aufregende Geschichten über ferne Länder und Kulturen. Geschichten, die ich nicht erzählen, Erwartungen, die ich nicht erfüllen kann. Ich, Deutsche und ohne Verbindung zu meinen afrikanischen Wurzeln, passe nicht in ihr Klischeebild einer Schwarzen Frau.

Auch heute, drei Jahre nach George Floyds Ermordung, ist Rassismus der Grund dafür, dass täglich Menschen sterben, leiden, ungerecht behandelt werden oder sich enttäuschte Gesichter ansehen müssen, wenn sie Weißen keine Freude mit ihren Geschichten aus dem „Dschungel“ machen können.

Dem Thema Rassismus wieder weniger Beachtung zu schenken, ist ein Privileg. Ein Privileg, das Schwarze Menschen nicht haben. Am Frustrierendsten ist: Egal, wie sehr wir für unsere Gleichstellung kämpfen, wir brauchen weiße Menschen, denen dieser Kampf mindestens genauso wichtig ist wie uns, um irgendwann in einer Welt ohne Rassismus leben zu können.

Wenn das unser gemeinsames Ziel ist, können es sich einige Menschen am allerwenigstens leisten, das Rassismus-Problem wieder in den Hintergrund rücken zu lassen: Weiße. 

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