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Regt die Fantasie an: Ausstellung „Untangling the Strands“ mit dem gleichnamigen Gemälde der Künstlerin Simone Haack.

© SCS Bildarchiv Berlin, VG Bild-Kunst 2024

Abguss-Sammlung Antiker Plastik: Haare, die mehr wollen als schick aussehen

Die Berlinerin Simone Haack malt Haare, die sich nicht zähmen lassen und kombiniert ihre Gemälde mit den Abgüssen antiker Skulpturen.

Von Sebastian Strenger

Es sind nicht einfach Haare. Simone Haacks gemalte Haarlandschaften sind eigene Körper, neugierige Wesen, Geschichten. Mit „Untangling the Strands“ zeigt die für ihren Neuen Magischen Realismus bekannte Künstlerin ihre Bilder im phantasiereichen Dialog mit antiker griechisch-römischer Skulptur.

Die metaphorische Darstellung ihrer Gemälde trifft auf die Symbole gesellschaftlicher Zwänge der Antike. Die Meisterschülerin von Karin Kneffel und Katharina Grosse an der Hochschule für Künste in Bremen verwandelt Bilder in kraftvolle Symbole der Transformation. Das Haar entwickelt ein Eigenleben.

„Entwirren der Stähnen“ nennt sie ihre Einzelausstellung in der Abguss-Sammlung Antiker Plastik, mit der sie nach ihrer Überblicksausstellung „Hair“ im Museum Engen die Beschäftigung mit dem Thema fortsetzt. Das Haar als einer der wildesten Teile des menschlichen Körpers nimmt jede Nacht wieder eine eigene Form an. Die in Form gebrachten Frisuren der Abgüsse der Antike zeugen von dem Wunsch, sich gegen die Wildheit des Haares zu stellen. Das reicht bis zur Überstilisierung des Haares zum Zweck der Entfremdung der eigenen Person.

Schöpfe für den schönen Schein

Die zuletzt mit dem Willi Oltmanns-Preis für Malerei ausgezeichnete Künstlerin überschreitet die Grenze der Frisur. Die Besucher fragen sich: Was passiert, wenn sich das Haar verselbständigt, wenn es Besitz ergreift von Köpfen und Dingen, wenn es gar selbst Körper werden will? Viele der neueren Arbeiten der in Berlin lebenden und arbeitenden Künstlerin sind Haar-Körperbilder. Das Haar lässt das Gesicht im Dunkeln, formt stattdessen einen eigenen Körper.

Die Gipsabgüsse in der Berliner Abguss-Sammlung gehören einem eigenen Bildgenre der Wissenschafts- und Sammlungsgeschichte an. Es sind Duplikate, die ihrem Original sehr nahestehen und dennoch eine eigene Textur haben, die eine Verwechslung mit dem Original unmöglich machen. Sie sind Simulacra von Dingen, die ihnen ähnlich, mit denen sie aber nicht identisch sind. Auch in den Bildern von Simone Haack begegnet man Phänomenen des Simulacrums. Menschen, Körper und eben auch das Haar suggerieren Ähnlichkeit, sind aber in ihrer Realität nur scheinbar, ein Produkt der Fantasie.

Abgüsse von antiken Skulpturen sind zwar keine Fantasien über ihr Original, aber das Original stellt häufig eine Fantasie über die Wirklichkeit dar, ganz so wie die Bilder der 46-jährigen Künstlerin. In ihrer Malerei legt sie symbolhaft die Fragilität des menschlichen Wesens offen.

Ihre Werke erzählen von den Spannungen physischer und psychischer Existenz, die bei ihr die malerische Psychoanalyse durchlaufen. Das Credo dieser Malerei: mit den Mitteln des Realismus arbeiten, aber keine Realität abbilden. Die Bilder von Simone Haack sind derzeit auch in weiteren Ausstellungen zu sehen, etwa in den Hamburger Deichtorhallen in „Dix und die Gegenwart“ oder in der Ausstellung „Dissonance. Platform Germany“ in der Stadtgalerie Kiel.

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