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Der Perkussionist und Schlagzeuger Kahil El’Zabar beim Auftritt im Festsaal Kreuzberg.

© EIKE WALKENHORST

Abschluss des Xjazz-Festivals in Berlin: Kahil El’Zabar beschwört die heilende Weisheit der Ahnen

Das Ethnic Heritage Ensemble des Schlagzeugers und Perkussionisten Kahil El’Zabar feiert derzeit sein 50-jähriges Bestehen. Beim XJazz-Festival zeigt das Quartett, wie nah am Puls der Zeit es liegt.

„Can you find that place“, raunt Kahil El’Zabar dem Publikum mit schmerzverzerrtem Gesicht zu, „where there is peace and happiness in this world right now?“. Fast schon prophetisch wirkt der langgewachsene Schlagzeuger und Perkussionist auf der Bühne im Festsaal Kreuzberg, während er das fragt.

Er zupft mit beiden Daumen an einer elektrisch verstärkten Kalimba, gibt dazu den Takt mit einem Schellenkranz an, den er an seinem rechten Stiefel befestigt hat, und besingt jene Frage, immer und immer wieder.

Zu seiner Linken steht Baritonsaxofonist Alex Harding, zu seiner Rechten Trompeter Corey Wilkes, und beide bilden mit ihren verschmolzenen Linien das melodische Rückgrat dieser unüblichen Gruppierung, die in verschiedensten Besetzungen das seit 50 Jahren bestehende Ethnic Heritage Ensemble von El’Zabar bildet.

Komplettiert wird es an diesem Abend von Ishmael Ali am Cello, der das Streichinstrument jedoch meist zupft und ihm dabei Töne wie aus dem mittleren Register einer Bassgitarre entlockt.

Die Musik des Altmeisters aus Chicago, der singt und an Cajon, Schlagzeug und Kalimba zu hören ist, ist hochgradig spirituell– das spüren alle, die am Sonntagabend dem Finale des einwöchigen Xjazz-Festivals in Berlin lauschen. Während eines Cajon-Solos verleiben sich die basslastigen Schlägen, die aus der Holzbox dröhnen, die einsilbigen Phrasen des Perkussionisten ein, die er ins Mikrofon stöhnt, und dabei scheint El’Zabar wie in einer Trance gefangen.

Gleichgültigkeit ist unmöglich

Es wirkt, als ob nicht er sein Instrument spiele, sondern die Musik durch ihn fließt und sich im Instrument verwirklicht, er dabei zum Medium einer Musikgeschichte wird, die gleichermaßen Avantgarde sowie Pop und Blues-Tradition miteinander vereinbart.

Bei einem Talk während des Xjazz-Festivals 2023 hat El-Zabar die Rolle Chicagos in seiner Ausbildung erläutert. Als junger Schlagzeuger spielte er in den 1970ern zu den unterschiedlichsten Anlässen: Tanzveranstaltungen, Bar Mitzwas, Free Jazz-Konzerte, und vieles mehr.

Speerspitzen der Avantgarde wie die Association for the Advancement of Creative Musicians – kurz AACM – bildeten dabei Kollektive, die nicht nur die experimentellen Künstlerinnen und Künstler förderten. Pop und „ernste“ Musik waren in Chicago eng verzweigt. So hatte Phil Cohran – einst Trompeter im Sun Ra Arkestra und Mitgebründer des AACM – neben ihm, wie El’Zabar erzählt, noch einen weiteren prominenten Kalimba-Schüler: Maurice White, der Jahre später mit Earth Wind & Fire einer der erfolgreichsten Bands aller Zeiten gründen sollte.

Kollektive Improvisation

El’Zabar und seine Mitmusiker fordern von ihem Publikum Aufmerksamkeit ein. Man muss nicht mögen, was da erklingt, aber man kann sich nicht gleichgültig verhalten. Dafür tragen die zehn- bis fünfzehnminütigen Darbietungen zu viel Bedeutung. Und während sich viele der jüngeren Acts beim XJazz-Festival auch dieses Jahr mit einer aufbrausenden Energie präsentieren und ständig auf dem Gaspedal stehen, spielt das Quartett von El’Zabar mit der Stille, füllt und leer den klanglichen Raum immer wieder, arbeitet mit Dynamik wie kaum ein anderes Ensemble, das das Festival zu Gast hat.

Jüngst ist das Album „Open Me, A Higher Consciousness Of Sound And Spirit“ erschienen, das der 70-Jährige mit diesem Quartett aufgenommen hat. 2023 war die Platte „A Tribute To Don Cherry“ erschienen, 2022 hatte El’Zabar „A Time For Healing“ veröffentlicht. Letzteres sticht aus dem kontinuierlichen Schaffen der letzten Jahre heraus, weil auch das herausragende Saxofontalent Isaiah Collier vertreten ist. Collier gehört zu einer neuen Musikergeneration, die das musikalische Erbe von John Coltrane und Pharoah Sanders – das Exzentrische sowie das heilende Element im Jazz – verschmilzt und weiterführt.

Neben all diesen Alben ist es eine unvergleichliche Erfahrung, die Band von El’Zabar live zu erleben. Das Ensemble-Spiel und die kollektive Improvisation stehen im Mittelpunkt, sind aber nicht von klassischen Formen und Gepflogenheiten der Jazzperformance eingeengt.

El’Zabar und seine Gruppe liefern am Sonntagabend den bewegenden Abschluss eines einwöchigen Festivals, das gleichermaßen vom Drive der jungen Berliner Szene lebt, die hier wie jedes Jahr neue Projekte und Kompositionen präsentiert, wie von der heilenden Weisheit der Ahnen, die El’Zabar und sein Ensemble zum Leuchten bringen.

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