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Ed Ruscha: Als die Buchstaben laufen lernten

Comic, Kino, Pop: Münchens Haus der Kunst widmet dem US-Konzeptkünstler Ed Ruscha eine Retro.

Vielleicht sollte bei einem Künstler, in dessen Werk es sehr viel um Buchstaben und Wörter geht, erst einmal geklärt werden, wie er ausgesprochen wird. Denn das führt gleich zum Kern seiner Kunst.

Ed Ruscha spricht sich „Ed Rush-ay“. So zumindest stand es 1973 einmal auf der Einladungskarte einer Ausstellung. Ed Ruscha, geboren 1937, ist einer der Großen der Pop-Art. Nur weniger bekannt als Jasper Johns, Robert Rauschenberg und all die anderen. Woran das liegen mag, das zeigt zurzeit eine groß angelegte Retrospektive, die das Haus der Kunst in München von der Hayward Gallery in London übernommen hat. Über 70 Bilder aus 50 Jahren Künstlerleben werden hier präsentiert. Ruscha ist Pop. Aber auch Konzept. Comic und Kino, Tankstellen und Highways treffen auf Sprachkritik. Ruscha malt Verschiebungen, die sich aus der formalen Gestalt eines Wortes und ihrer semiotischen Bedeutung ergeben. Das macht die Arbeiten leiser und kryptischer, als sie auf den ersten Blick daherkommen.

Eigentlich wollte Ruscha Grafiker werden. Er studierte in Los Angeles am Chouinard Art Institute, dem heutigen California Institute of the Arts, einer von Disney unterstützten Kunsthochschule. Der Sinn für Typografie, für die reine Gestalt von Buchstaben ist ihm immer geblieben. Das Bild „Annie“ aus dem Jahr 1962 ist der Schriftzug aus einem Comic seiner Kindheit. Er malt ihn in Öl, weil er ihn so schön fand. Das lautmalerische Comic-Wörtchen „Oof“ (1962-63) reißt er aus seiner Sprechblase. Er neutralisiert es, in dem er das O und das O und das F als knallgelbe Blockschrift auf knallblauem Grund setzt. Später traktiert er einzelne Lettern mit Klemmen, wie in seinem Gemälde „Securing the Last Letter“ (1964). Er beginnt, die Schriftzeichen von der Leinwand zu lösen.

Der Maler ist fasziniert von dem Gedanken, dass Wörter keine bestimmte Gestalt haben. Wer sagt einem schon, wie groß Buchstaben zu sein haben? Ruscha entwickelt seine eigene Schrift, die „Boy Scout Utility Modern“. Sie ist nüchtern, hat keine Rundungen, nur Winkel, und ähnelt dem „Hollywood“-Schriftzug in den Bergen über der Stadt, den er 1977 ebenfalls malt – von hinten. Es sind Körper vor einem glutroten Himmel.

Später wachsen die Wörter zu Sätzen, die der Künstler irgendwo aufgeschnappt, geträumt oder gelesen hat: Er ist an ihnen hängen geblieben und hängt sie nun ein in seine Landschaften, frei schwebend über Wolken, über der nächtlichen Lichterstadt Los Angeles – jenem Ort, dem er treu blieb, seit er mit achtzehn aus dem Mittleren Westen Amerikas nach Kalifornien aufbrach. „Wen Out For Cigrets N Never Came Back“ oder „Japan is America“ sind solche Sätze.

In den Achtzigern verweigert er dem Betrachter das Lesen. Weiße oder schwarze Balken markieren die Abwesenheit von Schrift. Ruscha arbeitet mit Spritzpistolen statt mit dem Pinsel. Statt dem modernen Amerika widmet er sich der Pionierzeit. Er lässt Wagentrails, Schiffe, einen heulenden Kojoten und eine Kirche im schwarzen Dunst verschwinden.

Gegenüber diesen sogenannten Silhouetten-Bildern hat Kurator Ulrich Wilmes zusammen mit Ralph Rugoff von der Hayward Gallery die jüngsten „Azteca“-Arbeiten von 2007 gehängt. Ruscha kopiert hier zweimal das Strahlenmotiv eines mexikanischen Wandgemäldes, das ihm so gut gefiel. Und er überträgt Risse und Graffiti gleich mit. Sie sind Zeichen des Zerfalls und der Zerstörung. Das Bildhaftmachen von Zeit ist neben der Wörterkunst ein großes Thema bei Ruscha.

Wie die Quintessenz seiner Arbeit lässt sich daher jener Zyklus lesen, den der Künstler 2005 für den amerikanischen Pavillon auf der 51. Biennale in Venedig schuf. Unter dem Titel „Course of Empire“ hat er Bilder gegenübergestellt, die in einem Abstand von zehn Jahren entstanden sind: Sie zeigen eintönige Industriebauten, deren einziges Erkennungsmerkmal ihr markantes Logo ist. Zehn Jahre später sehen die Gebäude immer noch gleich aus, außer dass die Schriftzüge an den Fassaden ausgetauscht wurden. Aus der Firma „Tech-Chem“ ist „Fat Boy“ geworden. Die Buchstaben machen den Lauf der Zeit ablesbar. Und gleichzeitig füllen sie die leeren Hüllen mit neuem Inhalt.

Die Retrospektive schafft einen eleganten Spagat zwischen chronologischer und thematischer Präsentation. Sie vermittelt Ruschas Wörterkunst als Türen zu Ideenwelten und bindet Exkurse ein, wie seine „Romanze mit Flüssigkeiten“ oder die Experimente mit Säften, Blut, Eidotter oder Tabak als Farbträger. Ruschas Filme, seine Bücher und seine Fotografien, für die er ebenso bekannt ist, bleiben außen vor. Hier wird die Malerei gefeiert.

Haus der Kunst, München, bis 2. Mai.

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