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Polnische Leihgaben: Das Glück der frühen Jahre

Nach dem Umbruch: Das Warschauer Museum für zeitgenössische Kunst gastiert in Berlin.

Was für ein befremdliches Bild, dieser charismatische Führertyp, wie er einsam in der Arena steht. Wind zerzaust sein Haar, vor ihm ein Mikrofon, die Kamera umkreist den Redner in Untersicht, „Juden! Landsleute! Menschen! Menscheeeen!!!!“ ruft er und hebt pathetisch die Hände. Eine verwirrende Ansprache beginnt. Der junge Mann will emigrierte Juden dazu bewegen, nach Polen heimzukehren, damit sein Land Frieden findet. „Wir brauchen euch. Bitte, kommt zurück!“

Die polnische Künstlerin Yael Bartana spielt in ihrer Videoarbeit „Träume Albträume“ mit allen Ingredienzien der Propaganda. Der Appell des Redners ist gespickt mit Zitaten berühmter Ansprachen, die noch immer Verführungskraft besitzen, sogar Poesie. Gefilmt wurde der Auftritt im menschenleeren Warschauer „Stadion des Jahrzehnts“, kurz vor dem Abriss. Auch die Ästhetik von Leni Riefenstahls „Triumph des Willens“ wird zitiert.

Meint die Künstlerin es etwa ernst? Glaubt Slawomir Siekowski, der den Demagogen spielt, im wahren Leben aber zu den führenden Köpfen der linken Zeitschrift „Politische Kritik“ gehört, seinen mit Verve vorgetragenen Worten? Wohl kaum. Und doch rührt dieser erste Teil einer Polen-Trilogie von Yael Bartana an verschüttete Gefühle, verdrängte Ängste, ungestillte Sehnsüchte. Ein ganzes Land liegt bei ihr auf der Couch.

Gäbe es nur ein Leben in Harmonie, in Eintracht mit der Vergangenheit: Wie irrwitzig dieser Wunsch ist, zeigt der zweite Teil. Jüdische Siedler errichten mitten in Warschau den ersten Kibbuz Europas. Wieder macht die Regisseurin Anleihen beim Propagandafilm, diesmal dem zionistischen. Der dritte Teil, „Das Attentat auf den Führer der Bewegung“, ist noch in Arbeit. Geschichte dreht sich im Kreis.

Produziert wird die Trilogie vom Museum für Zeitgenössische Kunst in Warschau, selbst so etwas wie ein Lackmustest für die Verfasstheit Polens. Denn noch existiert das Museum gar nicht. 2014 soll es auf dem Plac Defilad entstehen, im Herzen der Hauptstadt, gegenüber dem Anfang der 50er Jahre erbauten Palast der Kultur und Wissenschaften, der einst bei Paraden als Tribüne diente. Mit dem modernistischen Bau vis-à-vis will Warschau ein neues Selbstverständnis zum Ausdruck bringen. Und die darin gezeigte zeitgenössische Kunst, die in den vergangenen Jahren weltweit reüssierte, soll einen Gegenpol zur kommunistischen Vergangenheit bilden. So zumindest wünscht es sich die Politik.

Aber Direktorin Joanna Mytkowska will ihr Haus nicht instrumentalisieren lassen, auch wenn es nicht leicht ist, sich dieser Hypothek zu entziehen. Die gestern in den Berliner Kunst-Werken eröffnete Ausstellung „Early Years“ zeugt davon, wie sich Künstler und Kuratoren gegen die Erwartungen stemmen und ihren eigenen Weg suchen. Die Ausstellung verdankt sich einer Kooperation des Polnischen Instituts Berlin und des Warschauer Goethe-Instituts; unter dem Titel „The Promised City“ organisieren sie in beiden Städten Ausstellungen, Filmprogramme, Theateraufführungen und Lesungen. Beide Städte haben ’89 den großen Umbruch erlebt, beide bekamen die Kraft eines Glücksversprechens zu spüren und kennen die Desillusionierung.

„Early Years“ ist die Ausstellung überschrieben. Die frühen Jahre in der Karriere von Musikern, Künstlern, Schriftstellern gelten oft als die vielversprechendsten, man probiert sich aus, riskiert etwas. Das Warschauer Museum durchlebt gerade eine ähnliche Phase; noch fühlt es sich frei in seinem gegenwärtigen Ausstellungsraum von 1000 Quadrametern in einem ehemaligen Möbelladen. Im Neubau, den der Schweizer Architekt Christian Kerez geplant hat, werden 8000 Quadratmeter zu bespielen sein – das Warschauer Museum zählt dann zu den größten in Europa.

Auch dort wird das „Muzeum stuki“ seine Linie weiterverfolgen, das zeichnet sich jetzt schon ab. Der Schwerpunkt liegt bei der Kunst Mittel- und Osteuropas; die polnische Avantgarde der frühen Jahre erhält hier eine Heimat. Welche Kraft die Kunst Polens besitzt, hat die junge Generation im internationalen Ausstellungsbetrieb bewiesen. Viele der in Berlin gezeigten Künstler sind hier alte Bekannte; Yael Bartana nahm an der letzten Documenta teil. Gemeinsam ist allen, dass sie die Geschichte ihres Landes thematisieren, mit hart-realistischem Zugriff, besänftigt durch Melancholie. Für Zbigniew Liberas SciFi-Fotopanorama „Auszug der Menschen aus den Städten“ dienten Schlachtenbilder als Vorlage: Mit zerrissener Kleidung, improvisiertem Schuhwerk und grauen Gesichtern bewegt sich eine traumatisierte Schar durch verlassenes Land, wie man es von den Fotoinszenierungen des Kanadiers Jeff Wall kennt. Doch hier, auf dem unbenutzten Abschnitt der Autobahn bei Plock, den Libera als Setting nutzte, sind in der Ferne heruntergekommene Hochhäuser zu sehen. Die Zukunft ist schon verloren.

Trauergesang klingt aus einer Kabine im zweiten Stock. Klageweiber erzählen einander die traurigsten Momente ihres Lebens und stimmen in schwermütige Lieder ein, wie sie zur Totenklage gesungen werden. Die Sängerinnen haben im Museum, auf einer Besucherbank Platz genommen; in ihrem professionellen Kummer stört sie das nicht. Anna Molskas halb dokumentarischer Film ist kein Abgesang auf das Museum, sondern zeigt die Möglichkeiten einer Konservierung alter Tradition. Schließlich ist der Totengesang selbst vom Aussterben bedroht.

Ähnlich verfährt Daniel Knorr, allerdings in Bukarest. Er ließ einen Straßenfotografen, der Besucher der Städtischen Gärten mit einer Camera obscura porträtiert, neue Gebäude der rumänischen Hauptstadt aufnehmen. Vergangenheit trifft Gegenwart. Bei den jungen Künstlern hat die Geschichte Polens ihre besten Chancen, gewürdigt zu werden, wenn auch nicht im Sinne der Politik. Die edelste Aufgabe des Museums für Zeitgenössische Kunst besteht darin, Austragungsort dieser Konflikte zu sein.

Kunst-Werke, Auguststr. 69, bis 2. 5., Di–So 12–19 Uhr, Do bis 21 Uhr.

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