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Hansaviertel: Bachstraße - unterschätzte Berliner Lebensader

Die Bachstraße im Hansaviertel liegt zentral und ist doch Hinterland. Während der S-Bahnsanierung mussten Anwohner alle paar Minuten ohrenbetäubende Sirenen ertragen. Inzwischen ist die Straße mitten in Berlin angekommen.

Es ist leicht, die Bachstraße zu unterschätzen. Sie ist nicht sehr lang, sie hat keine aufregenden Geschäfte und auch nicht diese eindrucksvollen Altbauten voller Künstler und Literaten. Eigentlich ist sie eine Art Tangente des Hansa-Viertels, in dessen Schatten sie lebt. Aber sie hat die legendäre Tiergarten-Quelle. Und den S-Bahnhof Tiergarten. Und ein wunderbares Hinterland mit Uferwegen voller Trauerweiden, die ihre Zweige in die Spree hängen. Im Sommer schenken sie balkonlosen Bewohnern der rasch ergrauten Neubauten ein schattiges Freiluft-Asyl am Wasser.

Die Bachstraße trägt ihren Namen seit 1889 und ist nach Johann Sebastian Bach benannt, aber das strahlt sie nicht unbedingt aus. Sie ist eher ein rockiger Typ, auch wenn zeitweise immer wieder die Klänge der Johannes-Passion aus den Fenstern wehten. Zu Mauerzeiten war die Gegend ziemlich ruhig und abgelegen. Die Internationale Bauausstellung (IBA) 1987 sollte Belebung bringen. So entstanden Häuser mit interessanten Grundrissen. „Wie ein Blitz geschnitten“, sagte der Freund, als er zum ersten Mal das spitzwinklige Gehäuse betrat. Nicht praktisch, aber ungewöhnlich.

Damals war die Fassade leuchtend gelb, zusammen mit den blauen Fensterrahmen ergab sich ein Ikea-Effekt, eine gute Vorlage für die Billy-Regale, die, von den Ordnern des Studiums befreit, hier neue Bücher in sich ansammelten. Heute kann man die Farben der frühen Jahre nur noch erahnen. Frisch sind jetzt die Farben auf den Fahnen, wenn sich nach siegreichen Fußballspielen der Jubelkorso von Wedding Richtung Kurfürstendamm in Bewegung setzt. Hier kommt er laut hupend durchgefahren.

Als die Häuser gerade fertig waren, mischte sich darin ein buntes Publikum. Der Architekt hatte die schöne Terrassenwohnung ganz oben im Haus, weiter unten wohnten eine vietnamesische Familie, die mit der Cap Anamur geflüchtet war, eine geheimnisvolle Gräfin, eine Diätberaterin, ein orthodoxer Priester, der aus Jerusalem gekommen war, und ein nettes älteres Ehepaar mit Hund. Einmal gab es in den frühen Jahren einen Versuch, die Nachbarn draußen neben der Tiefgarage bei einer Cocktailparty miteinander bekannt zu machen. Die Vietnamesen brachten Süßspeisen mit, andere lugten skeptisch aus den Fenstern.

Am Sonntag fällt man fast auf den Flohmarkt auf der Straße des 17. Juni. Für Gäste von außerhalb ist das eine Touristenattraktion, für Bachstraßenbewohner ein ganz normaler, kleiner Spaziergang zwischen goldgeränderten Sammeltassen und abgegriffenen LP-Covern. Am Rande des Flohmarkts erhebt sich glitzrig das Novotel, und der Zaun zur Königlichen Porzellan-Manufaktur (KPM) ist ebenso verschwunden wie der große Parkplatz, die Wegelystraße öffnet sich einladend dem Flaneur. Von einigen Bachstraßenfenstern geht der Blick auf den Siegmundshof. Vielleicht waren die Studentenheime dort der Grund, dass im S-Bahnbogen ein Club entstand. Eine Weile hieß er mal Glückstein.

Und dann ist da natürlich die Tiergarten-Quelle, die genauso aussieht, wie sich das Klischee eine Alt-Berliner Kneipe vorstellt, wie gemacht für tiefphilosophische Gespräche mit alkoholischen Abstürzen im Abgang. Generationen von Studenten philosophierten hier über die Schmerzen der Liebe und die nächste Seminararbeit. Stunden saß man zwischen Rauchschwaden und Essensdunst und glaubte nicht, dass die Mauer je fallen würde, und als sie doch gefallen war, stellte man sich vor, wie Berlin mal werden würde nach der Jahrtausendwende, glanzvoll und komplett unbezahlbar. Und der Priester erzählte von einem endlosen traurigen Prozess, von Intrigen und Verfolgungen, als sei das Mittelalter näher als das neue Jahrtausend.

Der Koch war damals auch ein Nachbar und einer der häufigsten Nutzer der gemeinschaftlichen Waschküche. Noch heute ist die Speisekarte voller Sattmacher für wenig Geld: Rieseneisbein und Kaiserschmarrn. Die Tiergarten-Quelle ist auch gut für surreale Erlebnisse. Wenn man morgens noch schlaftrunken aus dem Fenster blickte, war schon mal die Fassade plötzlich anders gestrichen. Je nachdem, was für ein Film gerade dort gedreht wurde, war auch ein anderer Name drübergepinselt.

Die Bachstraße hatte ihre eigene Persönlichkeit, der Name war lange ein Synonym für „zu Hause“. Sie steckte aber auch voller Herausforderungen. Wie immer die Disco gerade hieß, die in dem S-Bahnbogen untergebracht war, sie lockte Motorradfahrer an, die vorzugsweise zwischen drei und vier Uhr nachts ihre Maschinen aufheulen ließen wie Alarmsirenen. Aber das war nicht das Schlimmste. Das Schlimmste begann, als Mitte der neunziger Jahre der S-Bahnhof geschlossen wurde und die Streckensanierung anfing. Erst wurde das hübsche kleine Häuschen abgerissen, das über den Schienen längs der Bachstraße vielen Vögeln Heimstatt geboten hatte.

Dann begann die Tyrannei der Typhone. Alle paar Minuten gellte das Signal der S-Bahn-Sirenen durch die Luft, wie Verzweiflungsschreie von Monstern, so ohrenbetäubend laut, dass schwer behelmte Bahnarbeiter, die gerade mit dem Presslufthammer zugange waren, zusammenzucken und zur Seite springen mussten. Was machte das mit den armen Anwohnern, die ihre Schlafzimmer auf Augenhöhe mit der Schienensanierung hatten? Sie blieben. Noch. Bachstraßenjunkies mit teils blanken Nerven.

Erst, als es im Hausflur und im Keller alles Mögliche zu kaufen gab, Sex und Drugs, nur keinen Rock’n’Roll, war Schluss. Zeit zu gehen. Das war nicht lange vor dem Umzug der Regierung. Kurz danach wurden die Klingelknöpfe angekokelt. Inzwischen hat die Zahl der Satellitenschüsseln dem Augenschein nach wieder abgenommen. Die Straße rockt. Sie ist mitten in Berlin angekommen, zwei S-Bahnstationen zum Hauptbahnhof, drei zur Friedrichstraße, eine zum Zoo. Sie wird unterschätzt. Noch.

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