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Kultur: Entwerfe Gutes und rede darüber

Jürgen Mayer H. wird weltweit als Design-Star gefeiert. Der Berliner Architekt baut Räume, die wie Felslandschaften aussehen

Von Frank Peter Jäger

„Bodenwellenland“: ein schönes Lob. Bodenwellenland, so taufte ein Kritiker die temporäre Lounge, die Jürgen Mayer H. im vergangenen Sommer für den Berliner Weltarchitektenkongress UIA entworfen hatte. Man konnte in diesem Raum plaudern, ausruhen oder im Netz surfen, bequemerweise auf wellenartigen Möbeln, die akkurat mit Linoleum beschichtet und über Holzkorpusse gespannt waren. Wie sich die Wellen unvermittelt aus dem ebenfalls weißen Boden hoben und in elastischen Kurven zur Form einer Liege oder eines Hockers fanden, das erinnerte tatsächlich an die spröde Schönheit von Felsenlandschaften. Die Lounge war ein Design-Highlight der Messe, gleich zwei Preise bekam der Schöpfer dafür. Als „Mobiliar in motion“ wurde die Lounge gefeiert, sie sah aus, als kenne sie die Wünsche der Verweilenden und passe sich ihnen ganz von selbst an.

2002 war ein gutes Jahr für Jürgen Mayer H. – das H steht für den zweiten Vornamen Hermann –, das Jahr des Durchbruchs. Im Dezember gewann er einen Städtebau-Wettbewerb in Potsdam. So wird Mayer H. bald in Nachbarschaft zu den preußischen Altmeistern Persius und Schinkel ein prominentes Stück Havelufer bebauen können. Ähnlich erfolgreich, wie es endete, hatte das Jahr für den Berliner Architekten auch begonnen. Im Frühjahr war sein Bürgerhaus für die Stadt Ostfildern fertig geworden, Mayer H.s Erstling. Das Stadthaus, in dem die aufstrebende Stuttgarter Randgemeinde unter anderem ihr Standesamt, die Bibliothek, die Galerie und manch anderes unterbrachte, ragt als markanter Identifikationspunkt aus dem umgebenden Siedlungsbrei hervor. Von außen ein geschlossener Kasten , überrascht es im Inneren durch skulpturale Raumlandschaften, geformt aus gleißend weißen Betonflächen und expressiv gekippten Lichtpaneelen. Ein kristallines Wundergehäuse.

Seit das Haus in Ostfildern fertig ist, gilt Mayer H. als das Enfant terrible der deutschen Architekturszene. Nach dem jüngsten Erfolg in Potsdam tritt er Kritikern noch gelassener gegenüber: „Jetzt dürfte klar sein, dass Ostfildern kein Ausrutscher der Jury war.“ In Amerka sei man ohnehin unvoreingenommener. Das New Yorker Museum of Modern Art habe schon in der Bauzeit Interesse an dem Stadthaus bekundet, erzählt er. Und in Harvard werde er im Sommer eine Gastprofessur übernehmen. Die Regel „Tue Gutes und rede darüber“ könnte von ihm stammen. Jürgen Mayer H. steht in der Küche seines Charlottenburger Büros und bereitet einen Kaffee. Nebenan sitzen zwei, drei Architektinnen an großen Bildschirmen, ein Portishead-Song wabert durch die Räume. Noch fühlt er sich als Aufsteiger aus der Junioren-Liga und fällt im legeren Habit von Jeans und Pullover zwischen seinen Mitarbeitern nicht weiter auf.

Vor den Erfolgen in seiner urspünglichen Profession hatte sich der heute 37-Jährige als Konzeptkünstler und Designer einen Namen gemacht, und dabei kamen ihm seine Amerika-Kontakte zugute. Den Stein ins Rollen brachte 1994 die New Yorker Ausstellung „Housewarming“. Die Wände der Galerie waren ganz mit gelben Lack beschichtet. Dessen Pigmente verfärbten sich beim Berühren der Wand. Nicht länger waren es nur die Menschen, die Architektur spüren und ihr ausgesetzt sind, auf einmal reflektierte das Gebäude die Präsenz der Menschen, es reagierte auf sie. Bald darauf entdeckte der Künstler ein Motiv, das für ihn zur „persönlichen Obsession“ wurde: die Datensicherungsmuster, jene dicht mit Zahlen oder Buchstaben bedruckten Papierbögen, mit denen beispielsweise Gehaltsbögen ummantelt werden. Seine private Sammlung umfasst mittlerweile 350 unterschiedliche Typen aus aller Welt. Die Muster druckte Mayer H., bisweilen enorm aufgezoomt, auf Tapeten, Spiegel und Bettwäsche oder ließ sie in Teppiche weben. Die temperaturempfindlichen Oberflächen tauchen wie die Datensicherungsmuster immer wieder in den Objekten Mayer H.s auf – etwa beim „Heat-Seat“, einer anatomisch gewölbte Polsterliege. Erhebt sich der Benutzer von seinem Nickerchen, zeichnet sich der Umriss seines Körpers noch eine Weile hell auf dem Polster ab. Dieses Wechselverhältnis zwischen Präsenz und Nichtpräsenz, die Spuren, die Menschen und Dinge im Raum hinterlassen, sind ein thematisches Kontinuum in Mayer H.s Arbeit. Wie er das einmal gefundene Thema immer wieder durchspielt, wird auf die Dauer allerdings etwas ermüdend. So tat er gut daran, am Stadthaus bei Stuttgart auf vordergründige Effekte zu verzichten. Doch auch hier beleben veränderliche Funktionen das Gebäude: Aus dem Vordach plätschern durch computergesteuerte Düsen dünne Wasserfäden in ein Bassin. Sie bilden eine belebte „Vorhang-Fassade“ und damit tatsächlich immaterielle Architektur.

Jürgen Mayer H. ist nicht der einzige Architekt, der die im Grenzland zwischen Architektur und Kunst versteckten Möglichkeiten wiederentdeckt hat. Doch die Selbstverständlichkeit, mit der er Alltagsarchitektur, Skulpturales, Lichtinstallationen und Medienkunst nicht additiv, sondern in der Ganzheit eines Hauses zusammenführte, ist wohl beispiellos. Wenn man Möbel wie den knuffigen „Heat-Seat“ als Retro-Design anspricht, stört ihn das nicht. „Jeder verinnerlicht am stärksten die Formen, die er aus der Kindheit kennt, und bei mir waren das eben die späten Sechziger." Obwohl er schon fast ein Jahrzehnt erfolgreich von Berlin aus agiert, fühlt sich Mayer H. nicht als Teil der hauptstädischen Architektengemeinde: „Ich habe mit dieser Szene nichts zu tun, in den Netzwerken stecke ich nicht drin.“ Das klingt fast schon dissidentenhaft, aber natürlich ist auch Mayer H. ein Netzwerker. Nur sind bei ihm die Fäden etwas weiter gespannt als bei den meisten Kollegen. An Berlin freut ihn besonders, dass der Lack des Metropolenmythos inzwischen angekratzt sei: „Jetzt, wo die falschen Erwartungen verflogen sind, wird Berlin erst richtig interessant.“ Es wird noch viel zu tun geben für Jürgen Mayer H.

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