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Schindhelm

© dpa

Interview: "Es fehlen noch wesentliche Elemente einer Metropole"

Die Boomdown Dubai zieht Kulturschaffende aus der ganzen Welt an. Über die Stadt, ihre Menschen und Kultur sprach der Tagesspiegel mit Michael Schindhelm.

Herr Schindhelm, von der Finanzkrise spürt man im deutschen Kulturbetrieb noch nichts. Wie ist das in Dubai?



Dubai ist eine sehr junge, sehr schnelle Stadt. Und man darf nicht vergessen, dass ein Großteil der Projekte in Dubai durch internationale Kapitalgeber finanziert wird. Wenn das Kapital knapp wird, spürt man das sofort. Wegen der Rezession können viele der ambitionierten Projekte nicht mehr in dem bisherigen Tempo fortgesetzt werden, dazu gehört auch die Kultur. Der Unterschied zwischen der alten und der neuen Welt wird insbesondere in Krisenzeiten sichtbar: Die alte Welt hat über lange Zeit Sicherheitssysteme aufgebaut, die es in der neuen Welt noch nicht gibt.

Was haben Sie in zwei Jahren dort erreicht?

Als ich nach Dubai kam, ging die gesamte Kulturaufbauleistung in die großen Bauprojekte, nicht in Inhalte. Vor einem Jahr haben wir die Dubai Culture and Arts Authority gegründet. Wir sind sozusagen für die Software zuständig. Die Hardware, die bei den staatlichen Baugesellschaften liegt, ist von der Krise beeinträchtigt, zum Beispiel der Bau des von Zaha Hadid entworfenen Opernhauses oder das Modern Middle East Art Centre. Wir konzentrieren uns jetzt auf die inhaltlich-strategische Arbeit, was weniger geldintensiv ist. Insofern kann die Krise auch von Vorteil sein: Die Software wird wichtiger als die Hardware.

Mit welchen Programmen wollen Sie einmal die neuen Kulturinstitutionen füllen und zum Leben erwecken?

Die Bevölkerungsstruktur von Dubai ist sehr speziell: Hier leben 95 Prozent Ausländer, die meisten Menschen nur auf Zeit. Daher kann die Stadt nicht zu einem Melting Pot werden. Indische, arabische, europäische, chinesische Kulturen existieren parallel – die Individuen kommen und gehen, die Kollektive bleiben. Und die Identitäten bleiben getrennt. In einem Performing Arts Centre müssen diese unterschiedlichen Traditionen berücksichtigt werden. Allein die britische Ausländergemeinschaft ist zahlenmäßig größer als die einheimische arabische. Ein Teil der indischen und arabischen Bevölkerung interessiert sich durchaus für Verdi oder Puccini, aber wir müssen das Programm weiter aufmachen. Mumbai, Bollywood, ist nur zweieinhalb Flugstunden entfernt. Auch Teheran ist für Dubai ein wichtiger Bezugspunkt.

Das klingt aber noch nicht sehr konkret.

Das Besondere ist, dass wir wirklich alles neu aufbauen müssen, nicht nur die Häuser. Bis vor kurzem kamen Kunst und Kultur in der emiratischen Welt gar nicht vor, zumindest nicht im öffentlichen Rahmen. In den öffentlichen Schulen gibt es bis heute keinerlei Kunst- oder Musikunterricht. Man muss also Publikum entwickeln, künstlerische und künstlerisch-technische Berufe, Medien, die sich mit Kunst und Kultur auseinandersetzen, Marketing und dann natürlich das Programm selbst. Das ist ein komplexer und auf Jahre angelegter kollektiver Prozess. Dubai ist im Werden, es fehlen noch wesentliche Elemente einer globalen Metropole, Kultur gehört unmittelbar dazu. Das Jahr 2015 galt bisher als Orientierung für die Fertigstellung der großen Projekte – aber das war die Aussage vor der Krise.

Sie sind also als ausländischer Kulturmanager Teil einer kulturellen Revolution?

Die Kinder des Scheichs haben sich als Künstler und kulturinteressierte Menschen geoutet und einen Aufklärungsprozess in Bewegung gesetzt. Eine unserer wichtigsten Aufgaben ist dabei die Förderung einheimischer Kreativität, in einer Art kultureller free zone, wie es sie in der Wirtschaft schon gibt. Der Westen sieht die Golfregion als Eldorado. Es ist eine Gefahr, dass diese enorme internationale Welle, die über Dubai hereinbricht, die Araber überrollt. Eine paradoxe Situation: Während wir in Europa darüber reden, dass wir die Ausländer kulturell integrieren müssen, geht es in Dubai um die Integration der Einheimischen. Es gab in Dubai zuletzt viel Kritik, dass der Islam und die islamische Kultur durch die Internationalisierung an den Rand gedrängt wurden.

Aber wir reden hier nicht von Demokratisierung.

Dubai ist eine Monarchie, der Scheich als aufgeklärter Mensch betrachtet Kultur als ein Mittel zur Verbesserung der Lebenssituation seiner Untertanen. Gleichzeitig gibt es immer noch tribalistische Strukturen. Modernisierung muss von oben vermittelt, kann aber auch nicht einfach nur angeordnet werden. Generell verstehen sich die Vereinigten Emirate als ein Modell für die gesamte arabische Welt im 21. Jahrhundert. Ein Erfolgsmodell: Als sich die Emirate 1971 zusammenschlossen, hat niemand geglaubt, dass es funktionieren würde.

Sehen Sie historisch irgendwo eine Parallele zu dem, was sich am Golf abspielt?

Auch in Europa kam die Aufklärung von oben, wie sonst. Und wenn man an Berlin, an Preußen denkt: Der preußische König hat Franzosen und Holländer in sein menschenleeres Land geholt, um überhaupt erst einmal eine kritische Masse von Bevölkerung herzustellen, mit der ein Modernisierungsprozess möglich wurde. Berlin hat sich zwischen 1871 und 1914 in einer solch unglaublichen Geschwindigkeit und Hybris entwickelt, wirtschaftlich, kulturell, architektonisch, was wurde da geklotzt, dass man sich durchaus an Dubai erinnert fühlt, bei allen Unterschieden.

Das Gespräch führte Rüdiger Schaper.

Michael Schindhelm war nach diversen Stationen als Intendant der erste Generaldirektor der Berliner Opernstiftung. Eine ähnlich pionierhafte Aufgabe hat der Kulturmanager am Persischen Golf: Er leitet dort die Dubai Culture and Arts Authority. Am Sonntag, 1. Februar, um 11 Uhr diskutiert Schindhelm in der Staatsoper Unter den Linden auf Einladung der Allianz Kulturstiftung und der BMW-Group mit der Architektin Zaha Hadid, Thomas Krens (Guggenheim Museum) und Zaki Anwar Nusseibeh (Berater des Präsidenten der Vereinigten Arabischen Emirate). Das Thema in der Reihe „Reden über Europa“ lautet: „Europa Off-Shore oder neue Zentren der Weltkultur am Golf?“

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