zum Hauptinhalt
Die US-Künstlerin Adrian Piper 2003 in einer eigenen Ausstellung im Contemporary Art Museum in Barcelona.

© ANDREU DALMAU/dpa

US-Künstlerin Adrian Piper: „Ich bin gern in Deutschland. Aber mir reicht es“

Adrian Piper lebt seit 15 Jahren in Berlin. Nun erhält sie den Goslarer Kaiserring. Ein Gespräch über die Ost-West-Spaltung und unzumutbare Zustände im Bildungssystem.

Die analytische Philosophin und Konzeptkünstlerin Adrian Piper (72) gehört zu den renommiertesten Künstlerinnen ihrer Generation. Gerade wurde bekannt gegeben, dass die gebürtige New Yorkerin, die seit 2005 in Berlin lebt und arbeitet, den Goslarer Kaiserring 2021 erhält. 2015 wurde sie mit dem Goldenen Löwen der Biennale in Venedig für ihre Installation „The Probable Trust Registry“ ausgezeichnet, die sich heute im Hamburger Bahnhof befindet.

Adrian Piper bedient sich verschiedener Medien: Collage, Zeichnung, Installation oder Performance. Dabei geht es ihr immer um Subjektivität und Entscheidungsfreiheit. In ihren Arbeiten beschäftigte sie sich früh mit Rassismus und Fremdenfeindlichkeit.

Wieso bereitet Ihnen die Bundestagswahl 2021 schlaflose Nächte?
Ich fürchte die wachsende Kraft der AfD. Angesichts dieser Gefahr deprimiert mich die Ratlosigkeit der anderen Parteien. Ich bin nur Gast und Beobachterin in Ihrem Land. Aber ich lebe seit 15 Jahren in Berlin, wo die Spaltung der Bevölkerung deutlich zu spüren ist. Der Abschlussbericht der Kommission „30 Jahre Friedliche Revolution und Deutsche Einheit“ ist eine fantastische Leistung. Jeder sollte ihn lesen. Aber auch dort taucht nirgends das Wort „Entschuldigung“ auf. Es muss klar sein: Die Regierung schuldet allen ehemaligen DDR-Bürger*innen eine öffentliche Entschuldigung für die Beleidigung und Abwertung der Ost-Deutschen seit der Wende.

Warum?
West-Deutschland muss seine Fehler offiziell anerkennen – Arroganz, Unwissenheit, Ausbeutung – sowie den inspirierenden Beitrag Ost-Deutschlands zur heutigen Gesellschaft: ein Vorbild von Frauen in der Wirtschaft, ein faireres Bildungssystem, ein würdiges Bild der Arbeiter als Fundament der Gesellschaft, eine starke Stellung gegen Faschismus. Das hat Ost-Deutschland in die BRD eingebracht. Klar, die Wirklichkeiten sind immer komplizierter.

Aber diese offiziellen Beispiele aus Ost-Deutschland haben das vereinigte Deutschland seit der Wende stark geprägt. Und dafür gibt es bloß weniger Gehalt im öffentlichen Dienst zurück?! Unakzeptabel. Ohne Entschuldigung werden Ärger und Entfremdung vieler Ost-Deutscher nur wachsen – und damit die Kraft der AfD.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Was ärgert Sie am Ausbleiben der Entschuldigung?
Die Ignoranz der West-Deutschen erinnert mich an die selbsternannten „Weißen“ Amerikaner, die sich nie entschuldigen, weil sie nichts Falsches gemacht, alles gut gemeint, so viel Gutes für alle getan hätten, sich missverstanden fühlten. West-Deutschland hat sich mehrfach vorbildlich für historisches Fehlverhalten verantwortet. Anscheinend fehlt die Perspektive nur dann, wenn die Verletzten die eigenen Bürger*innen sind.

Ihr Projekt „Wahlkampagne“ fragt danach, wie sehr sich deutsche Politiker*innen für Demokratie interessieren. Wieso denken Sie, könnten sie es nicht tun?
Weil Demokratie gut gebildete Bürger voraussetzt. Gleichzeitig beobachte ich, dass Politiker*innen vor der Wahl oft die Wichtigkeit der Bildung betonen, aber nachher nur Pflaster anbieten: hier PCs in Klassenzimmern, dort eine Schulsanierung. Bildung ist nie politisches Hauptthema. Scheinbar ist anderes wichtiger: Klimawandel, Armut usw. Aber das sind nur Folgeprobleme, deren Lösungen ein gutes Bildungssystem voraussetzen.

„Wahlkampagne“ lädt zum Protest ein. Institutionen und Bürger sollen so lange mit Schichtentafeln und Schildern mit der Beschriftung „Ohne Bildung keine Chance keine Wahl“ protestieren, bis bundesweit eine Lehrkraft maximal 15 Studierende pro Klasse unterrichtet. Was hat es mit dem 15:1-Verhältnis auf sich?
Zuerst mein Empfehlungsschreiben, mir hierzu eine öffentliche Äußerung zu erlauben: Ich war als Studierende 27 Jahre an der Schule, von meinem vierten bis 31. Lebensjahr. Ich habe vier akademische und drei Honorardoktor-Abschlüsse, sowohl in Kunst als auch in Philosophie. Ich habe Philosophie über 30 Jahre lang an sechs Unis in den USA, in Klassen von drei bis 200, unterrichtet. Als Studierende lehrte ich privat bildungsbenachteiligte Kommilitoninnen. Meine Besessenheit von akademischer Exzellenz führte dazu, dass ich letztlich aus der Akademie vertrieben wurde.

Nach fast sieben Dekaden des Lehrens und Lernens behaupte ich: Mit mehr als 15 Studierenden kommt keine Lehrer*in zurecht. Ohne intensiven Dialog mit jeder Studierenden im Unterricht und Austausch über häufiges und regelmäßiges Schreiben, Forschen und Rechnen bei der Hausarbeit, kann sie nichts tun, das den Namen „Unterrichten“ verdienen würde. Der Unterricht ist dann nur Fernsehglotzen.

Schichtentafel aus der „Wahlkampagne“ von Adrian Piper.

© Adrian Piper/APRA Foundation Berlin

Wie soll das gehen?
Um das 15:1-Verhältnis zu erreichen, bräuchten wir eine bundesweite Bildungsarmee an Lehrkräften, also viel mehr Geld für die Bildung. Der Einsatz würde sich lohnen: Der Lehrbetrieb würde Spaß machen; Bildungswirksamkeit und -niveau würden erhöht. Mehr Absolventen würden Lehrer*in werden wollen. Professor*innen könnten Seminare nur für Doktorand*innen anbieten, damit eine Doktorand*in in Klassen mit ihren Vergleichsgruppen aus anderen Doktorand*innen zusammen lernen und erleben könnte, was es bedeutet, umgeben zu sein von anderen Studierenden, die wenigstens genau so klug, fortgeschritten und motiviert sind wie sie selbst.

Mit einem intensiven Kreis von solchen Klassenkamerad*innen das erste Mal zu interagieren, ist für jede Doktorand*in immer ein Schock. Aber nur so wird sie gefördert, am oberen Rand ihrer Fähigkeiten zu leisten. So bereitet sie sich am besten vor, in der internationalen Forschungswelt sofort auf einem hohen Niveau gemäß den Standards ihres Faches zu konkurrieren.

Was inspirierte Sie zu dem Projekt?
2005 zog ich nach Deutschland und musste nach erschütternden Begegnungen mit dem Bildungssystem sehr ungern beschließen, dass ich mich nicht anpassen würde. Die Angebote, die ich aus der Lehre erhielt, folgten einem Muster. Ich sprach mit der Hochschulleiter*in über die Arbeitsbedingungen, wir verstanden uns gut. Aber die Verträge, die per Post kamen, enthielten andere Bedingungen als die abgemachten. Inakzeptabel. Die Antwort der Institutsleiter*in war immer gleich: Ich könne den Vertrag ignorieren und mich nach Wunsch organisieren. Alle wussten also, dass die Vertragsbedingungen unrealistisch belastend waren, ignorierten ihre Verträge und schwiegen über die Probleme, um ihren Vertragsverstoß zu verdecken.

Wie haben Sie reagiert?
Statt zu unterrichten, habe ich beobachtet und Daten gesammelt: Ich sprach mit Kolleg*innen an Unis überall in Deutschland; hörte zu und stellte Fragen. Ich besuchte viele pädagogische Konferenzen und entdeckte, dass Lehrkräfte ihre Arbeitsbedingungen einfach hinnehmen. In „Seminaren“ mit 60 Studierenden wird nur ein Aufsatz pro Studierende verlangt, der mangels Zeit noch nicht mal aufmerksam bewertet werden kann. Studierende halten Vorträge, weil Lehrkräften die Vorbereitungszeit fehlt. Doktorand*innen begutachten ihre Doktorarbeit, weil die Doktormutter überlastet ist.

Gab es andere Schlüsselmomente?
Die Flüchtlingskrise. Das System brach zusammen, weil in vielen Bereichen gut ausgebildetes Personal fehlte. Es gab nicht genug Menschen, die bloß gut lesen, schreiben, rechnen, mit einem Computer umgehen, einfache Anweisungen befolgen konnten. Zum Beispiel wollte die damalige Ausländerbehörde Berlins Freiwillige rekrutieren, um bei der Bearbeitung der enormen Menge Akten von Geflüchteten zu helfen. Aber viele der Freiwilligen konnten mit den Formularen nicht umgehen und die Beamten waren zu überlastet, um es ihnen beizubringen.

[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können]

Die Freiwilligen standen also oftmals - ohne Aufgabe und ohne Ahnung - in dem überfüllten Gebäude herum, während die Geflüchteten wochenlang, teils draußen in der Kälte, auf ihre Aufenthaltserlaubnis warteten. Es hat wehgetan, zuzusehen. Als ich zuletzt mehrfach fehlerhafte Rechnungen von internationalen Firmen korrigieren musste, hatte ich die Nase voll. Bildungsmangel erzeugt Inkompetenz, und Inkompetenz erschwert unseren Alltag. Ich bin sehr gern in Deutschland. Aber ich darf nicht altern in einer Gesellschaft, wo medizinisches Personal fehlt; wo Chirurg*innen furchtbare Fehler machen, weil sie 36 Stunden durchoperieren; wo so viele Doktoranden keine Lehrstellen bekommen, während die restlichen versuchen, hunderte Studierende in einem Kurs zu verkraften. Mir reicht es.

1972 wählten noch 91,1 Prozent der Deutschen; 2017 nur noch 76,2 Prozent. Worauf führen Sie das zurück?
Seit der Wende gibt es mehr Bürger*innen, die nicht so viel von der viel gelobten Demokratie halten, weil sie selbst darunter undemokratisch behandelt wurden; oder die mitbekommen haben, dass ihre Meinungen den Politiker*innen unwichtig sind. Wenn jemand keine Zuversicht hat, dass sich die da oben für ihre Meinung interessieren, warum sollte sie sich für das Wählen interessieren?

Woher wissen Sie, dass ihre Meinungen den Politiker*innen unwichtig sind?
Ich wohne im Ostteil der Stadt, wo die Mehrheit meiner Nachbarn und Freunde ältere Ost-Deutsche sind. Vorher gab es ein Zentrum, den Club Spittelkolonnaden, der Vorträge und Kurse zu Politik, Philosophie, Kunst, Geschichte für die Nachbarschaft anbot. Ich besuchte viele dieser Kurse, manche zur Philosophie. Die wurden auf einem sehr hohen Niveau geleitet. Ich war richtig erstaunt, wie kenntnisreich und fortgeschritten hier Platon, Kant, Nietzsche diskutiert wurden – und das von älteren ostdeutschen Männern und Frauen, die gar nicht wie pensionierte Professoren aussahen.

Ich fragte meine Nachbarin: „Wer sind diese Menschen? Wieso wissen sie so viel über Philosophie?“ Sie erklärte mir, sie seien aus der Arbeiterklasse der DDR. Ihnen sei damals untersagt worden, an der Uni zu studieren, weil sie für ideologisch nicht korrekt befunden worden waren. Sie holten nun nach. Einige Jahre danach wurde der Club Spittelkolonnaden abgeschafft, weil es sich angeblich nicht mehr lohnte, die finanziellen Mittel dafür zur Verfügung zu stellen.

So behandelte die Stadt den Wunsch ihrer älteren ostdeutschen Bürger nach Weiterbildung. Ich sehe also eine direkte Verbindung zwischen der Abneigung der Politiker*innen, Bildung als erstrangiges Hauptthema zu priorisieren, der ungleichen und überheblichen Behandlung der Ost-Deutschen und der sinkenden Wahlbeteiligung der Bevölkerung.

Fassade aus der „Wahlkampagne“ von Adrian Piper.
Fassade aus der „Wahlkampagne“ von Adrian Piper.

© Adrian Piper/APRA Foundation Berlin

Glauben Sie, dass es den paradiesischen Zustand besserer Bildung für alle überhaupt geben könnte?
Keinesfalls. Solange wir in unseren Körpern gefangen sind und uns von ungehorsamen leblosen Gegenständen täglich verarschen lassen müssen, gibt es kein Paradies. Aber es gibt in dieser Welt keine größere Freude als die Vollendung einer Spitzenarbeit. Auf hohem Niveau etwas zu leisten, ist eine Quelle für Selbstrespekt und Selbstwert, unabhängig davon wie andere einen bewerten.

Es geht nur um das Verhältnis des Menschen zu seinen Werten und seiner Leistung, die er durch die Arbeit erbringt. Bildung befördert die Entwicklung von Autonomie, Zuversicht und Selbstbestimmung. Egal, ob man Raumpflegerin oder Tischlerin oder Komponistin oder Ärztin ist: Gute Bildung lehrt, was die Spitzenniveaus sind und wie man sie erreicht.

Welcher Gegenstand hat Sie zuletzt verarscht?
Wo soll ich anfangen? Der Verschluss der Olivenölflasche klemmte. Ich griff zu einer Zange, mit der ich das Glas beschädigte. Das Öl spritzte überallhin, ich wischte es auf. Später vergaß ich das alles und trocknete mit dem öligen Küchentuch Geschirr ab. Die Tasse Ingwertee schmeckte also nach Olivenöl. Jede Nacht, wenn ich schlafe, machen sich all die Gegenstände meiner Wohnung lustig über mich.

Bei der Athens Biennale 2018 ist mir eine Espressokanne quasi explodiert. Die Küchenwände waren braun – eine Stunde putzen als Strafe für mein Unwissen über Mokkazubereitung.
Aber das ist doch super. Es kann nie schaden, Kaffeesatz putzen zu lernen. Später könnte es nützlich sein. Nur diejenigen, die selbst putzen können, sind völlig von Dreck befreit. Mokkazubereitung kann jede lernen.

Stimmt. Wissen schützt außerdem vor Armut. Extreme soziale Ungleichheit schürt Unruhen. Wo lässt sich Ihrer Meinung nach besonders gut beobachten, dass ein unfaires Bildungssystem Schaden anrichten kann?
In den USA. Versklavten Afroamerikanern wurde das Lesen, Schreiben und Rechnen verboten. Wer es trotzdem tat, wurde bestraft oder getötet. Seit Jahrhunderten versuchen viele selbsternannte „Weiße“ den Bildungsmangel unter Afroamerikanern beizubehalten, weil sie befürchten, was die Afroamerikaner mit dem Wissen tun könnten. Ich tue mein Bestes, keine Parallelen zur Vernachlässigung der Bildung der deutschen Besitzlosen zu finden. Es darf nicht sein, dass Politiker*innen Bildung nicht zum Hauptthema machen, weil sie fürchten, was eine gebildete Besitzlosenklasse damit machen würde.

Glauben Sie, dass Politiker*innen eine Ermächtigung befürchten?
Leider ja. Deutschlands Politiker*innen sind hochgebildet und erfahren. Sie zielen oft schon als Jugendliche darauf ab, in der Politik wirksam zu werden, z.B. bei den Jusos der SPD oder der Jungen Union der CDU/CSU. Sie lernen Politik miteinander und voneinander und bilden eine eng verbundene Gemeinschaft mit gemeinsamen Werten, Bildungen und Erinnerungen.

Stellen Sie sich vor, wie es wäre, wenn die Politiker*innen viele neue Vertreter verkraften müssten, die genauso hochgebildet und erfahren wären, aber aus ganz anderen Hintergründen, Klassen und Kulturen kämen und andere Prioritäten hätten, als den herrschenden Konsens unter den Parteien beizubehalten. Vielleicht behalten die Politiker*innen daher Bildung und Wissen lieber für sich. Echte Demokratie sieht anders aus.

Laut Pisa-Studie hängt Schulerfolg in Deutschland überdurchschnittlich stark vom Elternhaus ab. Die Leistungsunterschiede zementieren wiederum die herrschenden Klassenverhältnisse. Steckt Absicht dahinter?
Jede will Vorteile für ihre Kinder, das ist normal. Mich wundert, wie anders das in den USA funktioniert. Ich machte meinen Bachelor in Philosophie am City College of New York; damals kostenlos für Studierende, die die Eintrittsprüfung bestanden. Viele kamen aus armen eingewanderten Familien der ersten Generation. Wegen des hohen Leistungsniveaus nannte man das CCNY damals "Harvard des Proletariats". Da der Schulerfolg dort unabhängig von der Bildung der Eltern war, glaube ich nicht, dass diese Verbindung in Deutschland der einzige Faktor ist.

Ich frage mich, ob Kinder von Besitzlosen, Arbeitern oder Migranten in Schulklassen gleichbehandelt werden; und ob deutsche unterprivilegierte Familien ihre Kinder nicht anspornen, weil sie keine erstrebenswerte Zukunft für sie sehen. Genau diese Vorurteile hat das Bildungssystem der DDR bekämpft.

Was halten Sie für den Ursprung der Chancenungleichheit?
Ich schreibe Chancenungleichheit der Pure Time Preference zu: der Tendenz zu bevorzugen, was zeitlich näher ist, weil es klarer, intensiver, lebhafter und dringender wirkt. Weil unser eigenes Befinden uns am nächsten ist, neigen wir dazu, uns zuerst darum zu kümmern. Die Sorgen anderer wirken weniger dringend, weil wir sie verspätet erfahren. Dabei sind die Zustände und Sorgen aller gleich wichtig und dringend. Wenn wir das einsehen könnten, würden wir Chancenungleichheit sofort abschaffen. Aber dafür sind wir zu dumm.

Aus Ihrer „Wahlkampagne“ spricht der Zeitgeist, der geprägt ist von Protesten wie Black Lives Matter oder den Demonstrationen gegen das Abtreibungsverbot in Polen. Mit Ihren Schildern bewegen Sie sich weg vom Museum hin zu den Bürgern auf die Straße. Würden Sie Massenproteste als Folge Ihrer "Wahlkampagne" begrüßen?
Nein, lieber würde ich auf jeder Berliner Fassade die Schilder sehen; und auf jeder Jacke die "≤ 15:1"-Anstecker - bis das Ziel erreicht ist. So wäre es unmöglich für Politiker*innen, die Wichtigkeit bester Bildung zu vergessen. Übrigens übernimmt die APRA Foundation Berlin sämtliche Kosten der Schilder und ihre Montage (Mehr Infos finden Sie hier: http://www.adrianpiper.com/art/Wahlkampagne/Fassaden.shtml, und http://www.adrianpiper.com/art/Wahlkampagne/Schichtentafel.shtml)

Angela Merkel wird 2021 nicht mehr kandidieren. Was wünschen Sie sich für Deutschland?
Dass sie es sich anders überlegt.

Welche Wahl war die wichtigste in ihrem Leben?
Ich müsste mich zwischen der Wahl für Obama als US-Präsidenten und der gegen Trump entscheiden. Beide waren gleich wichtig.

Agata Hofrichter

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false