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Friedrich Merz (CDU)  am Rednerpult will Bundeskanzler Olaf Schulz zum Bekenntnis seiner fehlerhaften Politik zwingen.

© Fotostand/Fotostand / Reuhl

Immer wieder heißt es: Farbe bekennen: Der Bekenntnis-Hype

Einige Anmerkungen zu einem Wort, das wieder einmal Karriere macht.

Von Norbert Schneider

Bekennen und Bekenntnis sind zwei Wörter, die derzeit im politischen Alltagsdiskurs auf den vorderen Plätzen landen. Fragt man nach dem Grund, dann könnte es sich um eine Folge jener Zeitenwende handeln, die sich jenseits von einem langatmigen Wenn und Aber für Bekenntnisse regelrecht angeboten hat. Denn nichts ist mehr, wie es war. Da ist es, wenn auch nur unter Umgehung historischer Analysen, konsequent, zu fordern: „Bekennen Sie endlich, dass Sie jahrelang die falsche Politik betrieben haben!“. „Bekennen Sie doch einfach, dass Putin kein Freund sein kann!“  „Sagen Sie ohne Zögern, jetzt und ohne zu wackeln, ja zu Leopard-Panzern!“

Überall Bekenntnisse

Vom ersten Tag des Krieges in der Ukraine an bekannte man sich – ganz in der Tradition von Heiligen Kriegen - allerorten zu den westlichen Werten. Harsch und hochmütig verlangt man von Migranten ein Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Aufgefüllt wird der Bekenntnis-Hype mit Varianten wie der Forderung nach einer öffentlichen Entschuldigung, genauer: einem politikbasierten Sündenbekenntnis, zu dem der Bundeskanzler immer wieder von ungeweihten Priestern ermahnt wird. Und ohne dass man es ein Bekenntnis nennen würde, obwohl es genau das leisten soll, werden Brandmauern hoch- und rote Linien eingezogen. Politik gerinnt in drei nicht diskutierbare (und insofern auch indiskutable) Worte “Nicht mit mir!“ oder in vierzig Zeichen.  Und Politiker bedienen sich lustvoll der Rhetorik von Staatsanwälten. Vor der Recherche kommt das Plädoyer: J’accuse. „Er kann es nicht!“

Die Menge solcher Forderungen und Festlegungen, solche nachdrücklich verlangten oder lauthals verkündeten Bekenntnisse, sind Grund genug, sich in der Begriffsgeschichte des Wortes „Bekenntnis“, auch avant la lettre, ein wenig umzusehen.

Auf frühe Formen und Gründe für das Bekennen stößt man in biblischen Geschichten von Sündenbekennern, die auf Vergebung hoffen. Richter 12, 5ff. erzählt einen Kriegsbericht:   „Dann verlegten die Gileaditer den Ephraimiten die Jordanfurten. Sooft nun ein flüchtiger Ephraimiter sprach: Lasst mich hinüber! fragten ihn die Männer von Gilead: Bist Du ein Ephraemit? Wenn er dann sagte: Nein! sprachen sie zu ihm: Sag einmal Schibboleth! Sagte er dann Sibboleth, weil er es nicht richtig aussprechen konnte, so griffen sie ihn und machten ihn an der Jordanfurt nieder. So fielen damals von Ephraim 42 000 Mann.“ Das „Schibboleth“ war das entscheidende, scheidende Codewort. Wer es kannte, bekannte sich als zugehörig zu einer Gruppe, einem Volk. Und lebte. Konnte er das Wort nicht aussprechen, war er ausgeschlossen, so gut wie tot. Tertium non datur.

In 1. Samuel 15,24 legt der König Saul vor Samuel, der Politiker vor dem Priester ein Sündenbekenntnis ab: „Ich habe gesündigt, weil ich den Befehl des Herrn und deine Worte übertreten habe“. Saul bittet Samuel um Vergebung. Doch Samuel diskutiert nicht. Lapidar bescheidet er den König: „Ich kehre nicht mit Dir um“. Damit ist Saul nicht mehr der König.

Das Sündenbekenntnis und die von Gott erflehte Vergebung durchziehen auch die Psalmen (etwa Ps. 6 oder 32). Stets sichert das Bekenntnis dem reuigen Bekenner sein Weiterleben. Es entscheidet über Exklusion und Inklusion.

Ich habe gesündigt, weil ich den Befehl des Herrn und deine Worte übertreten habe

König Saul

Im Gleichnis von den verlorenen Söhnen bekennt der jüngere der beiden Söhne, der in die Fremde gezogen war, als er hungrig und zerlumpt heimkehrt: „Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor Dir“. Das rührt den Vater zu Tränen. Das „Pater peccavi“ bewirkt Vergebung: „Denn dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden“. Das Bekenntnis rettet das Leben.

Speziell im Gerichtsprozess kann sich das Bekenntnis als Geständnis der Tat positiv auf das Urteil auswirken. Heute wäre es ein „mildernder Umstand“. Bis zum heutigen Tag sind Akte der restlosen Eindeutigkeit wie der Schwur, der Eid oder das Geständnis tragende Momente vor allem in Strafprozessen. Sie verändern für einen Angeklagten im Zweifel alles.

Wie eng die Verbindung sein kann, die Religion und Politik im Bekenntnis eingehen, geht aus einer populären reformatorischen Parole hervor: cuius regio, eius religio. Das Vaterunser ist ein Bekenntnistext. Das Confiteor ist ein wesentlicher Teil des katholischen Bußsakramentes. Auch die Parteien der späteren europäischen Glaubenskriege ziehen mit ihren jeweiligen Bekenntnissen auf den Lippen in einen Kampf um Leben und Tod. Auf dem Koppelschloss der Soldaten des Ersten Weltkriegs steht das konfessorische Mit Gott. Texte wie das Stuttgarter Schuldbekenntnis vom Oktober 1945 oder das „Mea culpa“ von Johannes Paul II vom 12. März 2000 machen Kirchengeschichte.

Heute zu bekennen kann auf den ersten Blick vieles heißen. Es ist längst nicht mehr auf Religion und Recht eingegrenzt. Man bekennt sich zu seinen Eigenarten, zu dieser oder jener Vorliebe für bestimmte Restaurants oder Fußballclubs. Zu einer politischen Partei. Zum Ehegatten.  Die meisten Sätze, die mit einem „Um mal ehrlich zu sein…“ oder einfach mit „Ehrlich…“ anfangen, kündigen ein Bekenntnis an, das in keinerlei Zusammenhang mit Tod oder Leben stehen muss. Nichts deutet auf eine religiöse oder juristische Vergangenheit hin.

Das Bekenntnis ist ein Schlüsselbegriff im Kampf um politisches Terrain. Es erinnert an seine Herkunft, wenn es die Realität in ein Entweder/Oder presst, einen komplexen Sachverhalt, eine Wirklichkeit mit Falten auf ein glattes Ja oder Nein reduziert. Das Bekenntnis als etwas Elementares, ist indiskutabel. Es vertreibt jedes Ja, aber…Ein Bekenntnis ist ein letztes Wort. Es stützt es ein manichäisches Weltbild, in dem der Bruder riskiert, dass ihm der Schädel eingeschlagen wird, wenn er Bruder nicht mehr sein will.  Dabei muss eine unausweichliche Reduzierung von Komplexität keineswegs als Bekenntnis enden.  Doch das ist anstrengend wie ein Nebensatz. Vielfalt und Vielzahl enden daher meistens in einem Alles oder Nichts. Exklusion schlägt Inklusion. Wer nicht bekennt, ist aus dem Spiel.

Es gibt auch heute noch Situationen, die zu einem Bekenntnis zwingen, aus Zeitgründen oder auch, weil etwas sehr Schwieriges gleichwohl entschieden werden muss. Es gibt nach wie vor ein Bekenntnis auf höchstem Niveau überall dort, wo bei einer Verweigerung ein tiefer Fall droht.  Es gibt das Farbe bekennen, schwarz oder weiß. Aber das ist ein (von den Umständen erzwungener) anderer Gebrauch als die kalkulierte Inanspruchnahme des Bekenntnisses in der politischen Rhetorik, das Erzwingen des pater peccavi, der Appell an ein Ressentiment: Wer nicht bekennt, hat etwas zu verbergen. Das Bekenntnis als Format der öffentlichen Rede wird heute unverhältnismäßig oft zu einem Instrument, mit dem man eine Gesellschaft restlos teilt. Die Forderung, sich oder etwas zu bekennen, eine falsche Einschätzung, eine Fehlentscheidung, ein Unrecht, eine Torheit, kurz und altmodisch: eine Sünde, bringt es mit sich, dass die Bekenntnisverweigerung zur zweiten Sünde wird.

Der Rückgriff der politisch Handelnden auf das Bekenntnis als unverzichtbare Tat der politischen Akteure hat sich der Sehnsucht nach Vereinfachung verschrieben, die jederzeit gut ist für rauschenden Beifall. Doch es ist nicht nur deshalb schon eine fragwürdige Methode, weil sie sich von einem Kernformat der politischen Verständigung in der Abwägung von Interessen, dem Kompromiss, verabschiedet. Das Bekenntnis suggeriert Klarheit und Eindeutigkeit, die es nur in sehr seltenen Fällen tatsächlich geben kann. Sie simplifiziert. Die Bekenntnisschwemme macht das Polarisieren zu einem gewöhnlichen Vorgang. Sie macht aus der Vielfalt eine Alternative und macht so den unsinnigen Begriff „alternativlos“ hoffähig. Und wie immer, wenn es ein Überangebot an Ware gibt: Sie nimmt der Sünde ebenso ihre Schärfe wie sie aus der Vergebung billige Gnade macht.

Die Instrumentalisierung des Bekenntnisses als ein mit Moral gehärtetes Werkzeug der Intoleranz, das Bekenntnis als Wort gewordene Grenzpolizei, schiebt Kenntnisse zur Seite. Es akzeptiert nur das Bekennen, keine Erklärung, keine Verweigerung: „Bekennen Sie sich schuldig!“ Wer sich verweigert, blamiert sich. Es sei denn, man wäre ein verschlagener Dealer, der wissen lässt: ich habe mich entschuldigt. Was bekomme ich dafür?

Es gibt wie fast immer bei Übertreibungen, so auch durch die Bekenntnisblüte einen Kollateralschaden.  Das Diskurs-Format mit dem Bekenntnis im Zentrum erzeugt bereits auf der Ebene der Fakten und Meinungen einen Blick auf die Wirklichkeit, der in der   politischen Publizistik, bei Korrespondenten, Redakteure, und vor allem Kommentatoren erst am Ende als Produkt ihrer Arbeit präsentiert werden sollte. Doch so kommt es zum zweiten Schritt vor dem ersten.

Es gehört zu den Kernaufgaben für Journalisten, aus einer vielfältigen, unübersichtlichen, vielfältigen Wirklichkeit einen (im Zweifel immer begründbaren) Extrakt der Fakten und Meinungen herzustellen, der dem Publikum so komplizierte Dinge wie den Krieg in Gaza, die Co2-Folgen oder die Finanzierung gesellschaftlich gebotener, aber fiskalisch prekärer Investitionen verständlich nachvollziehbar macht. Was aber soll ein Journalist im besten Sinne vereinfachen, wenn dieser Teil der Aufklärung schon durch diejenigen erledigt worden ist, die das Durcheinander erzeugt haben? Nicht zuletzt in den Kathedralen des Bekennens, oder in den Talkshows bei X oder Tiktok? Ihm bleibt selten die Zeit, ein Bekenntnis aufzuschnüren und seine Prämissen freizulegen. Er trifft auf einen bereits geschlossenen, verschlossenen Diskurs.  Die Versuchung für ihn ist groß, dass dann an die Stelle von Recherche und Analyse der unterhaltsame Transport tritt, und das Bekenntnis gesäubert, lackiert, frisch glänzend ins Haus liefert. Und anschließend dankt für „Analysen“ oder „Einordnungen“, die nichts anderes sind als Nacherzählungen von Nachrichten und Bildern.

Dabei bleibt es Sache der Publizistik, die vielen Bekenntnisse auf ihre Prämissen hin zu überprüfen, auf seine Erzeuger, auf seine Codeworte. Auf den ausgeübten Zwang. Auf das Schibboleth. Journalismus ist so gesehen Schibboleth-Kritik. Als Leitfragen sollte gelten:  was ist mit einem Bekenntnis beendet? Was ist in einem Bekenntnis verschwunden?   Doch dafür fehlen die Formate. News-Shows und Magazine bieten dafür gewöhnlich keinen angemessenen Platz.

Der Rückgriff der politisch Handelnden auf das Bekenntnis als unverzichtbare Tat der politischen Akteure bedient das Postulat der Vereinfachung, das jederzeit gut ist für rauschenden Beifall. Es ist eine fragwürdige Methode, weil sie sich von einem Kernformat der politischen Verständigung in der Abwägung von Interessen, dem Kompromiss, verabschiedet. Dies immer wieder deutlich zu machen ist eine Aufgabe des politischen Journalismus. Es braucht für sie Platz im Programm und Kapazitäten die Recherche.

Das Volk ist verunsichert

Das Volk, so behauptet es mindestens die Demoskopie, deren Frageraster nicht ein Ort für Feinheiten ist, - das Volk ist zutiefst verunsichert. Es will wissen, woran es ist. Auf diese Frage  reagieren die klaren Bekenntnisse, die jedes für sich den Anschein erwecken, es ginge um das Ganze. Bekenntnisse beseitigen Unsicherheit. Sie simulieren die neue Klarheit: bei den westlichen Werten, zur Ukraine, zu Israel. Zugleich polarisiert die Bekenntnisschwemme. Sie erweckt den Anschein von Eindeutigkeit. Sie macht aus der Vielfalt eine Alternative und macht so den unsinnigen Begriff „alternativlos“ hoffähig.

Dieser Aufforderung zur Bequemlichkeit muss sich die politische Berichterstattung verweigern.  Sonst passiert, was bei einem Überangebot immer passiert: Die Sünde verliert ihre Schärfe und aus der Vergebung wird die billige Gnade.

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