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Kultur: Kampfes Lust

Tsui Harks „Sieben Schwerter“ und bewaffnete Löwen: zur Eröffnung der 62. Filmfestspiele Venedig

Dante Ferretti kann zufrieden sein. In ansteigenden Dreierreihen posiert die Löwenparade des berühmten Filmausstatters vor dem Palazzo del Cinema, ein bisschen niedriger zwar als im vergangenen Jahr – doch bewachen sie diesmal gleich das ganze Areal. Ein paar Artgenossen aus falschgoldüberzogenem Metall thronen auf neuen, hohen Toren, die das Filmfestival vom Rest der Welt abschirmen. Dort fletschen sie weithin sichtbar und furchterregend die Zähne.

Tief unter ihnen werden elf Tage lang Bodyguards an einem runden Dutzend Metalldetektoren Dienst tun, an düstergrauen Rahmen, die jeder Cineast durchschreiten muss – als ginge es hier nicht ins Reich der Fantasie, sondern in den Sicherheitsbereich eines internationalen Flughafens. Der geflügelte venezianische Löwe, die höchste nationale Trophäe der Filmkunst, zum Zerberus herabdressiert: Ob Dante Ferretti, dieses Jahr Jury-Vorsitzender, angesichts solcher Inszenierung ein Unbehagen beschleicht?

Festung Lido: Das Festival begründet die Abschirmungsmaßnahmen mit der Terrorismusgefahr. Der „Corriere della sera“ mahnte am gestrigen Eröffnungstag schon vorsorglich zur Geduld. So seien sie Festivals nun einmal in Zeiten des Terrorismus. Ach ja? Die Berlinale und auch das traditionell kontrollsüchtige Cannes kommen ohne derlei Aufrüstung aus. Sicherlich ist der Bush-Verbündete Italien – nach Spanien und England, die bereits Ziel von Anschlägen wurden – besonders gefährdet. Nur: Hilft dieser martialische Auftritt, der den zentralen, zum Meer nur durch die Uferstraße abgetrennten schmalen Bereich um den Palazzo del Cinema und das Casino zur totalen Sperrzone macht? Man wird daran zweifeln dürfen, ob die Wehrhaftigkeit signalisierenden, tatsächlich aber arg luftigen Anlagen geeignet sind, einem tatsächlichen Angriff standzuhalten.

Eines aber gelingt dieser 62. Mostra del Cinema mit dem monströsen Outfit bestimmt: Es vertreibt jenen unverwechselbar entspannten Geist äußerer und innerer Sommernachwärme, der das Festival bisher ausgezeichnet hat – abseits des februarkalten Berlin und des eilig geschäftskühlen Cannes. Schwer vorstellbar, dass sich dieser Tage auf den Stufen vorm Casino, traditionell ein Treffpunkt der Festivalgäste, noch die Flaneure der Filmkunst niederlassen, wenn der Ausblick nicht mehr Richtung Meer, sondern auf piepsende Elektronikgatter und eine mannshohe weiße Mauer geht – und sei sie nur ein auf Rollen gebautes, plastikplanenüberzogenes Stahlgerüst. Schwer vorstellbar, dass man sich, umgeben von Polizeitrupps, noch in halsbrecherische Debatten über Filme einlassen mag – dabei ist eben jenes schöne Vergnügen sinnstiftenden Streitens das Salz jedes Festivals. Gut möglich, dass diese Mostra sich angesichts kontrollbedingter Verzögerungen jenes Chaos einhandelt, das ihr wegen eines skandalös überbuchten Terminplans vergangenes Jahr fast den Garaus gemacht hätte.

Ist die neueste Ausgabe des ältesten Filmfestivals der Welt, das sich zuletzt beinahe ins Abseits der drei Großen manövrierte, schon erledigt, bevor es begonnen hat? Aber nicht doch. Die Stars – von George Clooney bis Renee Zellweger, von David Cronenberg bis Tim Robbins – kündigten sich schon zum Eröffnungsabend in Massen an, und auch die Medien wollen in ungeahnter Menge dabei sein. Nur das Kino, um das es eigentlich geht, wird zur Nebensache. Oder es muss gleich als schrille Dissonanz daherkommen, wenn es gehört, gesehen, wahrgenommen werden will.

Der Eröffnungsfilm „Seven Swords“ (Sieben Schwerter) stammt von Tsui Hark, dem Steven Spielberg des chinesischen Martial-Arts-Genres. Das 144-Minuten-Opus beginnt mit grausigen Szenen: Eine Dorfbevölkerung wird niedergemetzelt. Damit es sich für die Invasoren richtig lohnt, ist der Blutsold auf 300 Silberstücke pro Kopf erhöht worden, Kinder und Greise eingeschlossen. China, 1660: Gerade hat die mandschurische Ching-Dynastie die Macht übernommen – und mit Stumpf und Stiel, mit Armbrüsten und zu fliegenden Kreissägen umgebauten Rundschilden werden jene widerständigen Nester ausradiert, die von der frisch verbotenen KungFu-Kampfkunst nicht lassen wollen. Nur eines gibt es noch, oben in den Bergen, eine Art gallisches Dorf, das der Gewalt der Cäsaren trotzt. Seine Geheimwaffe: kein Zaubertrank und kein Humor – sondern sieben Samurai mit sieben Zauberschwertern, die alsbald ausziehen, die Regierungstruppen nach Kräften das Fürchten zu lehren.

Mal sausen die Wolken im Zeitraffer, mal sausen die Schwerter in Slow Motion, mal ist Sommer im Maisfeld, kurz davor bunter Herbst im Walde und sowieso ewiges Eis im Hochgebirge. Mal weinen schöne Frauen zum Abschied, mal stehen Pferde einsam auf Anhöhen und wiehern tief empfundenen Pferdeschmerz in die Weite: „Seven Swords“ ist prächtiges, allerdings auch reichlich hermetisches Überwältigungskino, Schlachteplatte für tausend Personen, Kino-Dröhnung pur. Und seine Dialoge schnurren, trotz Geschwätzigkeit, bald auf Kernsätze zusammen, die mancher getrost nach Hause nehmen mag. „Trink das Blut deines Feindes, und du verlierst jede Angst!“, rufen die Helden von der Leinwand herunter. Oder: „Um einen Mann zu kennen, muss man mit ihm kämpfen!“ Mit anderen Worten, „Seven Swords“ ist ein Handwerksmeisterwerk, an dem sich Myriaden von Lehrlingen im cineastischen Ausbildungsberuf „Posthistorisches Kampfballett“ die Zähne ausbeißen können.

Nur was erzählt uns der Film, über seine Schauwerte hinaus? Eigentlich nichts. Was will uns der promovierte Sinologe und Asien-Filmfan Marco Müller, seines Zeichens Festivalchef, mit „Seven Swords“ sagen: Dass die Zukunft des Kinos in Asien liegt? Das wussten wir bereits – und haben längst subtilere Variationen des Genres kennen gelernt. Oder geht es darum, das Schwert als zeitloses Kampfinstrument zu etablieren? Auch in „Final Fantasy VII“, dem ebenfalls am ersten Festivaltag präsentierten neuesten Produkt jener futuristischen Saga, die mit ausschließlich computergenerierten Bildern um die realitätsidentische Wiedererfindung des Menschen ringt, wird das Schwert gezogen, noch und noch. Allerdings sind es überwiegend blasse Szenerien, in die der japanische Regisseur Nomura Tetsuya und sein „Creature Designer“ Takayuki Takeya zu entführen suchen. Zudem wurden seit „Final Fantasy I“ beim digitalen Kampf gegen die Schwerfälligkeit der Schritte sowie die seltsam grauen Zähne totalanimierter Personen kaum Fortschritte gemacht. Ganz und gar vergeblich zudem die Liebesmüh, den Helden so etwas wie Atem einzuhauchen.

Andererseits: Gleich zu Beginn von „Fantasy VII“, dies immerhin ein festivaltauglicher Befund, jagen vierfüßige, blutrote Kreaturen über eine mondartige Kraterwüstenei. Es könnten seltsam mutierte Wildschweine sein. Oder auch aus dem schönen Venedig endgültig verjagte Löwen: die traurigsten Tiere der Welt.

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