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Berliner Philharmoniker: Kommunizierende Gören

Das diesjährige Tanzprojekt der Berliner Philharmoniker lässt Jugendliche von ihrer Stadt erzählen. Jugendliche Asylbewerber proben gemeinsam mit deutschen Teenagern und versuchen, sich dem Phänomen Metropole zu nähern.

Von Sandra Luzina

Die Aufgabe klingt so simpel: Die Jugendlichen der Lis:sanga Dance Company sollen einzeln das Studio durchqueren. Nur das, ohne sich ablenken zu lassen. Es wird gejohlt, gelacht und wild durcheinander geredet. Jungs und Mädchen werfen sich verstohlene Blicke zu. Auch wenn die Amateurtänzer sich wie gewöhnliche Teenager benehmen: Ihre Gruppe ist in ihrer Zusammensetzung einzigartig. Neben deutschen Teens sind auch jugendliche Asylbewerber dabei, die meisten von ihnen kommen aus Schwarzafrika.

Bouba Kaba ist einer von ihnen. Der 18-Jährige aus Guinea probt mit den anderen für den großen Auftritt beim diesjährigen Education-Tanzprojekt der Berliner Philharmoniker. Die französische Choreografin Mathilde Monnier entwickelt zu Heiner Goebbels’ „Surrogate Cities“ mit 125 Darstellern – Teenagern, Grundschülern aus Neukölln, Senioren und Kung-Fu-Schülern – in der Arena Treptow ein urbanes Kraftfeld. Das Orchester wird im Zentrum platziert: Es bildet eine Stadt aus Tönen.

Heiner Goebbels 1994 uraufgeführte Komposition für großes Orchester, Mezzosopran, Sprechstimme und Sampler ist eine Annäherung an das Phänomen Metropole. Monnier ergänzt das vielschichtige Werk um eine weitere Komponente: die Stadt spiegelt sich hier in den Bewegungen ihrer Bewohner. Sie ist erfahrbar als urbanes Dickicht aus Energie, Emotionen und Erinnerungen.

Die Leiterin des Centre Choréographique National in Montpellier und ihre drei Assistenten sind seit Wochen unermüdlich im Einsatz. Die jungen Asylbewerber hätten gut hineingefunden in das Projekt, bestätigt Monnier. Eine Arbeit mit „Problemgruppen“ sei das aber nicht.

Bouba blickt derweil gebannt auf einen kleinen Monitor, auf dem der Vokalkünstler David Moss zu sehen ist. Seine kleine Gruppe versucht, den Klangperformer nachzuahmen, die extreme Mimik, die wilden gestischen Zeichen. „Krass“ findet Bouba den amerikanischen Künstler. Er hört sonst am liebsten Reggae und Ragga – Goebbels monumentale Musik hat ihn nicht weniger befremdet als seine deutschen Altersgenossen. Ob das überhaupt Tanz sei, was er da mache? Bouba ist sich nicht so sicher. Doch er bahnt sich seinen Zugang zu dem komplexen Werk, und er scheint einen geheimnisvollen Dialog mit Moss aufzunehmen.

Bouba war gerade 15, als er nach Deutschland kam, allein. Über seine Fluchtgründe möchte er nicht reden, erklärt er – und dabei kommen ihm fast die Tränen. Doch, er komme schon allein klar. Was bleibt ihm auch anderes übrig? Einen Rückhalt hat er in der Lis:sanga dance company gefunden. „Wir verstehen uns gut und arbeiten gern zusammen. Als ich dazu kam, war ich sehr auf der Hut. Hier habe ich gelernt, mit anderen zusammenzusein. Ohne Angst.“

Bouba hat schon Bühnenerfahrungen gesammelt, er ist in dem Lis:sanga Projekt „Krieg“ aufgetreten und war auch schon bei dem Philharmoniker-Projekt „Les Noces“ 2006 mit dabei. Alle waren damals sehr angetan von dem zierlichen Tänzer. Nun legt er sich wieder ins Zeug. „Ich versuche, so gut wie möglich zu sein, damit es am Ende eine tolle Aufführung wird.“ Und er ist zweifellos ein expressiver Darsteller, der seine eigene Fantasie einfließen lässt in dieses musikalisch-szenische Panorama.

„Unsere Beziehung zur Stadt ist durch den Körper geprägt“, erklärt Monnier. „Bei der Arbeit ging ich also nicht von einer geografischen oder architektonischen Idee aus. Ihr Körper ist der Ausgangspunkt – und daraus entwickelt sich eine Geografie.“ So wurden die Jugendlichen zum Beispiel aufgefordert, ihre Bewegungen zu zeichnen. Mit Kohlestiften halten sie nun die Körper-Umrisse und Bewegungsspuren auf großen Papierblättern fest, die auf dem Boden ausgebreitet sind. „Es ist toll, wie die Bewegungen auf einmal geometrisch und abstrakt wurden“, schwärmt Monnier.

Mathilde Monnier hat zwar zuhause in Montpellier eine Tanz-Partitur erarbeitet, doch bei den Proben in Berlin ließ sie sich von der Vorstellungskraft der Kinder und Jugendlichen leiten. „Mich interessiert ihre Wahrnehmung. Ich mache Vorschläge, sie haben aber genug Freiraum, um ihre eigenen Ideen auszuprobieren. Sie sind also an der Choreografie beteiligt“ Die Voraussetzung für diese Art des Arbeitens sei natürlich Respekt: „Ich respektiere sie – und sie müssen mich respektieren.“

Monniers Thema ist natürlich auch das Verhältnis zwischen Stadt und Individuum. „Welche Macht hat die Stadt über den Einzelnen? Wie kann das Individuum sich behaupten, so dass es nicht verschluckt wird von diesem großen unkontrollierbaren Ganzen?“ Schon Aristoteles schrieb: „Eine Stadt besteht aus unterschiedlichen Menschen; ähnliche Menschen bringen keine Stadt zuwege.“ Mit so gegensätzlichen Gruppen wie hier in Berlin zu arbeiten, empfindet die Französin als bereichernde Erfahrung. Eine Botschaft will sie daraus nicht ableiten. Gerade das sei doch die Quintessenz urbanen Lebens: „Du begegnest ganz unterschiedlichen Menschen und verbringst ein wenig Zeit mit ihnen.“

Arena, 2. und 3. Februar. Beide Abende sind ausverkauft.

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