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Ernst Jünger im hohen Alter.

© picture alliance / dpa

Ernst Jünger, der umstrittene Autor: Sex, Drugs und Heldentum. Niels Penke entlüftet Ernst Jünger

Ernst Jünger wird gerne als Militarist missverstanden. Tatsächlich ist er ein Vorläufer des heutigen, post-heroischen Zeitalters.

"Dying for the right cause is the most human thing we can do.“ – Was ein Zitat aus „Blade Runner 2049“ ist, könnte eins zu eins von Ernst Jünger stammen, in dessen 1922 erschienenem programmatischen Essay „Der Kampf als inneres Erlebnis“ es heißt: „Mehr als überwindend sterben, kann der Mensch nicht. Darum müssen ihn selbst die unsterblichen Götter beneiden.“

Die Popkultur, der von Rechten und auch Linken einst und jetzt wieder viel geschmähte, ach so böse Westen hat tatsächlich viel vom geistigen und auratischen Bestand des heroischen Zeitalters über die „Stunde null“ und das „Ende der Geschichte“, jene beiden zentralen Zäsuren des 20. Jahrhunderts, in die digitale Post-Postmoderne hinübergerettet. Heldentum ist in der Popkultur, die längst Hochkltur ist, allgegenwärtig, und als Mann kann man sich eine heimliche Freude darüber nicht verkneifen, dass auch (gerade?) unter weiblicher Personage das Männliche als Heroisches unangefochten fortbesteht: ob die ätherische Jennifer Lawrence als Katniss Everdeen oder die hinreißende Diane Kruger in Fatih Akins Film „Aus dem Nichts“, nicht zu reden von den Baller-Heroinnen „Lara Croft“ und „Atomic Blonde“: Soldatinnen der Gerechtigkeit, Kriegerinnen des Guten sind sie alle. Dass der Postheroiker David Bowie kurz vor seinem Tod ausgerechnet die Neuseeländerin Lorde, deren Debut „Pure Heroine“ 2013 weltweit die Charts knackte, zu seiner Nachfolgerin im Geiste erkor, passt in dieses Bild.

Jahrhundertgeburtstag ohne Feier

Das Krieger- und Heldentum als literarische Kategorie geprägt hat in Deutschland niemand so sehr wie Ernst Jünger, dessen zwanzigster Todestag am 17. Februar in der deutschen Öffentlichkeit mit geflissentlichem Schweigen begangen wurde. In der Wissenschaft immerhin blieb der kleine Jahrestag nicht echolos: Dem Siegener Germanisten Niels Penke verdanken wir eine erfreulich kurze und frische Schrift, „Jünger und die Folgen“, worin der 1981 geborene Autor den Weltkriegsleutnant und Pour-le-Mérite-Träger dem konservativ-revolutionären Dunstkreis zu entrücken und für die popkulturelle Moderne zu aktualisieren vornimmt.

Einen Widerstandskämpfer macht Penke aus Jünger allemal nicht, aber darum geht es ihm auch nicht. Auffallend bleibt gleichwohl, dass das Frontschwein Jünger sich der offiziösen Inbeschlagnahme durch die Nazis nach 1933 verweigerte, sich auch nicht mit intellektuellen oder literarischen Rechtfertigungen des Regimes prostituierte – anders als die brandstiftenden Biedermänner Carl Schmitt und Martin Heidegger, die den Krieg in der Etappe verbracht hatten. Es waren diese Spießer, nie ganz sicher in ihrer Männlichkeit, nie richtig initiiert, die zu den emphatischsten Stützen des Barbarentums wurden – der Rock ’n’ Roller Jünger, hundert Prozent Mann, hatte dergleichen nicht nötig. Er war 1913, noch vor dem Abitur, zur Fremdenlegion ausgerissen; als reifer Mann experimentierte er mit LSD.

Ohne Ideologie

Über Goethe wurde bekanntlich gesagt, das eigentlich Interessante an ihm sei sein Leben gewesen, wohingegen er in seinem literarischen Schaffen immer unter seinen Möglichkeiten geblieben sei. Ähnliches gilt von Jünger, und das macht ihn für die digitale Moderne, in der literarische Begabung nicht mehr automatisch als Ausweis von Genialität gilt, interessant. Viele große Schriftsteller finden ihre Biografie erst durch und in ihrem Schreiben – Ernst Jünger dagegen hatte bereits eine Biografie hinter sich, als er zum Schriftsteller wurde.

Derart immunisiert gegen den Versuch, biografische Defizienz durch Ideologie zu kompensieren, lehnte Jünger schon in den 20er Jahren das Konzept von Rasse und Nation ab. Es schien dem Großbürgerssohn, der durchs Fronterlebnis nur noch weltmännischer geworden war, zu Recht hoffnungslos veraltet. Dass seine „Stahlgewitter“ vom aufrüstungs-, mobilmachungsschwangeren NS-Kulturbetrieb begierig ikonisiert wurden, verwundert nicht; dass wiederum seine „Marmorklippen“ von 1939 schon damals als Widerstandsbuch gelesen wurden, ist ein Gemeinplatz. Seine „Strahlungen“, die Kriegstagebücher 1940–45, hat Jünger nach dem Krieg frisiert, hier und da womöglich eine Note des Entsetzens und Widerstehens hinzugefügt oder verstärkt; trotzdem sind sie vielleicht sein stärkster Text, bestehen durchaus den Vergleich mit Goethes „Dichtung und Wahrheit“.

Nichts genmein als den Weltkrieg?

Der Nachkriegs-Jünger dann extrahierte in seinem Essay „Der Friede“ „aus der Negativität des Zivilisationsbruchs, der Shoah und des Zweiten Weltkriegs, eine Wendung ins Positive“ und abstrahierte, so Penke, „von den historischen Rollen als Täter und Opfer eine Menschheit, die lediglich eine schicksalshafte Erfahrung, den Krieg, teilt“.

Der Wehrmachtshauptmann Ernst Jünger und die – im postheroischen Deutschland vergessene – 26-jährige jüdische Widerstandskämpferin Mala Zimetbaum, die sich nachts mit ihrem Mithäftling auf Mengeles Seziertisch liebte und vor ihrer Hinrichtung den SS-Scharführer mit den unsterblichen Worten „Ich werde als Heldin sterben, du verreckst wie ein Hund“ ohrfeigte: zwei unterschiedliche Protagonisten derselben heroisch-individualistischen Haltung?

Keion Mann für die Neue Rechte

Ja – denn im global village, das aus seinem universellen Opferbewusstsein sein Herrentum gewinnt, sind wir längst so weit. Im Zeitalter des Cyborgs kann der Gott des 19. Jahrhunderts uns nicht mehr retten, sondern nur die Einsicht in unsere künftige Mission als Homo Deus – oder eben Homunculus.

Seinen referenziellen Wert für die miefige Neue Rechte aber, die den Pennälertraum vom Bismarck’schen Nationalstaat träumt, hat der Ernst Jünger des heroischen Individualismus längst verloren, ja mehr noch: Er hat ihn nie wirklich besessen.

Niels Penke: Jünger und die Folgen. J. B. Metzler Verlag, Stuttgart 2018. VIII, 176 S., 19,99 €.

Konstantin Sakkas

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