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Peugeot, Automobile Peugeot type BP1 dite «Bébé Peugeot», torpédo, 1913. Collection Schlumpf, Mulhouse. Photo © Philippe Lortscher.

© Philippe Lortscher.

„Paris und die Moderne“ im Petit Palais: Als die Künstler die Schönheit des Propellers entdeckten

Opulenz, Luxus und Frivolität, als hätte es den Ersten Weltkrieg nicht gegeben: In Frankreich entwickelte sich die „Art déco“. Eine Schau dieser „verrückten Jahre“ ist jetzt in Paris zu sehen.

Von Bernhard Schulz

Mit der Ausstellung zu Josephine Baker in der Neuen Nationalgalerie weht etwas von dem Lebensgefühl herüber, das in Paris zu spüren gewesen sein muss, als die Tänzerin dort ihre Karriere startete. Die „Revue nègre“ war die Sensation vom 2. Oktober 1925 an, und das im eleganten Théâtre des Champs-Élysées, das seit seiner Eröffnungssaison 1913 mit Premieren der „Ballets russes“ als Hort des Neuen und Wagemutigen galt.

Die Champs-Élysées waren einst der Magnet, der nicht nur die Schönen und Reichen anzog, sondern mit ihnen auch das Neue, Gewagte, kulturell Ambitionierte. Als Siegermacht des Ersten Weltkriegs schwelgte Frankreich, anders als der von Krisen gebeutelte Nachbar jenseits des Rheins, im Glanz seiner Hochkultur, als hätte es nie einen historischen Bruch gegeben. Im selben Jahr 1925 sollte die „Exposition internationale des arts décoratifs et industriels modernes“ die Vorrangstellung von Frankreich und von Paris in Mode und Gestaltung unterstreichen. Nach ihr ist „Art déco“ als Stil benannt, modern, aber gefällig, immer elegant – und teuer.

All das ist derzeit in der Ausstellung des Petit Palais in Paris zu sehen, die unter dem Titel „Das Paris der Modernität, 1905-1925“ genau auf dieses wundersame Jahr in der Mitte des Jahrzehnts hinführt. Denn die Ereignisse des Jahres 1925, diese Verbindung von Neuem und Frivolen, von Geld und Glanz kamen so wenig aus dem Nichts wie beim westlichen Nachbarn die Kargheit von Sozialbausiedlungen und Bauhaus.

Das Lebensgefühl der Champs-Élysées

Annick Lemoine, die Direktorin des städtischen Kunstmuseums in dem zur Weltausstellung von 1900 erbauten Haus, und ihre Chefkuratorin Juliette Singer spielen die Opulenz so richtig aus, die die Verdichtung auf Ort und Lebensgefühl der Champs-Élysées ermöglicht. Nicht so sehr die Lebenszentren der modernen Künstler stehen im Mittelpunkt. Montmartre und Montparnasse werden hier in ihrer Bedeutung als Drehscheiben internationalen Kunstaustausches akzentuiert, mit Künstlern so verschiedener Herkunft wie Modigliani, Man Ray oder Léonard Foujita.

Das längst entstehende, nur noch nicht so benannte Art-déco meinte die Integration aller Künste, einschließlich des Kunsthandwerks und der Mode, in etwas, das weniger ein kohärenter Stil war als vielmehr Ausdruck eines ganz und gar gegenwärtigen Lebensgefühls.

Ganze Raumfluchten sind in der jetzigen Ausstellung der Mode gewidmet, vor allem von Paul Poiret, und den exquisiten Möbeln von Jacques-Émile Ruhlmann. Dazu Gemälde von Tamara de Lempicka, die die „neue Frau“ etwa beim Skifahren in Sankt-Moritz darstellte. Da passt die „Revue nègre“ wunderbar hinein und wird hier mit dem Originalentwurf des Plakats von Paul Colin gewürdigt.

Ungebrochen, so scheint es, war die Herkunft dieser Luxuskunst vom Jahrhundertbeginn her. Wo war der Krieg 14/18? In der Ausstellung des Petit Palais ist er durchaus präsent, aber eben nicht als alle Fundamente weg sprengende Katastrophe wie beim deutschen Nachbarn, sondern eher nur als Unterbrechung, als ein Ruckeln im Fortgang der auf immer weitere Verfeinerung gerichteten Kulturentwicklung.

Chromglanz und Propeller

So kommen die technischen Neuerungen des Jahrhundertbeginns nur als staunenswerte Objekte in den Blick, ein Auto und sogar ein Flugzeug des Jahres 1911 wurden ins Museum gebracht. Daran delektierten sich die Künstler, die wie Robert Delaunay oder Constantin Brâncuși die makellose Schönheit der Propeller und den Glanz der metallenen Oberflächen in ihre eigene Kunst überführten.

Es ist die Stärke dieser Ausstellung, dass sie sich nicht mit den bekannten Namen und Werken bescheidet, sondern Unbekanntes, bald Verflogenes und Vergessenes einbezieht. Zu entdecken sind Künstlerinnen wie Marevna (Marie Vorobieff), die schon vor der Welle der Russland-Flüchtlinge der Jahre ab 1918 nach Paris gekommen war, Jacqueline Marval oder die ukrainische Bildhauerin Chana Orloff.

Die „Années folles“

Paris bot alles, Ateliers, Galerien und einen florierenden Kunstmarkt, den wohlhabende Sammler wie Raoul La Roche mit ihren Ankäufen anheizten. Beflügelt wurde auch der Bausektor, dank der Aufträge zu etlichen Villen, entworfen etwa von dem 1925 vielbeschäftigten, später zurückgezogenen Robert Mallet-Stevens.

Ja, die „Années folles“, wie sie in Frankreich heißen, diese verrückten Jahre dauerten nicht ewig. 1925 ist so etwas wie der Höhe- und zugleich Wendepunkt. Josephine Baker konnte zu ihrem Superstar werden, weil sie mit ihren Revuen so etwas wie das Versprechen verkörperte, eine Welt jenseits von Armut, Mühsal und Diskriminierung sei nahe, ja fast schon vorhanden. Es waren eben verrückte Jahre.

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