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Blick in die Ausstellung von Bridget Riley mit zwei Wandarbeiten der 92-jährigen Künstlerin.

© Courtesy the artist and Galerie Max Hetzler, Berlin | Paris | London, Foto: def image

Tanzende Punkte, fließende Rauten: Die Wandmalereien von Bridget Riley

Die Galerie Hetzler überrascht in ihren größten Berliner Räumen mit einer Ausstellung der britischen Ikone von Museumsniveau

Von Jens Müller

Zu den unbestreitbaren Vorzügen von Wandmalereien gehört es, dass diese, anders als Leinwände und Bilderrahmen, unmöglich von der Wand fallen können. Die Immobilität bringt dafür andere Komplikationen mit sich. Mögen die Eigentümer von Häusern, auf denen der populäre und hoch gehandelte Street Art-Künstler Banksy seine Graffitis stets ungefragt und nächtens hinterlässt, ihr Glück zunächst kaum fassen können, stehen sie bald vor der Frage, wie sie zugleich ihr Heim behalten und den Banksy meistbietend verscherbeln können.

Aber auch für dieses Problem finden sich Lösungen – Spezialisten im Versetzen von Mauern. Und so wenig amüsiert Banksy sich darüber gibt, so sehr tragen diese Geschichten wiederum zu seiner Popularität bei und zu seinem Ruf als dem eingefahrenen Kunstbetrieb eine lange Nase drehender Nonkonformist.

Es wird ein bisschen getrickst

Auf diese Sorte von heroischem Leumund legt seine Landsmännin und Künstlerkollegin Banksys keinen besonderen Wert. Bridget Riley ist sehr wohl daran interessiert, ihre naturgemäß ortsgebundenen Wandmalereien auch anderenorts in Ausstellungen zeigen zu können. Ihre Lösung ist pragmatischer Art. Sie lässt sich für ihre Wandarbeiten das Recht auf eine „exhibition copy“ einräumen. Für die Dauer der Schau existieren die Einzelwerke dann in einer zweiten Ausführung – die aber nicht als weniger original als die Reproduktion also begriffen werden soll, die sie technisch gesehen natürlich ist. Ein bisschen getrickst mag das sein. Aber sei’s drum.

Wenn dadurch, erstens, eine Bridget-Riley-Retrospektive auf höchstem musealen Niveau möglich wird, wie sie ihr derzeit die Galerie Max Hetzler ausrichtet. Und wenn, zweitens, die Unbeweglichkeit der Kunstwerke, anders als beim Kollegen Banksy, nicht Teil des Konzepts ist, sondern lediglich ein zugunsten anderer Vorzüge in Kauf genommener Nachteil ist. Die Vorzüge: 782 auf 1702 Zentimeter misst die brandneue Arbeit „To be titled“. Eine Leinwand in entsprechendem Format dürfte sich kaum in einem Stück konstruieren geschweige denn transportieren lassen.

Punkte tanzen über die Wand

Der andere, noch entscheidendere Vorzug besteht in dem Verzicht auf die Kadrierung, wie sie selbst eine ungerahmte Leinwand für jedes Bild bedeutet. Bei beiden Bildern tanzen die Riley-typischen Punkte in ihren pastellfarbenen Schattierungen von Grün, Blau und Violett über die großflächige Wand, von keiner Begrenzung aufgehalten. Kein Wunder, dass die Künstlerin, als sie Anfang der 1960er Jahre auf der, pardon, Bildfläche erschien, ob solcher Effekte sogleich in die Op-Art-Schublade einsortiert wurde. Ganz zu ihrem Missfallen übrigens. Aber es passte wohl einfach zu gut.

Bridget Riley ist inzwischen 92 Jahre alt. Sie hat es sich nicht nehmen lassen, zur Vernissage ihrer Ausstellung persönlich anzureisen. Korrekturen an den in einem Zeitraum von fünf Wochen von einem Team aufgebrachten Wandbilder konnte sie natürlich nicht mehr vornehmen. Die psychedelische Leichtigkeit einer Bridget Riley erfordert einen enormen Aufwand und maximale Präzision. Spezielle Leuchten mussten montiert, Folien auf die Oberlichter geklebt werden. Die Wände hat man auch nicht einfach übermalt, sondern abgeschliffen, das Weiß der Wände in vier Schichten aufgetragen. „Composition with Circles 5“ (2005) wurde von den Mitarbeitern mithilfe von Kreisschablonen und Edding auf die Wand aufgebracht – auch aus nächster Nähe sind nicht die geringsten Unregelmäßigkeiten auf die handwerkliche Entstehung erkennbar.

Nur vier Werke sind verkäuflich

„Wall Works 1983-2023“ ist Bridget Rileys erste Ausstellung ausschließlich mit ihren Wandmalereien. Außer Punkten und Kreisen gibt es vertikale und horizontale Streifen und Formen, die an zerfließende Rautenmuster denken lassen. Ihr über Jahrzehnte entwickelter Kanon aus Formen und Farben. Zu sehen sind dreizehn „exhibition copies“ aus vier Jahrzehnten – solange hat Bridget Riley die Wandbilder in ihrem Repertoire. Sie „hängen“ sonst und „hängen“ auch während der Schau in der National Gallery of Australia, Canberra oder in der Staatsgalerie Stuttgart. Vier Arbeiten sind für die Ausstellung neu entstanden, zwei bereits verkauft. Das größte Werk ist noch zu haben – auf den Preis lässt sich aus der von der Galerie lediglich angegebenen Preisspanne von 350.000-575.000 Pfund schließen.

Riley geht unter die Decke

Eine weitere Bridget-Riley-Premiere hat es in diesem Jahr gegeben. Zum ersten Mal überhaupt hat sie eine Decke bemalt, nicht irgendeine, sondern das Tonnengewölbe der British School at Rome. Ob das auch eine Anregung für Banksy sein könnte? Wenn er seine Graffitis etwa auf die Betondecke eines Verkehrstunnels sprühen würde, dürften sich daran auch Experten die Zähne ausbeißen. Bildlich gesprochen.    

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