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Steile Kurve. Straße in Nordfrankreich.

© Getty Images/Bonnafe Jean-Paul

Thrillerklassiker „An der A26“: Der Tod und das Meer

Ein Klassiker des französischen Kriminalromans, endlich auf Deutsch: Pascal Garnier erzählt in „An der A26“ von einem gefährlichen Geschwisterpaar.

Als Kind ist Bernard Bonnet in den Ferien gerne mit geschlossenen Augen am Meer entlanggelaufen. Um zu üben, falls er eines Tages blind werden würde. Jetzt ist er nicht blind, aber todkrank. Krebs. „Der Tod“, sagt er, „steigt, so wie das Meer, er peitscht mir mitten ins Gesicht, eine gewaltige Welle aus schwarzem Schaum“.

Dann denkt er, jetzt passiert’s, gleich ist alles vorbei. Aber dann zieht sich der Tod wieder zurück. Und Bernard weiß, dass er wiederkommen wird.

Bernard gehört zu den Protagonisten von Pascal Garniers Kriminalroman „An der A26“. Seit der Bahnangestellte krankgeschrieben ist, verfügt er über ein „Übermaß an nutzloser Freiheit“, was er dazu nutzt, mit dem Wagen durch die ländliche Peripherie entlang der nordfranzösischen, gerade entstehenden Autobahn 26 zu streifen. Trotz aller Hässlichkeit, heißt es einmal, sei es „die herrlichste Landschaft der Welt“.

Gewalt ist bei Garnier mit Poesie unterfüttert

Einmal nimmt Bernard eine 17-jährige Anhalterin mit, vergewaltigt und ermordet sie. Dann lernt er in einem Restaurant in Lille eine junge Frau kennen, die er ebenfalls umbringt.  Die erste Leiche entsorgt er in einer Autobahn-Baugrube, die alsbald zubetoniert wird. Die zweite wirft er in eine Sickergrube. Und träumt davon, in der Boulevardpresse künftig als „Vollmondkiller“ vorzukommen.

Im französischen Original ist der Thriller bereits 1999 erschienen. Dass er nun – wie zuvor bereits Garniers Roman „Der Beifahrer“ – in einer deutschen Übersetzung herauskommt, ist ein Glücksfall. Denn Garnier, der 2010 starb, war ein rabenschwarzer Lakoniker, der mit Georges Simenon verglichen wurde, aber einen härteren literarischen Punch besaß. Gewalt ist bei ihm mit Poesie unterfüttert.

Im Zentrum von „An der A26“ steht eine monströse Figur, Bernards Schwester Yolande, die seit fünfzig Jahren das Haus nicht mehr verlassen hat, seitdem man ihr am Ende des Zweiten Weltkriegs den Kopf kahlgeschoren hatte. Eine brutale Bestrafung dafür, dass sie sich mit deutschen Soldaten einließ.

Die Welt draußen beobachtet sie durch ein Loch im Fensterladen, das sie „Loch am Arsch der Welt“ nennt. An die „Deutschköppe“ kann sie sich kaum noch erinnern, aber wie ein schwer erziehbares Kind glaubt sie fest daran, dass die Résistance noch immer gegen die Besatzer kämpft.

Die Intensität steigert sich, Seite um Seite

Er sei „ein Instrument des Todes geworden, der Tod selbst“, so wird Bernard charakterisiert. In einer der besten Szenen treibt er sich in einer ehemaligen Lagerhalle des Güterbahnhofs herum. Die Bodenplatte ist geborsten, die Natur siegt, Grashalme sind stärker als Tonnen von Stahl und Beton.

Obszöne Schmierereien an den Wänden lassen Bernard an die Weichen in den Gleisanlagen denken. Die Zeichnungen sind mit Kreide hingekritzelt oder mit geschärften Steinen eingeritzt. Ähnlich wie die prähistorischen Malereien in der Höhle von Lascaux. Und dann steht da plötzlich ein Jugendlicher, der Bernard mit einem Messer bedroht.     

„Mehr als gestern und viel weniger als morgen“, steht auf der Kette der Tramperin, die Bernard nach der Tat seiner Schwester schenkt. Ein Liebesschwur. Die Intensität steigert sich, das gilt auch Seite um Seite für den Suspense-Faktor in diesem atemberaubenden Buch.

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