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Sigurd Kuschnerus: „Erinnerung an das Feuerrad (Die gestohlene Jugend meiner Generation)“, 1958 und 2019/21

© Galerie Nierendorf / VG Bild-Kunst, Bonn 2023

Unter uns: Die Berliner Galerie Nierendorf erinnert an die „Zinke“

Eine Ausstellung über das kurze, aber markante Kapitel einer Künstlergruppe, die der gegenständlichen Malerei huldigte.

Von Jens Grandt

Zwei Künstler vereint die Galerie Nierendorf, die in ihrem Bestreben, der gegenständlichen Malerei zu huldigen, nicht unterschiedlicher sein können: Sigurd Kuschnerus und Robert W. Schnell. Damit öffnet die Ausstellung zugleich den Blick auf ein kurzes, aber markantes Kapitel Berliner Kulturgeschichte: auf die legendäre Kreuzberger Hinterhofgalerie „Zinke“. Von 1959 bis 1962 war sie wichtiger Treffpunkt einer eigensinnig-selbstbewussten Bohéme.

Die „Zinke“, nach geheimen Verständigungszeichen von Wandersleuten und Obdachlosen so benannt, wurde von dem Lyriker und Grafiker Günter Bruno Fuchs, dem Bildhauer Günter Anlauf und Robert Wolfgang Schnell, Schriftsteller, Schauspieler, Regisseur, Maler, gegründet. Namhafte Künstler aus Ost und West waren Gäste, unter anderem (vor dem Mauerbau) Johannes Bobrowski, Helene Weigel, Anna Seghers. Die „Zinke“-Künstler wollten sich abgrenzen von der gestalt- und inhaltslosen Abstraktion, die den Markt beherrschte. Sie wollten „auf menschliche Art modern“ sein und „das Bildhafte und bunt Erzählerische“ suchen, wie Schnell schrieb.

Zur Eröffnung der „Zinke“ präsentierte Sigurd Kuschnerus seine Werke. Aus dieser frühen Phase zeigt die Galerie vor allem Gebäudeansichten, kräftig, oft dunkel auf Rupfen gemalt, wie „Fabrikruine“ oder das großformatige Ölbild „Fischerinsel, Berlin Mitte 1957“ (20.000 Euro). Kuschnerus galt ja zunächst als Stadtmaler des Berliner Westen, vergleichbar mit Konrad Knebel für den Osten. Später verfeinerte er seinen Strich, die Ansichten wurden detaillierter, und er nutzte die Alugraphie, eine besondere lithografische Technik auf Aluminiumplatten, so in „Alte Fabrik an der Mauer“ (300 Euro).

Nichts ist weiter von der Realität entfernt wie ein realistisches Bild

Zu bewundern ist die prägnante und zugleich poetische Malweise. Die Auslandsmotive, etwa „Roma Eterna“ oder das Aquarell „Kirche in Italien“, sind grafisch geprägt. Der geborene Reinickendorfer war eine Mehrfachbegabung wie alle Mitglieder der „Zinke. Neu für viele Besucher dürften seine Landschaftsbilder sein. Kuschnerus hatte Freude an der Natur und liebte den weiten Blick. Oft suchte er dieselben Orte auf. An zwei Beispielen stellt die Galerie seine Vorstudie als Aquarell der hellen, farbenfrohen Ausführung in Öl gegenüber. Er versuche, „Stimmung“ in der „Ewigkeit der Landschaft“ zu erfassen, wie er einmal sagte. „Es ist nichts so weit von der Realität entfernt wie ein realistisches Bild. Ist sie erst mal gemalt, wird die Wirklichkeit zum Abstractum.“ 1994 war der Künstler in die Uckermark gezogen, wo er bis zu seinem Tod 2022 lebte und die Schönheit des neuen Lebensraumes festhielt.

Robert W. Schnell: „Blumen auf schwarzem Tisch“, ein Bild aus dem Jahr 1953

© Galerie Nierendorf / VG Bild-Kunst, Bonn 2023

Ein Bild hebt sich von der Reihe der Porträts und Landschaften ab: „Erinnerung an das Feuerrad“ mit dem Untertitel „Die gestohlene Jugend meiner Generation“. Es kann, zwei Jahre vor Kuschnerus’ Tod vollendet, als dessen Vermächtnis gelesen werden. Ein symbolträchtiges Werk. In dem funkensprühenden Feuerkreis ist unschwer ein rotierendes Hakenkreuz zu erkennen, das den angedeuteten Davidstern verdeckt. Das Rad dreht sich vor einem braunen, fensterlosen Gebäude. Deutschland? Aus dem Erdgeschoss heraus weitet sich ein Feld weißer Grabkreuze. Am Seitenflügel brennen Hakenkreuzfahnen, deren Emblem herausgeschnitten wurde. Das Ende mörderischer Anmaßung, Wendezeit. In einer Wandnische das Staatsemblem der DDR, gekippt, auch ein Ruin, der einen Schatten wirft. Auf der Plakatwand davor Chiffren der Hoffnung: UNO, Wohlstandswerbung, Friedenstaube. Der aufmerksame Betrachter kann sich lange nicht davon lossagen.

Über der Stadt schwebt ein romantischer Mond

Bei Robert Schnell verschwimmen die Konturen. Seine Bilder bersten vor expressiver Farbigkeit. Die stimmungsvollen Aquarelle strahlen eine melancholische Heiterkeit aus, gelegentliche Anklänge an die naive Malerei wie in „Fasching“, aber auch surreale Verfremdung, so in „Fliegende Fische“, zeigen seine Vielseitigkeit. Stadtbauten reihen sich über- und nebeneinander in ein schwarzes Gitterschema; das ist nicht schön, aber symptomatisch. Oft steht der Mond über den Motiven – eine Reverenz an die Romantik. Und aus einer an Marionettenschnüren hängenden „Spießerfamilie aus Pappmaché“ spricht pure Ironie.

Schnells Bilder sind Erzählungen. Nicht zufällig war der Künstler Mitglied des PEN und der Gruppe Berliner Malerpoeten. Bedauerlicherweise steht ein Teil der im Katalog abgebildeten Werke für den Verkauf nicht zur Verfügung. Dies und der Werkvergleich „zweier befreundeter, oft grandiger Gesellen“, wie deren Drucker Hugo Hoffmann bemerkte, sollte den Besuch der Ausstellung umso mehr lohnen.

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