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© dpa

Interview: „Wir brauchen eine Roadmap“

Modell Berlin? Kulturstaatssekretär André Schmitz über Integration, kulturelle Bildung und das Humboldt-Forum.

Herr Schmitz, die Kulturpolitik in Berlin ist offenbar in diesem Winter eingeschlafen. Für die Deutsche Oper ist ein neuer Intendant gefunden worden, aber sonst hört man nichts von Ihnen.

Schauen Sie sich mal meinen Terminkalender an. Die wahre Arbeit liegt doch außerhalb der öffentlichen Wahrnehmung.

Es gab Zeiten, da war Kulturpolitik das Wichtigste in Berlin überhaupt. So sah es jedenfalls aus. Schließlich ist der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit offiziell auch Kultursenator und damit Ihr Chef. Und jetzt herrscht auf dem Gebiet geradezu Langeweile.

Für Sie vielleicht. Ich empfinde das als Kompliment. Wie haben eine Menge Baustellen abräumen können, es läuft nicht jeden Tag eine neue Sau durchs Dorf, und wir haben nicht ständig Skandale, so wie früher. Wir haben die Opernstiftung auskömmlich finanziert und viele Investitionsrückstände bei Theatern, Opern und Museen aufgelöst. Wie schön, dass in dieser Stadt mal keine kulturpolitische Aufregung herrscht. Aber das heißt nicht, dass wir nicht arbeiten.

Für das Ego eines Politikers kann die Ruhe nicht gut sein.

Im Gegenteil. Wenn Sie im Feuilleton mehr über Kunst und weniger über Kulturpolitik und Kulturfinanzierung schreiben, dann haben wir einen guten Job gemacht. Ich verstehe Kulturpolitik als dienende Funktion: Wir schaffen Rahmenbedingungen, damit Künstler unsere Gesellschaft bereichern können.

Viele westdeutsche Kommunen sind in einer prekären finanziellen Situation und kürzen bei der Kultur. Ist Berlin davor sicher?

Wir verhalten uns antizyklisch. Hamburg überlegt, Bestände der Kunsthalle zu verkaufen. Das kann nicht die Vision für Berlin sein. Berlins Kraft ist die Kultur, deshalb darf man in Zeiten der Krise nicht sparen, sondern man muss investieren. Und das machen wir gerade.

Ihre Partei, die SPD, will Berlin zu einer „Modellstadt“ machen. Offensichtlich ist doch nicht alles so gut gelaufen, es gibt schwere gesellschaftliche Defizite. Was hat die Kultur damit zu tun?

Es geht um die Integration von Bürgern, die keinen originär deutschen Hintergrund haben. Die Kultur muss dazu ihren Beitrag liefern. Mit dem Ballhaus Naunynstraße unter der Leitung von Shermin Langhoff haben wir 2008 einen solchen Ort geschaffen, aber das ist nur ein Anfang. Es erschreckt mich, wenn ich von etablierten Künstlern der zweiten und dritten Migrantengeneration höre, dass es ihnen an Anerkennungskultur fehlt. Wir haben mit der Hertie-Stiftung im November eine Konferenz zu dem Thema gehabt, und nun wollen wir eine Studie in Auftrag geben. Wir brauchen in Berlin eine „Roadmap“ für kulturelle Vielfalt der nächsten fünf oder zehn Jahre: Was genau bedeutet kulturelle Vielfalt, für wen und was kann Kulturpolitik dabei leisten?

„Roadmap“ klingt dramatisch, nach nahöstlichem Friedensprozess.

Wir haben uns um diese Dinge bisher nicht genug gekümmert. Die Frage ist doch: Wie können wir die vielen internationalen Künstler, die in Berlin leben und arbeiten, sichtbarer machen? Und wie senken wir die Hemmschwellen zum Beispiel für die türkisch-deutschen Mitbürger, die unsere Kultureinrichtungen nicht so häufig besuchen? Das sind zwei Seiten einer Medaille.

Woher kommt diese visionäre Erkenntnis so plötzlich? Bisher hat sich die Kulturpolitik in Berlin mehr um Personalfragen gekümmert.

Medial wird Kulturpolitik gern auf Personalfragen reduziert und dann pars pro toto genommen. Das hat noch nie gestimmt. Richtig ist aber, dass wir in den vergangenen Jahren eine Flut von Personalentscheidungen zu treffen hatten, vom Deutschen Theater über Friedrichstadtpalast und Komische Oper bis zur Deutschen Oper. Das hat Kräfte gebunden. 300 Millionen für Baumaßnahmen an Schillertheater, Staatsoper, Deutscher Oper und Volksbühne: Das hat auch etwas Visionäres, auf jeden Fall mussten diese Projekte erledigt werden. Und mit der Verabschiedung des Doppelhaushalts mit je 16 Millionen Euro pro Jahr mehr für die Kultur haben wir die Hausaufgaben gemacht und uns Luft verschafft für perspektivische Arbeit.

Sind wirklich alle großen Personalfragen geklärt? Was ist mit den Ewigkeitsintendanzen an der Volksbühne, der Schaubühne und dem Berliner Ensemble? Claus Peymann verlängert sich ja immer selbst …

In den nächsten zwei Jahren sehe ich an diesen Häusern keine Entscheidungsnotwendigkeit, da sind die Verträge klar. Aber zwei Jahr sind schnell vorbei. Das bleibt meinem Nachfolger überlassen.

... und der heißt André Schmitz?

Wie auch immer er dann heißen mag.

Sie haben eine Zeit lang viel von „kultureller Bildung“ geredet, also der Zusammenarbeit von Schulen und Kultureinrichtungen. Hat sich diese Geschichte erledigt?

Wie kommen Sie darauf? Diese Dinge sind nicht so leicht sichtbar zu machen. Dabei haben wir messbare Erfolge mit unserem Patenschaftsmodell. Wir haben die Kulturprojekte GmbH im Podewil zur zentralen Anlaufstelle für kulturelle Bildung gemacht. Dort kommen Schulen mit einem Orchester, einem Museum, einem Theater zusammen. Fünfzig dauerhafte Patenschaften haben wir auf diese Weise schon. Über zwei Drittel aller Schulen haben darüber hinaus in den vergangen zwei Jahren mit Künstlern oder Kultureinrichtungen künstlerische Projekte entwickelt. Und was die Bibliotheken betrifft, geht es nicht nur um die noch zu bauende Zentrale Landesbibliothek, sondern auch um die Bezirksbibliotheken. Wir müssen eine bezirksübergreifende Qualitätssicherung hinbekommen. Ebenso bei den Musikschulen – das sind nicht Äste des großen Baums, sondern seine Wurzeln. Daran dürfen wir nicht sägen, sonst zerstören wir die Fundamente unserer Kultur.

Kulturpolitik wird gemeinhin mit Hochkultur identifiziert. Nehmen Sie jetzt einen Paradigmenwechsel vor?

Nein, all das gehört zusammen. Weil wir von Integration sprachen: Gehen Sie doch einmal in eine Bezirksbibliothek, das ist ein moderner Medienplatz. Und da sitzen die Mädchen mit ihren Kopftüchern, machen Hausaufgaben, treffen ihre Freundinnen, haben Platz für Dinge, die sie zu Hause nicht tun können, und finden Zugang zu Büchern und elektronischen Medien. Die Bedeutung solcher Einrichtungen haben wir kulturpolitisch noch nicht ausreichend auf dem Schirm.

Wie passt das Humboldt-Forum, das größte Kulturprojekt Berlins und Deutschlands, in diese Landschaft?

Integration, kulturelle Bildung und Vielfalt, das steckt alles in diesem Projekt. Die bedeutenden außereuropäischen Sammlungen der Preußenstiftung gegenüber der Museumsinsel auf Augenhöhe mit dem Abendland zu zeigen, zusammen mit der Humboldt-Universität und einer Außenstelle der Landesbibliothek – eine größere kulturelle Herausforderung kann ich mir nicht denken. Und Touristen wird das Humboldt-Forum auch anziehen. Viel hängt davon ab, welches Konzept wir für die Agora entwickeln, also den zentralen Veranstaltungsort. Dafür gibt es kein Vorbild.

Das Haus der Kulturen der Welt experimentiert in diese Richtung.

Gewiss, aber die Dimensionen des Humboldt-Forums im Stella-Schloss sind ganz andere als die einer „Schwangeren Auster“ oder eines Ballhaus Naunynstraße, allein schon architektonisch.

Apropos Architektur: Wollen Sie allen Ernstes zwischen Schloss und Alexanderplatz das mittelalterliche Stadtbild wieder aufführen?

Richtig ist, dass mit dem Bau des Schlosses der architektonische Blick dieser Stadt auf das vergessene Areal zwischen Spree und Fernsehturm gelenkt wird. Hier ist Berlin gegründet worden. Ich weiß nicht, warum ich in dieser Debatte immer missverstanden werde. Ich bin für eine moderne Wiederbebauung, mit Wohnungen, Hotels, Geschäften, nicht für mittelalterliche Fachwerkhäuser. Aber bleiben wir doch gelassen. Wenn es unsere Generation nicht hinbekommt, dann wird es die nächste so entscheiden.

Klaus Wowereit will in der nächsten Legislaturperiode – wenn er denn überhaupt in der Landespolitik bleibt und die Abgeordnetenhauswahl gewinnt – nicht mehr Kultursenator sein. Was halten Sie davon?

Ich glaube, der jetzige Regierende Bürgermeister wird auch der nächste Regierende Bürgermeister sein. Das politische Gewicht des Regierenden hat sich für die Kultur im wahrsten Sinn des Worts bezahlt gemacht. Und was mich betrifft, ich könnte sehr gut in der jetzigen Kombination weiterarbeiten, wir sind ein gutes Tandem.

Würde das auch fürs Bundeskanzleramt gelten?

Also bitte, 2011 sind Wahlen in Berlin.

Das Gespräch führte Rüdiger Schaper.

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