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Innige Freundschaft. Michael Wollny (links) und Joachim Kühn in der Alten Oper Frankfurt.

© Jörg Steinmetz

Zwei Flügel, eine Welt: Improvisiertes von Michael Wollny und Joachim Kühn

Mit „Duo“ legen Deutschlands renommierteste Jazzpianisten ein neues Zeugnis ihrer Freundschaft ab.

Von Gregor Dotzauer

Zwei Klaviere auf einer Bühne ergeben nicht immer ein Ganzes. Die verdoppelte Klangmacht verleitet mitunter auch zu halben Sachen. Die Herausforderungen im Miteinander und Gegeneinander zeigen sich schon daran, dass sich zumindest in der klassischen Musik fast nur Geschwister oder Eheleute an längerlebige Pianoduos wagen. Die Kunst, einander Raum zu geben, erfordert ein hohes Maß an gewachsener Eintracht - und womöglich die Lust, die Höllen der Familie auch musikalisch auszukosten.

Der Jazz, der weitaus mehr von spontanen Affekten lebt, kennt jedenfalls keine Paarung von internationalem Rang, die es als Working Duo zu Kontinuität gebracht hätte. Man trifft sich, wie einst Chick Corea und Herbie Hancock, zum Schaulaufen der Titanen oder lotst sich, wie Kenny Barron und Mulgrew Miller, freundlich lächelnd durch eine Handvoll Standards, nur um festzustellen, wie schwer es ist, sich dabei nicht ins Gehege zu kommen.

Gemessen daran sind Michael Wollny und Joachim Kühn ein alchemistisches Wunder. Sie teilen einen Improvisationsgeist, der Introspektion und Expression, Antizipation und Transpiration verbindet. Die Bewunderung des 1978 geborenen Wollny für den 34 Jahre älteren Kühn hat sich in eine Freundschaft verwandelt, die auch Pausen der Zusammenarbeit aushält.

Mehr Substanz als Ornament

Beide stehen für virtuoses Ungestüm wie für einen abstrakten, nie bloß schwelgerischen Lyrismus. Wollny agiert spitzfingriger und stakkatohafter, Kühn tritt zugriffswütiger und voluminöser auf. Obwohl auch sie sich über die Jahre ihre Tricks und Muster angewöhnt haben, gewinnt das Ornamentale über die Substanz nie die Oberhand. Unter der gleißenden und flackernden Oberfläche entfaltet sich eine Nervenkunst jenseits aller Zirkusnummern.

Mit seinen Labelgenossen, den Pianisten Iiro Rantala und Leszek Mozdzer, hat vor allem Wollny auch das Zirzensische schon ausgespielt, wogegen zur rechten Zeit am rechten Ort auch nichts einzuwenden ist. Aber Musik ist ja nicht nur zum Staunen da.

Für die Nachwelt waren die beiden bisher nur auf einem Album zu hören, das einen Auftritt auf Schloss Elmau 2008 dokumentierte. Mit „Duo“ liegt nun, kurz vor Joachim Kühns 80. Geburtstag am 15. März, ein weiteres Zeugnis ihrer Begegnungen vor. Von den acht Stücken, die vor einem guten Jahr im Mozartsaal der Alten Oper in Frankfurt aufgenommen wurden, finden sich hier sechs. Mit Ausnahme von – nomen est omen – „Aktiv“, in dem sich die Klangbrocken heftig übereinander türmen, hat das Unruhige und Zerklüftete von Elmau einem Klima der Weite und Gelassenheit Platz gemacht.

Die leicht erkennbaren Themen führen nicht ins restlos Offene, hangeln sich aber auch nicht allzu brav am Akkordgerüst entlang, sondern hören dem Geschehen in jedem Moment mit freiem Atem nach. Zum Beispiel Wollnys Eröffnungsstück „Vienna Pitch“. Es setzt ein mit zwei im Grunde nebeneinander liegenden Dreiklängen in A-Moll und G-Moll, die aber durch einen Oktavsprung und eine Umkehrung des ersten Akkords auf Abstand gehalten werden.

Dissonanzen mit orientalischem Einschlag

Abwechselnd in gleichmäßiger Ruhe angeschlagen, wickelt sich, ausgehend von einem tonartenfremden Fis, um diese harmonischen Ankerpunkte eine in der Dissonanz fast orientalisch anmutende Melodie: komponiertes Modell für in der Folge rasant improvisierte, aus dem Vorgespurten ausbrechende Läufe, wie sie Kühn zu einem seiner Markenzeichen entwickelt hat. Verbunden durch ein kurzes Unisono-Thema wiederholt sich das Spiel mit ebenso schlichten Dreiklängen in E-Moll und D-Moll.

Strukturell einfache Mittel führen so zu einer Musik der vielen Farben und Schatten: dunkel aus Dezimen aufsteigend wie in „My Brother Rolf“, Kühns balladesker Hommage an seinen 2022 verstorbenen Bruder, den Klarinettisten Rolf Kühn, oder romantisch innig wie in Ornette Colemans „Somewhere“, einer Komposition, deren Ursprung sich in den einschlägigen Diskografien übrigens auf Anhieb nicht aufspüren lässt. Beide Stücke gibt es auch in Soloaufnahmen von Joachim Kühn: In dieser Umgebung leuchten sie noch einmal ganz eigen.

Dieses „Duo“ ist weitaus weniger fragmentiert als die pointillistischer angelegten „Transitory Poems“ von Craig Taborn und Vijay Iyer, der ECM-Mitschnitt eines Budapester Konzerts, das 2018 auf seine Weise Maßstäbe für das Improvisieren an zwei Flügeln gesetzt hat. Aus dem allzu Gefälligen, das den ACT-Katalog sonst prägt und das zuletzt auch Wollny mit der Allstarband 4 Wheel Drive mitbedient hat, fällt diese Musik mit einer Tiefe heraus, deren Eroberungsbedürftigkeit im konzentrierten Hören nicht mit ihrer Zugänglichkeit konkurriert. Das können nicht viele Musiker für sich beanspruchen.  

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