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Politik: Arbeit zuerst

Von Ursula Weidenfeld

Freunde und Feinde des Mindestlohns liefern sich in diesen Tagen eine seltsame Schlacht. Die einen tun so, als gehe es darum, die Menschen vor zynischen Ausbeutern zu bewahren, die flächendeckend die Löhne drücken wollen. Die anderen erwecken den Eindruck, als zerstöre ein gesetzlicher Mindestlohn all das, was in den letzten Jahren an Erfolgen für den Standort Deutschland erreicht wurde. Über diese Frage streiten Koalition, Lobbys und Öffentlichkeit mit Inbrunst – wohl wissend, dass die politische Energie in dieser Legislaturperiode kaum ausreichen wird, um ein so oder so geartetes Gesetzeswerk tatsächlich auf den Weg zu bringen.

Dennoch ist die Diskussion wichtig. Sie berührt grundlegende Vereinbarungen der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik. Seit der Verabschiedung der Agenda 2010 gilt im Prinzip der Satz: „Arbeit zuerst“. Dem zufolge ist wichtig und entscheidend, dass Arbeitslose Arbeit bekommen. Erst danach geht es um die Konditionen und die Leistungen, die eine zu niedrige Bezahlung kompensieren. Versieht man die geltenden Regelungen nun zusätzlich mit einem Mindestlohn, wählt man einen neuen Leitsatz: „Arbeit ja. Aber nicht um jeden Preis.“

Wäre das richtig?

Arbeit ist weit mehr als die Gegenleistung für den Lohn, den man nach Hause trägt. Arbeit ist Teilhabe, sie bedeutet gesellschaftliche und soziale Integration, sie ist Bestandteil eines erfüllten Lebens. Das gilt für jede Form der Arbeit, nicht nur für die bezahlte. Es gilt für Erwerbsarbeit genauso wie für Familienarbeit oder für das, was man mit bürgerschaftlichem Engagement oder ehrenamtlicher Arbeit umschreibt. Arbeit ist Integration, nicht nur Lohn. Deshalb ist es falsch, bestimmte Arbeiten aus dem Katalog der ehrbaren Arbeit herauszudefinieren.

Richtig dagegen ist, sich darüber zu verständigen, wie man mit den Menschen umgeht, die von ihrer Arbeit nicht leben können. Sie verdienen das Engagement der Gesellschaft, in der sie leben, auch das finanzielle. Das heißt: Wer zu einem niedrigen Stundenlohn Vollzeit arbeitet, muss besser gestellt werden als jemand, der wegen eines (zu) niedrigen Stundenlohnes gar nicht oder nur ein bisschen arbeitet. Solange die Lebenshaltungskosten in den verschiedenen Regionen Deutschlands so unterschiedlich sind wie heute, sind auch unterschiedliche Tariflohnuntergrenzen sinnvoll. Arbeitgeber, die aus der Not der Arbeitslosen ein Geschäft machen und sittenwidrig niedrige Löhne bezahlen, müssen bestraft werden. Das geht bereits heute, dazu braucht man kein neues Gesetz.

Wenn man sich darauf verständigt, verbietet sich ein Mindestlohn nicht grundsätzlich – aber die Bedeutung eines gesetzlichen Mindestlohns relativiert sich. Ob es am Ende einen oder viele Mindestlöhne gibt, ist vergleichsweise egal – solange man sich sicher ist, dass der Satz „Arbeit zuerst“ gilt, und dass er viel mehr ist als nur eine arbeitsmarktpolitische Formel. Ein Mindestlohn, den man unter dieser Prämisse vereinbaren würde, würde wahrscheinlich am Ende tatsächlich mit einem neuen Zuschuss- oder Kombilohnmodell funktionieren.

Ein Mindestlohn aber, den man jetzt mehrheitsfähig verhandeln könnte, wäre etwas anderes. Er würde ein paar Tarifbeschäftigten in Ostdeutschland zu einer besseren Bezahlung verhelfen. Viele Arbeiten indes würde er in die Schwarzarbeit verdrängen. Und den heute Arbeitslosen würde er die Chancen rauben, auf die sie einen Anspruch haben.

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