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Bulgarien: Es bebt, wo der Reaktor steht

Trotz großer Sicherheitsbedenken bewertet die EU den geplanten Bau eines Atomkraftwerks in Bulgarien positiv. Sofia könnte nun auch EU-Gelder für den Reaktor beantragen.

Andris Piebalgs hat alle Warnungen in den Wind geschlagen. Er hat eine Entscheidung getroffen, die für Europas Atomenergiepolitik weitreichende Folgen haben kann – und möglicherweise auch für die nukleare Sicherheit von Millionen Menschen. Gegen den Widerstand von Umweltschützern, Energieexperten und Atomkraftgegnern hat der EU-Energiekommissar eine positive Stellungnahme zum geplanten Bau des Atomkraftwerks Belene in Bulgarien abgegeben. Seine Bewertung des seit Jahrzehnten umstrittenen Projekts kommt einer Vorentscheidung gleich. Da die EU-Experten den Bau damit als energiepolitisch sinnvoll bewerten, hat die Regierung in Sofia eine Chance, von Euratom oder der Europäischen Investitionsbank EIB dafür Kredite zu bekommen.

Jan Haverkamp, der Energieexperte von Greenpeace fürchtet, dass die positive Stellungsnahme des EU-Energiekommissars eine Renaissance der Atomenergie in Europa einleiten könnte: „Gelder von Euratom sind seit über 20 Jahren nicht in den Bau neuer Reaktoren geflossen. Zudem könnte hier das erste Mal der Bau von russischen Reaktoren innerhalb der EU finanziert werden.“ Das Gütesiegel der EU für die umstrittenen Pläne könnte, so fürchten die Atomkraftgegner, der russischen Atomindustrie die Tür zur EU öffnen und Belene zu einer Art trojanischem Pferd werden.

Denn in Osteuropa liegen die Pläne für etwa 15 Atomreaktoren in den Schubladen – neben Bulgarien, auch in Rumänien, der Slowakei, Slowenien und den baltischen Staaten. Doch bisher wollte keine westliche Bank Geld in die wirtschaftlich, technisch und umweltpolitisch unsicheren Projekte stecken.

Das gilt auch für Belene. Nicht nur die Umweltschützer halten den geplanten Bau russischer Reaktoren in Bulgarien für gefährlich, viel zu teuer, unwirtschaftlich und energiepolitisch unnötig. Auch der frühere Leiter der bulgarischen Atomaufsichtsbehörde, Gueorgui Kastchiev sieht ein hohes Risiko: „Die Sicherheitsbedenken sind enorm. Die technische Qualität der noch nirgends industriell betriebenen russischen Reaktoren ist zweifelhaft. Es gibt weder Sicherheitsanalysen, noch Betriebserfahrung.“ Dass der russische Gasmonopolist Gasprom, der den Atommeiler bauen soll, den französischen Industriekonzern Areva und Siemens mit ins Konsortium nehmen will, ändert daran wenig. Es fehle in Bulgarien an qualifiziertem Personal für den Bau und den Betrieb, warnt der Experte für nukleare Sicherheit. Es gebe keine verlässliche „Sicherheitskultur“, das Problem der Entsorgung nuklearer Abfälle sei nicht gelöst. Das größte Risiko sei jedoch die geplante Lage des Atomkraftwerks: „Einen solchen Reaktor in einem Gebiet mit hohem seismischen Risiko zu bauen“ nennt Kastchiev „eine Art russisches Roulette“.

Schon 1984 empfahlen die sowjetischen Planer, in Belene wegen zu großer Erdbebengefahr auf die Nuklearanlage zu verzichten. 14 Kilometer vom geplanten Standort entfernt waren bei einem Erdbeben 120 Menschen gestorben. Nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Regimes wurden 1991 die Bauarbeiten wegen anhaltender Proteste der Bevölkerung und Zweifel an der Wirtschaftlichkeit der Anlage eingestellt. Doch nun liegen die alten Belene-Pläne wieder auf dem Tisch. Bulgariens neue Regierung beauftragte den russischen Konzern Atomstroyexport im vergangenen Jahr mit dem Bau von zwei Reaktoren – trotz der Sicherheitsbedenken und dem Hinweis bulgarischer Energieexperten, die geplante Anlage sei höchst unwirtschaftlich. Bulgarien ist eines der ärmsten EU-Länder. Doch mit der Energie gehe es auf sträfliche Weise verschwenderisch um, so die Kritiker. Selbst wenn auch künftig nicht gespart werde, sei die Energieerzeugung in Bulgarien schon jetzt völlig ausreichend, rechnen sie vor. Dazu kommt das politische Risiko einer noch höheren Abhängigkeit von Russland. Schon jetzt bezieht Bulgarien 100 Prozent seines Naturgases und 98 Prozent des Öls aus Russland.

Warum versteift sich Sofia so auf den Reaktor in Belene? Darüber können die Kritiker nur spekulieren: Die Behörden und Bulgariens aktuelle Regierung seien aus alten Zeiten eng mit Moskau und der russischen Energieindustrie verflochten. Korruption spiele nach wie vor eine große Rolle. „Der Energiesektor “, so heißt es in Brüssel, „ist hier keine Ausnahme.“

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