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Bundesinnenministerin Nancy Faeser sieht die Polizeiarbeit durch Vorab-Informationen an Journalisten gefährdet.

© Reuters/Lisi Niesner

Exklusiv

Vorab-Infos über Razzien: Faeser stoppt umstrittene Öffentlichkeitsarbeit bei Vereinsverboten

Die Bundesinnenministerin bricht mit einer Praxis ihres Vorgängers Horst Seehofer. Der hatte beim Schlag gegen die Hisbollah mit der „Bild“-Zeitung gekungelt.

Das Bundesinnenministerium will im Vorfeld von Razzien bei geplanten Vereinsverboten künftig nicht mehr mit Medien kooperieren. „Das BMI unter der neuen Leitung wird keine Informationen über Vereinigungsverbote vorab herausgeben, um behördliche Maßnahmen nicht zu gefährden“, sagte ein Sprecher des Ministeriums auf Anfrage des Tagesspiegels.

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Damit grenzt sich Innenministerin Nancy Faeser (SPD) von einer umstrittenen Praxis ihres Amtsvorgängers Horst Seehofer (CSU) ab. Seehofer hatte unter anderem das Verbot der schiitischen Hisbollah im Frühjahr 2020 vorab an Pressevertreter kommuniziert.

Das Ministerium erklärte damals, derartige „anlassbezogene Vorabinformationen“ gehörten „zum Repertoire der Presse- und Medienarbeit des Bundesinnenministeriums“.

Die damaligen Oppositionsfraktionen im Bundestag AfD, Grüne, FDP und Linke forderten dagegen ein umgehendes Ende der Praxis, weil sie Polizeieinsätze gefährde.

Der damalige „Bild“-Chef Reichelt tauchte bei der Razzia auf. Die Polizei wusste von nichts.

Bekannt geworden war Seehofers Handeln durch eine TV-Doku-Serie über die „Bild“-Zeitung. Darin wurde gezeigt, wie Seehofer den damaligen „Bild“-Chefredakteur Julian Reichelt zu sich kommen ließ, um ihn über die Verbotspläne einzuweihen. Im Anschluss wurden noch weitere Medien über das Vorgehen informiert.

Die „Bild“ berichtete live von den Razzien in vier deutschen Städten, Reichelt selbst tauchte bei der Durchsuchung der Moschee des Al-Irschad-Vereins in Berlin-Neukölln auf. Die Berliner Polizei wusste nach eigenen Angaben nichts von Seehofers Arrangement mit „Bild“.

Erst nach einer Klage vor dem Verwaltungsgericht gab Seehofer Details preis

Seehofer beteuerte seinerzeit, er habe keine Details zu den Razzien ausgeplaudert. Die zum Teil auch schriftlichen Informationen zum Hisbollah-Verbot enthielten allerdings Hinweise auf die Einsatzorte in Münster und Bremen.

In der Folge prüfte die Berliner Staatsanwaltschaft einen Anfangsverdacht gegen den Minister wegen Verletzung von Dienstgeheimnissen, stellte das Verfahren aber im Sommer 2021 ein. Seehofer habe davon ausgehen dürfen, dass die Medien sich an die Einstufung der Vorab-Information als „vertraulich“ halten würden, hieß es.

Eine nähere Aufklärung der Vorgänge und insbesondere seines Gesprächs mit „Bild“-Chef Reichelt wollte Seehofer damals verhindern. Erst nach einer erfolgreichen Eilklage des Tagesspiegels beim Verwaltungsgericht Berlin (Az.: VG 27 L 56/21) musste das Ministerium sein Vorgehen im Einzelnen darlegen.

So habe Seehofer bei dem Termin mit Reichelt das Hisbollah-Verbot nur „kurz angesprochen“ und weiter „keine Auskünfte zu Details der der operativen Maßnahmen, insbesondere zu den Örtlichkeiten der mit dem Verbot verbundenen Polizeieinsätze erteilt“. Die „Bild“-Vertreter hätten dennoch zugesagt, über das geplante Betätigungsverbot zu berichten.

Das Bundesverfassungsgericht mache es auch so, hieß es

Ungeachtet der öffentlichen Diskussionen setzte das Innenministerium seine Praxis im Frühjahr 2021 fort und übermittelte vertrauliche Detail-Informationen zu geplanten Vollzugsmaßnahmen bei drei Hisbollah-nahen Vereinen, wiederum mit Sperrfrist.

Im Rechtsstreit mit dem Tagesspiegel hatte das Ministerium argumentiert, es wende sich damit an Journalistinnen und Journalisten, den es besonders vertrauen könne. Zur Begründung für seine Praxis berief es sich unter anderem auf das Bundesverfassungsgericht, das bestimmten ausgewählten Journalisten ebenfalls Kurzfassungen seiner Urteile vor der offiziellen Verkündung überlasse.

Ministerium warf Tagesspiegel Missbrauch von Informationsrechten vor

Dem Tagesspiegel warf das Ministerium seinerzeit vor, diese angeblich gängige Form der Öffentlichkeitsarbeit werde „skandalisiert und mit willkürlichen negativen Motiven unterlegt“. Es sei „unangemessen, den Vorgang zum Verrat von Staatsgeheimnissen hochzustilisieren“.

Auch die Aufklärung von Seehofers Gespräch mit Reichelt vor das Verwaltungsgericht zu bringen, war nach Ansicht des Ministeriums verwerflich: „Der presserechtliche Auskunftsanspruch gegen Behörden ist nicht dafür da, spekulative konfrontative journalistische Geschäftsmodelle zu unterstützen“.

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