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Deutsche Geisel in Afghanistan: In den Händen des Warlords

Um die deutsche Geisel könnte es ein langes Feilschen mit den Entführern geben. Die Chancen für eine gewaltsame Befreiung sind nach Expertenmeinung minimal.

Von Frank Jansen

Berlin - Er steht da im Geröll, erschöpft und zermürbt, aber offenbar halbwegs gesund. Der am 18. Juli entführte Rudolf B. wird in dem Video der Geiselnehmer als lebende Beute präsentiert, bewacht von vier bewaffneten Kriegern. Sie halten Kalaschnikows und eine offenbar russische Panzerfaust auf den 62-jährigen Bauingenieur, der die Forderungen der Entführer in die Kamera sprechen muss. Der arabische Fernsehsender Al Dschasira, bekannt für gute Kontakte zur islamistischen Terrorszene, bekam den Film der Geiselnehmer zugespielt – und strahlte am Dienstagabend eine Sequenz aus, in der etwa eine halbe Minute lang Rudolf B. zu sehen ist. Dennoch sehen deutsche Sicherheitskreise keinen Grund zur Panik. „Die Entführer haben nur noch diese Geisel“, heißt es, „da spricht die Logik gegen einen Mord.“ Die zweite Geisel, Rüdiger D., hatte die Strapazen der Entführung nicht überlebt. Würde Rudolf B. getötet, hätten die Geiselnehmer kein Faustpfand mehr, mit dem sie die deutsche und die afghanische Regierung unter Druck setzen könnten, sagen Experten. Die Situation habe sich durch das Video „nicht dramatisch zugespitzt“.

Die Forderungen der Entführer, die Rudolf B. aufsagt, „sind eben das, was man in Afghanistan maximal fordern muss“, sagt ein Fachmann. Die Geiselnehmer verlangen den Abzug der Bundeswehr und der Amerikaner aus Afghanistan, außerdem sollen zwölf Kämpfer der Taliban freigelassen werden, die vergangene Woche festgenommen wurden. Dennoch schließen Sicherheitskreise weiterhin aus, dass sich Rudolf B. in der Gewalt der „Kern-Taliban“ befindet. Die Entführer werden einer Gruppe paschtunischer Stammeskämpfer in der südwestlich der Hauptstadt Kabul gelegenen Provinz Ghasni zugerechnet. Anführer ist offenkundig ein lokaler Warlord namens Mullah Nissam, der zu den Taliban und zur Vereinigung des Islamisten Gulbuddin Hekmatjar, Hezb-e-Islami, Kontakte unterhalten soll. Mullah Nissam gilt dennoch als „autonom“. Dass seine Gruppe nun Forderungen stellt, die nach einer Agenda der Taliban klingen, interpretieren Experten als Mittel der psychologischen Kriegführung. Die Geiselnehmer wollten ihre Verhandlungsposition propagandistisch stärken, indem sie sich als Anhänger der furchterregenden Taliban ausgeben – und so vor allem die westlichen Medien erschrecken. In der Hoffnung, die Bundesregierung gerate noch stärker unter Druck.

Auch ein anderes Detail sollte nicht überinterpretiert werden, sagen Experten. Dass der Film offenbar schon vor Tagen aufgenommen wurde, sei wahrscheinlich kein Trick der Geiselnehmer, sondern schlicht den örtlichen Gegebenheiten geschuldet. Vermutlich mussten die Entführer das Video selbst produzieren und über Kuriere dem Sender Al Dschasira zukommen lassen. Das könne, sagen Experten, durchaus ein paar Tage dauern.

Auffällig ist, dass Rudolf B. in dem Video eine Jacke trägt, die ihm nach Informationen von „Spiegel online“ die deutsche Botschaft in Kabul Ende vergangener Woche über Vermittler geschickt haben soll.

Eine militärische Befreiungsaktion, wie sie die afghanische Regierung und die Amerikaner jetzt im Fall der von den Kern-Taliban festgehaltenen südkoreanischen Geiseln zu planen scheinen, kommt im Drama um die deutsche Geisel offenbar nicht infrage. Experten halten die Chancen für minimal, gewaltsam Rudolf B. aus dem Versteck der Entführer herauszuholen. Hubschrauber mit Luftlande- Einheiten würden schon wegen des Fluglärms früh geortet. Auch Spezialkräfte, die sich durch das Gebirge vorarbeiten, könnten vermutlich nicht unentdeckt bis zu den Geiselnehmern vorstoßen. Andererseits kann die Bundesregierung auch nicht die Forderungen der Entführer erfüllen. So bleibt wahrscheinlich nur ein längeres Feilschen um den Preis, der für die Freilassung von Rudolf B. gezahlt werden muss. In Dollar oder Euro.

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