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Lafontaines Rücktritt: Wer ist die Linke?

Seit Wochen tobt ein Machtkampf an der Spitze. Vor allem zwischen Ost und West. Zuerst hat es den Bundesgeschäftsführer getroffen. Nun zieht sich auch der Parteichef zurück.

Von Matthias Meisner

Gregor Gysi ist betroffen, allen voran. In den vergangenen Monaten ist er in die Rolle des heimlichen Parteichefs geschlüpft, hat tapfer versucht, Oskar Lafontaine zum Durchhalten zu bewegen. Anfang des Monats reiste er nach Saarbrücken, redete im Restaurant „Roma“ vier Stunden auf ihn ein. Am Samstag preist Gysi seinen langjährigen Kompagnon noch einmal als „herausragende“ Persönlichkeit, lobt seinen „ungeheuren politischen Instinkt“ und erwähnt, dass er im Bundestag „provozieren“ kann wie kaum ein anderer. Doch auf Lafontaine kann die Linke nicht mehr setzen, selbst wenn der verspricht, er wolle auch künftig „ab und zu“ zur Bundespolitik „was sagen“.

WARUM HÖRT LAFONTAINE AUF?

Lafontaine gibt „ausschließlich gesundheitliche Gründe“ an. Die Nachricht über seine Krebserkrankung, bekannt geworden im Herbst, sei ein Warnschuss gewesen, quasi der letzte. Auch vorher schon war er immer mal wieder schwer krank. Erstmals seit langer Zeit erinnert Lafontaine zur Begründung seines Rückzugs wieder an das Attentat, das eine geisteskranke Frau im Bundestagswahlkampf 1990 auf ihn verübt hat. „Ein wirklich schreckliches Erlebnis“, bekräftigt Gysi, „das fast mit seinem Tod geendet hätte.“ Das führe zu einem„anderen Umgang“ mit „bestimmten Tatsachen“. Die Ansage ist eindeutig: Über andere denkbare Motive soll nicht spekuliert werden, weder über die fehlende politische Perspektive des 66-jährigen Lafontaine noch über den Machtkampf an der Führung in den vergangenen Wochen. Für Lafontaine ohnehin eine „aufgebauschte“ Angelegenheit.

WER KANN LAFONTAINE ERSETZEN?

So leicht keiner. „Niemand ist unersetzlich“, sagte Oskar Lafontaine am Dienstagabend beim Neujahrsempfang der Saar-Linken. Doch Gysi sieht das ganz anders: „Völlig klar. Er ist nicht ersetzbar.“ Es werde schwer, das Vakuum auszufüllen. Namen zu möglichen Nachfolgern wollen weder Lafontaine noch Gysi nennen. Als Ost-West-Duo für die Führung gehandelt werden Vizefraktionschefin Gesine Lötzsch aus Berlin-Lichtenberg und der Schweinfurter Gewerkschafter Klaus Ernst. Am Samstag übte Lötzsch schon mal, hielt die Gastrede auf dem Landesparteitag in Baden-Württemberg. Und Ernst stieg auf zum stellvertretenden Vorsitzenden von Partei und Fraktion, da muss für ihn nicht Schluss sein. Immer vorausgesetzt, der Parteitag im Mai in Rostock ändert die Satzung zugunsten einer weiteren Doppelspitze, dafür braucht es eine Zweidrittelmehrheit. Klar ist, dass Lafontaines Co-Chef Lothar Bisky nicht mehr will – am Samstag war er nicht in Berlin, sondern zur Vereidigung von Evo Morales in Bolivien. Fraglich ist nur, ob die Partei in der Not noch einmal nach Gregor Gysi als Vorsitzendem verlangt. Der sagte zu dieser Frage nur: „Wenn ich keine Namen nenne, meine ich: wirklich keinen. Nicht mal meinen eigenen.“

IST DER OST-WEST-KONFLIKT NUN BEIGELEGT?

Der Anspruch, gesamtdeutsche Partei zu sein, bleibt uneingelöst. Erst am Freitagabend hatte die Linke Gelegenheit, sich die Unterschiede noch einmal vorzuhalten. Gefeiert wurde ein Doppeljubiläum, mit Aktivisten der ersten Stunde: Vor 20 Jahren hatte sich die SED neu formiert zur PDS. Fünf Jahre ist es her, dass sich aus Protest gegen Gerhard Schröders Agenda 2010 die Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit (WASG) gründete, die dann später mit der PDS zur Linkspartei verschmolz. Die noch immer junge Dresdnerin Katja Kipping, heute Vizechefin der Linken, erinnerte sich an die ersten WASG-Parteitage, an die „besondere Form der Lebendigkeit“ und eine „ständige Bereitschaft zur Dissidenz“. Die Hommage auf die PDS hielt Klaus Ernst, einst Vorsitzender der WASG. Seine damalige Partei sei im Westen ein „Selbstläufer“ gewesen, erinnert er. Doch als sie sich, mit nur ein paar tausend Mitgliedern und ohne Apparat zu schwach für einen eigenständigen Antritt bei der Bundestagswahl, für ein Zusammengehen mit den Sozialisten aus der Ex-DDR entschied, hätten ihm die Leute daheim in Bayern den Vogel gezeigt. Ein „erklärungsbedürftiges Produkt“ sei entstanden, „Kulturschock“ für viele Anhänger. Die beiden Parteien lösten das Problem damals mit neuem Namen: Die Linke. Aber altes Misstrauen war damit noch nicht ausgeräumt – der Streit um den vermeintlich illoyalen Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch war klar ein Ost-West-Konflikt. Parteimanager wird der nicht mehr, auch nicht nach Lafontaines Abgang von der Berliner Bühne. Das ostdeutsche Reformerlager bleibt verunsichert. Und die NRW-Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen, treue Anhängerin von Lafontaine, stänkert gegen die Wahl von Bartsch zum Vizefraktionschef: Sie verstehe nicht, warum Illoyalität auch noch belohnt werde.


STÜRZT DIE LINKE NUN AB?

Nirgendwo ist der Lafontaine-Faktor so groß wie im Saarland, wo die Linke bei der Landtagswahl Ende August auf 21,3 Prozent kam. Doch in der Parteizentrale Karl-Liebknecht-Haus haben die Strategen regelmäßig vorgerechnet, dass die Linke im Westen ohne Lafontaine um einige Prozentpunkte absacken werde. Da kann es knapp werden für die Partei bei der wichtigen Landtagswahl im Mai in Nordrhein-Westfalen. Selbst wenn Lafontaine und Gysi versprechen, dort noch mal zu helfen.

WERDEN REGIERUNGSBETEILIGUNGEN WAHRSCHEINLICHER?

Lafontaine nervt es, wenn er als Fundamentalist bezeichnet wird. Schließlich habe er doch, damals noch in der SPD, Jahrzehnte regiert. Denkbare Linksbündnisse in Hessen und an der Saar seien nicht an seiner Partei gescheitert, betont er. Dass SPD-Chef Sigmar Gabriel nichts von einer rot-rot-grünen Koalition in Nordrhein-Westfalen hält, nennt er „apolitische Ausschließeritis“. Auf der anderen Seite sagt Lafontaine, dass die Vorgängerpartei PDS mit den Bündnissen in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin „nicht die besten Erfahrungen gemacht“ habe. Und den Koalitionsvertrag im Herbst in Brandenburg hätte er „so nicht unterschrieben“ – zu weitreichende Zugeständnisse an die SPD. Lafontaines politisches Testament, das er auch bei der anstehenden Programmdebatte vortragen will: Die Linke dürfe „Haltelinien“ nicht überschreiten, müsse ihren „Markenkern“, etwa in der Frage von Krieg und Frieden, stur verteidigen. Sonst werde ihr es so schlecht ergehen wie der SPD. Mit dieser strikten Ansage müssen die Pragmatiker in der Linken umgehen – denn seine Strategie hält Lafontaine für unersetzlich. Bis zur inhaltlichen Klärung wird die SPD auch nach dem angekündigten Rückzug ihres verhassten Ex-Chefs nicht zum lockeren Umgang mit der Linken finden. Und vielleicht auch dann nicht.

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