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Die geehrten ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer beim Potsdamer Jahresempfang 2023.

© Andreas Klaer

Empfang für Potsdams Stadtgesellschaft : Ein Hoch auf die Verwaltung – und das Ehrenamt

Brandenburgs Landeshauptstadt lud zum Jahresempfang. Für die rund 600 Gäste im Nikolaisaal gab es allerdings nur einen emotionalen Moment.

Mehr Kompromisse in der Stadtpolitik, mehr Fokus auf die Bedürfnisse von Kindern in Potsdam und die andauernde Modernisierung der Verwaltung: Das waren die drei Hauptthemen für Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) in seiner Rede am Sonntagvormittag beim Jahresempfang der Landeshauptstadt. Schubert appellierte an die Stadtpolitik, „Interessen wieder zusammenzuführen“. Kompromisse sollten die „demokratische Umgangsform in einer Stadtgesellschaft des Zusammenhalts“ sein.

Damit spielte der Oberbürgermeister auch auf die immer mehr zersplitterte Stadtverordnetenversammlung an, der nunmehr elf Fraktionen angehören, darunter Abspaltungen von CDU und Linken. Mit mehr Kompromissen wird allerdings vor allem in den nächsten Monaten nicht zu rechnen sein – denn im Frühjahr 2024 sind Kommunalwahlen, Potsdam bestimmt seine Stadtverordnetenversammlung neu. Der politische Wettbewerb im Wahlkampf wird das Tagesgeschäft dominieren.

Im Nikolaisaal spielte das Jugendsinfonieorchester der Städtischen Musikschule.

© Andreas Klaer

Schubert sprach vor rund 600 geladenen Gästen im Nikolaisaal, darunter auch Ehrenamtler und Mitarbeitende der Verwaltung, aber keine Prominenz. Der Empfang, der zu den Traditionen der Potsdamer Stadtgesellschaft gehört, hatte zuletzt 2020 stattgefunden – als Neujahrsempfang Ende Januar. Für Anfang 2023 hatte Schubert die Festlichkeit wegen der Energiekrise abgesagt, nun wurde sie nachgeholt – mitsamt weiterer Feste in der Stadt. Schubert skizzierte dafür das Bild einer Rast inmitten des Jahres, eines Picknicks, das dazu einlade, eine Zwischenbilanz zu ziehen.

Ab Juli die elektronische Akte, ab Oktober das PotsdamLab

Für ihn bestand diese hauptsächlich im Blick zurück auf die Pandemie und die Auswirkungen des Ukraine-Kriegs. Potsdam habe sich resilient gezeigt, die Krisen bewältigt, habe gegenüber Corona-Leugnern und Rechtspopulisten Farbe bekannt. Schubert erinnerte an Kontakteinschränkungen, geschlossene Kitas und Schulen, den Corona-Ausbruch im Bergmann-Klinikum mit 47 Toten, der ihn bis heute emotional belaste. Er bat die Anwesenden, in einer Schweigeminute der 295 Corona-Toten Potsdams zu gedenken.

Schweigeminute für die 295 an und mit Corona verstorbenen Potsdamerinnen und Potsdamer.

© Andreas Klaer

Seine Bemühungen, die Potsdamer Verwaltung äußerlich wie innerlich zu modernisieren, ordnete Schubert in seiner etwas langatmigen, nur selten von Applaus unterbrochenen Rede als wichtige Maßnahme zur Stärkung der Demokratie ein. Staatliche Institutionen müssten handlungsfähig sein und ihre Aufgaben erfüllen, das sei „das stärkste Bollwerk gegen Populismus und Extremismus“. Dabei erwähnte Schubert auch die 18-Prozent-Umfragewerte für die AfD bundesweit, womit die Partei mit der SPD gleichauf liegt.

Der Oberbürgermeister kündigte ein PotsdamLab an, das im Oktober in der Wissenschaftsetage in der Stadt- und Landesbibliothek öffnen werde. Mit Unterstützung von Studierenden der School of Design Thinking des Hasso-Plattner-Instituts solle dort gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern an einer Erneuerung und Verbesserung der Potsdamer Verwaltung gearbeitet werden. Im Juli werde zudem die elektronische Akte eingeführt.

Schubert holte seine Beigeordneten auf die Bühne

Keine Rede war bei Schubert von der kritischen Haushaltslage, drohenden Sparmaßnahmen und möglichen Einschnitten bei sogenannten freiwilligen Aufgaben im Sozialen, bei Kultur und Jugend. Auch die mit ihm persönlich verbundenen Projekte wie das „Haus der Demokratie“ neben dem Garnisonkirchturm, aber auch der Stadtkanal – beide Verschiebemasse angesichts des Geldmangels – fanden keine Erwähnung. Vor einigen Monaten stand Schubert besonders wegen seines Führungsstils in der Kritik. Diesem Bild trat er mit öffentlicher Würdigung seiner Beigeordneten und einiger Mitarbeitenden der Verwaltung entgegen, die er auf die Bühne bat, um ihnen zu danken.

Schubert (r.) dankte der Leiterin des Gesundheitsamts Kristina Böhm (M.) und Feuerwehrchef Ralf Krawinkel (li.).

© Andreas Klaer

Wirklich emotional wurde es beim Jahresempfang nur einmal: Als der Saal die zehn Ehrenamtler mit stehenden Ovationen bedachte, die sich zuvor stellvertretend für ihre Hilfsorganisationen ins Goldene Buch der Stadt eingetragen hatten. Ob Deutsches Rotes Kreuz (DRK), Telefonseelsorge oder Freiwillige Feuerwehr – sie hatten besonders in der Pandemie viel für den Zusammenhalt geleistet.

Auf der Bühne standen Marita Erxleben von der Tanzakademie, die mit der Awo kooperierte, Theresia Jaeger von der Telefonseelsorge, Lieselotte Schmidt von der Volkssolidarität, Lee-Jérôme Schumann vom DRK Kreisverband, Anatoli Britz von der Freiwilligen Feuerwehr Bornstedt, Jens Serbser von der DLRG Ortsgruppe Potsdam, Felix Lamm vom Technischen Hilfswerk (THW), Johannes Wegner von der Potsdamer Tafel, Sebastian Jungnickel von den Johannitern und Andreas Stutzig von den Maltesern.

Kaufmann Siegfried Grube, hier mit seiner Ehefrau Margrit, trug sich ins Goldene Buch der Stadt Potsdam ein.

© Andreas Klaer

Zu Wort kam allerdings keiner der Geehrten. Auch nicht der 84-jährige Kaufmann Siegfried Grube, der 1991 den Kiezmarkt Grube in der einstigen Markthalle an der Breiten Straße eröffnet hatte und diesen seit Jahrzehnten als Rewe-Markt betreibt. Als einer, der für die Menschen und ihren Kiez wirke, zahllose Spendenaktionen gestartet habe, in der Pandemie Impfaktionen initiierte und jetzt den Geflüchteten aus der Ukraine helfe, werde Grube mit dem Eintrag ins Goldene Buch geehrt, so Schubert.

Schwung, Lebendigkeit und Witz, die Schubert in seiner Rede oft vermissen ließ, lieferte Kultur- und Wissenschaftsministerin Manja Schüle, die Ministerpräsident Dietmar Woidke (beide SPD) beim Jahresempfang vertrat. Schüle, die in Potsdam lebt, lobte die Stadt. Sie sei „stolz, Potsdamerin zu sein“. Bei jedem Problem begegne sie in der Stadt „Menschen, die etwas dagegen tun“.

Oberbürgermeister Mike Schubert und Ministerin Manja Schüle (beide SPD).

© Andreas Klaer

Schüle appellierte, sich nicht von einer vermeintlich „aufgeheizten Stimmung“ gefangen nehmen zu lassen, die vor allem in den sozialen Medien transportiert werde. Sie nehme keinen „permanenten Krisenmodus“ wahr, in dem sich die Potsdamerinnen und Potsdamer befänden, sondern treffe auf heitere, gelassene, empathische und vernünftige Menschen. Politischer Streit sei „der Herzschlag einer lebendigen Demokratie“, allerdings solle er ohne Lagerdenken und „Feindesrhetorik“ stattfinden.

Schüle appellierte an die Potsdamerinnen und Potsdamer, weiterhin Haltung zu zeigen, dem eigenen „moralischen Kompass zu folgen“ und beim bürgerschaftlichen Engagement nicht nachzulassen. „Potsdam kann ein Vorbild sein für viele und vieles in unserem Land“, so die Ministerin. „Wir sind das gelebte Beispiel für Krisenbewältigung.“ Doch nicht für das Lob, sondern für ein wenig Selbstkritik bekam Schüle den kräftigsten Applaus: Dass „wir Politikerinnen und Politiker weniger reden und mehr machen“, das wünsche sie sich.

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