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Potsdam, 05.10.2023 / Lokales / Localize-Festival im Rathaus, Pferd im Plenarsaal, Foto: Ottmar Winter PNN ACHTUNG: Foto ist ausschließlich für redaktionelle Berichterstattung der PNN und des TGSP! Eine kommerzielle Nutzung, z.B. Werbung, ist ausgeschlossen. Die Weitergabe an nicht autorisierte Dritte, insbesondere eine weitergehende Vermarktung über Bilddatenbanken, ist unzulässig.

© Ottmar Winter PNN/Ottmar Winter PNN

Hören, Sehen und Speed-Daten im Rathaus: Kulturfestival Localize als Brücke zum gegenseitigen Verständnis

Bei der 13. Ausgabe des Festivals öffnet das Potsdamer Stadthaus seine Pforten für Kulturschaffende. Thema ist die kreative Auseinandersetzung der Stadt mit ihrer Verwaltung.

Von Alicia Rust

Speed-Dating am Freitagnachmittag? Wer dabei an eine Veranstaltung für Singles denkt, liegt falsch. Unter dem Titel „Kaffeeklatsch mit der Verwaltung“ findet vielmehr ein kreatives Talk-Format statt, ein Konzept von den Machern des Kulturfestivals Localize.

Sieben Minuten zum Eisbrechen

„Es geht um Gespräche mit den Vertretern der Verwaltung auf Augenhöhe“, sagt Projektleiterin Lisa Schmedkord. Der blitzschnelle Meinungsaustausch in der Kantine soll den Abbau von Vorurteilen fördern. Wechselnde Gespräche finden im Sieben-Minuten-Takt statt. Um das Eis zu brechen, bekommen Besucher vorab 30 Fragen aus einem Themenspektrum vorgeschlagen.

Bei einem Ratshausbesuch denkt man üblicherweise weniger an Kunst, eher an lange Wartezeiten, an Vorschriften oder an Bürokratie. „Gerade deshalb versuchen wir, mithilfe der Kunst, alles ein bisschen verständlicher zu machen und Menschen zusammenzubringen, die normalerweise nicht zusammenkommen“, sagt die Kulturmanagerin, die gemeinsam mit Simon Knop Jacobsen die Projektleitung für das alljährliche Kunstfestival Localize an wechselnden Orten in Potsdam innehat. Diesmal also im Rathaus, Regierungssitz der Stadt und Verwaltungszentrale zugleich. 

Ab Donnerstag öffnet „Localize“ urbane Orte für zeitgenössische Kunst in Potsdam. Unter dem thematischen Schwerpunkt „Von Amts Wegen“ diesmal im Rathaus Potsdam.

© Andreas Klaer

Seit 2008 gibt es das Potsdamer Kulturfestival, dessen Ziel die Erschaffung einer Plattform für regionale, lokale und internationalen Künstler ist. Die Arbeiten, darunter Skulpturen, Fotos, Video-Arbeiten, Happenings oder Installationen werden eigens für den jeweiligen Ort konzipiert. Diesmal trägt das Festival den Titel: „Von Amts wegen.“ Ein sperriger Begriff, dessen Umsetzung umso neugieriger macht.

 Spannend ist diesmal vor allem, dass das Festival bei laufendem Betrieb stattfindet.

Lisa Schmedkord. Projektleiterin von Localize.

Das Speed-Dating ist eine neben insgesamt 18 künstlerischen Positionen, die im Laufe der viertägigen Ausstellung im Stadthaus gezeigt werden. „Hinzu kommen fünf Musik-Acts, die am Freitag und Samstag aufgeführt werden“, sagt Projektleiter Simon Knop Jacobsen. Matching Outfits, Roomer oder Fraen zum Beispiel. 

„Spannend ist diesmal vor allem, dass das Festival bei laufendem Betrieb stattfindet“, sagt Schmedkord. Damit habe man bei der Planung im Herbst des Vorjahres nicht gerechnet. Das als sanierungsbedürftige Gebäude sollte eigentlich längst leer stehen. „Immerhin haben die Bauarbeiten schon begonnen“, sagt Schmedkord. 

Installation einer südkoreanischen Künstlerin im Treppenhaus. Stränge aus Silikon die später leuchten und rotieren.

© Andreas Klaer

Neben den Geräuschen der Sound-Installationen erklingt im Hintergrund das Hämmern eines Presslufthammers. Das sei Teil des Ganzen, sagen die Veranstalter, auch die Künstler haben sich damit arrangiert. Eine von ihnen ist die aus Seoul stammende Konzeptkünstlerin Jungwoon Kim, die in Düsseldorf lebt und für ihre Arbeit „Vertical Fluid“ nach Potsdam gekommen ist.   

Wie zitternde Nervenstränge

Vier orange Neonröhren hängen im kleinen Treppenhaus. Sie bilden einen wohlkalkulierten Kontrast zur gründerzeitlichen Architektur. „Ich finde diesen Ort sehr spannend“, sagt Sun Kim, die sich über die Gelegenheit freut, ihre Silikon-Installation an so einem ungewöhnlichen Ort zu präsentieren. Angeschlossen an Drehmotoren, erzittern die angeleuchteten Stränge und muten dadurch organisch an. Mit etwas Fantasie kann man darin die angespannten Nerven jener Besucher erkennen, die ihre Formulare im Palast der Bürokratie einreichen und hoffen, dass nichts fehlt. Ein Schelm, wer Derartiges denkt. 

Im Aufzug werden Besucher von einer Soundinstallation des sehbeeinträchtigten Künstlers Dirk Sorge begrüßt. Die Arbeit trägt den Titel „9 Geschichten und ein Grund.“ Es geht um die Sätze, die von Amts wegen korrekt sind, aber sehr verletzend und irritierend für Menschen mit Behinderungen sein können. Ein Ausflug in öffentliche Gebäude kann mitunter zur Tortur für sie werden. Eine Künstliche Intelligenz liest die Sätze vor: „Der Aufzug darf im Falle eines Feuers nicht benutzt werden.“ Man fragt sich, wie sich ein Rollstuhlfahrer in einem solchen Fall verhalten solle. Diesen Denkanstoß gibt die Kunstinstallation während der Fahrt mit auf den Weg.

Verwaltung mal anders betrachtet

In jeder Etage stehen der Kunst zwei Räume zur Verfügung. In der alten Bibliothek, inzwischen nicht mehr in Nutzung, haben zehn Besucher auf einmal die Gelegenheit, eine Soundinstallation von Katharina Bévand zu erleben. Vier Lautsprecher und ein Bass laden mit abstrakten Klängen zur Entschleunigung ein. Der Blick in die leergeräumten Regale tut ein Weiteres. Einfach mal abschalten, während draußen der Trubel vorüberzieht. 

 Mir geht es darum, die Gesellschaft zu erreichen und den Blick der Politik für Obdachlosigkeit zu sensibilisieren.

Lars Klingenberg. Fotograf.

Im runden Konferenzraum 1 zeigt Lars Klingenberg Fotos von Obdachlosen aus sechs Großstädten. Sein im Jahr 2005 begonnenes Langzeitprojekt „Schlafquartier – Obdachlosigkeit in deutschen Großstädten“ zeigt reduzierte Aufnahmen, die zeitlos wirken. „Mir geht es darum, die Gesellschaft mit diesen Bildern zu erreichen und den Blick der Politik dafür zu sensibilisieren“, sagt der Hamburger. 

Wer den Plenarsaal aufsucht, kommt wieder auf heitere Gedanken. Ein quietschgelbes, aufblasbares Plastikpferd bringt Bewegung in den Raum. In „Blow Up“ von Niklas Apfel wird das Konstrukt von Macht, welches in der historischen Darstellung Preußens häufig in Form von Reitern hoch zu Ross dargestellt wurde, ad absurdum geführt. Frei nach dem Motto: Einfach mal ein bisschen die Luft rauslassen.

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