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Von Henry Klix: „ und schiefe Scheitel kämmt der Wind“

Aus Morgensternzimmer soll Museum werden – das Jahr 2014 halten viele für ein gutes Datum

Werder (Havel) - Sanduhr, Arme-Sünder-Strang, Henkersbeil und eine Menge Obstwein – es muss heiß hergegangen sein auf dem Galgenberg (heute Bismarckhöhe) in Werder. Das Morgensternzimmer im Turm der einstigen Höhengaststätte erinnert seit zweieinhalb Jahren an die merkwürdigen Henkersriten einer achtköpfigen Zechergemeinschaft, die hier in den Jahren 1895 und 1896 regelmäßig auftauchte. Zur Geisterstunde johlte die Runde auch noch befremdliche Lieder: „Die Unke unkt, die Spinne spinnt, und schiefe Scheitel kämmt der Wind“, heißt es in einem von ihnen. Es waren die ersten Galgenlieder Christian Morgensterns (1871-1914), die hier gesungen wurden – rebellischer Zeremonienmeister war der Maestro höchstselbst.

25 Quadratmeter groß ist das Morgensternzimmer, dass der „Freundeskreises Bismarckhöhe“ mit einigen Morgenstern-Buchausgaben und gut aufbereiteten Schautafeln hier oben eingerichtet hat, gemessen an der Bedeutung Werders für die deutsche Dichtkunst ein bescheidener Ort. „Ein völlig neuer Typus humoristischer Poesie wurde in Werder begründet“, sagt Morgenstern-Experte Reinhardt Habel, Herausgeber der einzigen Morgenstern-Gesamtausgabe.

Der Platz reicht auch bei weitem nicht für die fast 200 Exponate, die Ausstellungskurator Achim Risch bereits zusammengetragen hat – von weiteren und zum Teil seltenen Buchausgaben über Vertonungen aus verschiedenen Jahrzehnten bis hin zu bildnerischen Interpretationen der Morgenstern-Dichtung.

Im Jahr 2014 wird der 100. Todestag des Dichters gefeiert; Risch würde sich wünschen, dass Werder einen gewichtigen Beitrag zu den Feierlichkeiten leistet. „Es wäre mein Wunschdatum, um ein richtiges Morgenstern-Museum auf der Bismarckhöhe zu eröffnen“, sagt der Kurator. Professor Habel hat schon seine Unterstützung zugesagt. Auch Johannes Lenz, Seelsorger und langjähriger Nachlassverwalter von Morgensterns Ehefrau Margarete Morgenstern: Der pensionierte Pfarrer und Oberlenker der anthroposophischen Christengemeinschaft sorgte dafür, dass ihre finanzielle Hinterlassenschaft in die Morgenstern-Gesamtausgabe fließt, die 2014 mit den Bänden acht und neun nach fast 30 Jahren fertig werden soll. „Ich werde ideell alles tun, um den Impuls für ein Museum in Werder zu fördern“, sagt Lenz.

Günter Lüders war der erste bekannte Schauspieler, der 1958 eine Schallplatte mit Galgenliedern herausgab. Der Musiker Will Elfes vertonte und sang sie 1964 zur Gitarre. Und auch Gert Fröbe wird immer mit Morgenstern verbunden werden: In den 70ern ging er mit der Galgendichtung auf Tournee. Risch kann all dies mit Tondokumenten bezeugen. Lange hat er gebraucht, um ein Exemplar von Morgensterns wichtigstem Kinderbuch „Klaus Burrmann, der Tierfotograf“ zu ergattern, stolz ist er auf die signierten Gedicht-Lithografien von Hans Reyersbach von 1924, die eine Hamburger Familie gespendet hat. „Allein dafür braucht man eine Extra-Vitrine“, so Risch.

Die Museumslobby weiß er hinter sich: „Bei der weiteren Entwicklung und Sanierung der Bismarckhöhe sollte dem Museum ein angemessener Platz zur Verfügung stehen“, heißt es aus dem Landesmuseumsverband. So könnte der Blick auf den Dichter um viele Aspekte erweitert werden. Nicht zuletzt unterstützt Werders Bürgermeister Werner Große den Gedanken: Das Jahr 2014 nennt er „ein realistisches Datum für die Museumseröffnung“, um offene Fragen zu klären.

Platz gibt es in der Bismarckhöhe genug: Ballsaal und die beiden Türme sind saniert, dahinter gibt es zahlreiche Wohn- und Herbergsräume, die bislang nur provisorisch gesichert sind. Achim Risch hat 150 bis 200 Quadratmeter große Räumlichkeiten gegenüber vom Morgensternzimmer anvisiert und denkt an eine Präsenzbibliothek, eine Hörstation und einen reinen Ausstellungsbereich, in dem auch Kopien der Galgenbrüder-Requisiten gezeigt werden könnten: Henkersbeil und der Original-Einband der ersten Galgenlieder in Form eines Hufeisens sind im Deutschen Literaturarchiv in Marbach noch vorhanden. „Die Bismarckhöhe“, sagt Risch, „ist nicht nur Bau-, sie ist Kulturdenkmal.“

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