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KulTOUR: Verrückt oder geworden?

Uraufführung von Michael Klemms „Ausbruch“ in der Comédie in Werder

Werder (Havel) - Statt der angekündigten Travestie-Komödie „Späte Jungs“ erlebte ein gut gelauntes Publikum in der ausverkauften Silvester-Veranstaltung der Comédie Soleil die Welturaufführung eines anderen Stückes von Michael Klemm. Was soll’s, von einer überdrehten Wohngemeinschaft in Berlin zur Psychiatrie sei es nicht so weit, tröstete er seine Gäste am Freitag. Sektempfang, Buffet, Musik und Tanz luden zum zweiten Mal zur Werderaner Jahreswende ins Theater.

Der Autor, Regisseur und Schauspieler stuft sein Jugendwerk „Der Ausbruch“ vorsichtshalber als „Klamotte“ ein, doch was der dergestalt geringschätzt, ist eher eine handfeste Komödie mit leicht verfusseltem Endteil. Die Handlung ist vorderhand einfach: Bertram (David Segen), Ilse (Nadja Winter) und Musebrecht (Michael Klemm) konnten ihrer Anstalt zwar entfliehen, doch weil letzterer seinen Gedichtband vergessen hatte, mussten sie alle noch einmal zurück. Nun hebt ein Verwirrspiel der gehobenen Art an, bis weder Publikum noch Figuren mehr wissen, wer normal und wer verrückt ist. Genau das ist ja auch beabsichtigt im Welt-Entzerrspiegel der Comédie Soleil. Ganz nebenbei erfuhr man, dass auch gewisse hochgestellte Politiker von Zeit zu Zeit mal in der Klapse „logieren“...

Die wieder von RUDI eingekleidete Personage ist mehrfach besetzt. So spielt Michael Klemm auch den resoluten Stino Dr. Neuberger, Leiter des Berg-Psychiatrie nebenan, der stets zu Verwandlungen neigende Roman Gegenbauer neben dem Pfleger Heribert auch den schnurrigen Kommissar Stürli. Nur die Oberschwester Berta Birn, von den Entsprungenen gleich zu Anfang in eine Zwangsjacke gesteckt, scheint wirklich normal zu sein. Doch nein, nach ihrem Zwangsaufenthalt im „Schüttelkasten“ ist sie von allen fast schon mehr ent- als verrückt.

Was sich in knapp neunzig Minuten auf Jens Uwe Behrends vestibulartigen Bühne abspielt, wäre zum Soufflieren zu schade, man sollte es sich anschauen, zumal gerade diese so amüsante wie fast geniale Konfusion dem Firmenlogo „Comédie“ so nahe kommt. Eine der heitersten und stimmigsten Inszenierungen des Hauses überhaupt. Das Finale ist freilich nicht so überzeugend, denn die einfache Umkehr der Verhältnisse macht den Sack einfach zu, nie gut für’s Theater.

Der Prinzipal komponierte auch die dezente Bühnenmusik. Tatzeit? Heute, was sonst. Die Spiellaune des Ensembles war gewiss nicht allein dem sylvestren Anlass geschuldet. Nadja Winter als kirre Ilse mit wirrem Haar hat einen witzigen Stotterfehler, nur durch einen leichten Klaps auf den Hinterkopf zu beheben. Musebrecht ist reichlich vertrottelt, Bertram indes ganz seltsam normal, ob er den Verrückten etwa nur spielt? Michaela Wrona verwandelt sich vor aller Augen von der strengen, wortwörtlich ans Bett gefesselten Oberschwester in eine schrille Zappel-Berta. Als dann noch ein Pilot mit der Behauptung hereinschneit, er habe sich nur ein bisschen verflogen, scheint wirklich alles verloren.

Man traut nicht mal der nur Klopapier bringenden Pollux-Mitarbeiterin Nadja Winter mehr; dass einige Spieler in der Pause freilich hinter dem Tresen bedienten, soll endlich auch einmal angemerkt werden. Die Inszenierung vom „Ausbruch“ ist nach dem Motto „verrückt, oder geworden?!“ aberwitzig, schrill, leicht subversiv, also empfehlenswert. Nach einer kurzen Pause gibt sich die Comédie Soleil Mitte Januar damit wieder die Ehre. Gerold Paul

nächste Vorstellung 14. und 15. Januar, 19.30 Uhr, Eisenbahnstraße 210

Gerold Paul

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