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Karl Geiger ärgert sich über seine Leistung.

© IMAGO/Oryk HAIST

Die Leichtigkeit fehlt: Warum die deutschen Skispringer auch diese Vierschanzentournee nicht gewinnen werden

Die deutschen Skispringer können bei der Tournee mit der internationalen Konkurrenz nur bedingt mithalten. Das hat mehrere Gründe.

Von Lars Becker

Der Blick vom Hotel Riessersee über Garmisch-Partenkirchen ist traumhaft. Hier haben die deutschen Skispringer rund um das Neujahrsspringen in einem Extra-Häuschen logiert, abgeschirmt vom Trubel rund um den traditionsreichen Skisprung-Grand-Slam. Sportlich schweben die deutschen Skispringer allerdings auch bei dieser 71. Vierschanzentournee nicht über den Dingen. Schon bei Halbzeit des wichtigsten jährlichen Events der Flieger-Welt steht fest, dass sie auch diesmal den ersten Gesamtsieg seit 21 Jahren verpassen werden.

Deshalb war es ziemlich überraschend, dass Stefan Horngacher am Montagmorgen bei der Pressekonferenz im Seehaus am Riessersee am häufigsten die Vokabeln „sehr zufrieden“, „sehr positiv“ und „Geduld“ verwendete. „Der Tourneesieg ist utopisch. Aber es war schon vorher klar, dass wir nicht um den Sieg mitspringen werden. Man kann aber nicht von einer negativen Bilanz reden“, bilanzierte der Österreicher. Erst auf Nachfrage räumte Horngacher ein, dass man „definitiv zu weit weg“ von den „drei Leuten an der Spitze“ sei.

Nur ein Podestplatz bei den Weltcups

Damit sind der nach zwei Tagessiegen mit Riesenvorsprung führende Norweger Halvor Egner Granerud, der in der Tournee-Gesamtwertung zweitplatzierte Pole Dawid Kubacki und der Slowene Anze Lanisek (Zweiter des Neujahrsspringens) gemeint. Karl Geiger und Andreas Wellinger liegen als Fünfter und Sechster der Tournee-Gesamtwertung schon über 57 Punkte zurück. Das sind fast 32 Meter – eine Welt im Skispringen. Und ganz sicher nicht der Anspruch, den die erfolgsverwöhnten deutschen Adler an sich selbst haben.

Angedeutet hatte sich das diesmal schon vor dem traditionell ersten Saisonhöhepunkt, denn in den Weltcups hatte es lediglich einen Podestplatz für die deutschen Flieger gegeben. Warum das so ist? Stefan Horngacher nennt zunächst die leicht veränderten Materialregeln als Grund, durch die sich „ein, zwei Sachen verschoben“ hätten. Auf Nachfrage sagt der Österreicher dann, dass man bei Ski und Anzügen eigentlich sehr gut aufgestellt sei. Und das der eigentliche Grund sei, dass die besten drei seinen Fliegern bei der Übergangsphase zwischen Absprung und dem Erreichen der Flugposition überlegen seien: „Dort müssen wir mehr Geschwindigkeit generieren.“

Mehr Speed im Flug bedeuten in der Regel auch mehr Meter. Und die fehlen den Deutschen momentan. „Ich bin jetzt das vierte Jahr in Folge in der Position, um in dem Tournee-Gesamtsieg mitzuspringen. Dieses Jahr bin ich am weitesten weg. Da gehe ich nicht mit einem Grinser von der Schanze, sondern das ärgert mich“, gibt Karl Geiger zu. Dem Vorflieger bleibt mit Blick auf die restlichen beiden Tournee-Konkurrenzen in Innsbruck (4. Januar) und Bischofshofen (6. Januar) nur das Prinzip Hoffnung: „Mein Anspruch ist, dass mir zumindest mal ein Sprung rausrutscht, der so richtig knallt. Und wir den anderen damit mal einen vor den Latz geben und zeigen, dass sie auch mit uns rechnen müssen.“

Die Erwartungen wurden nicht erfüllt

Dazu muss sich laut Doppel-Olympiasieger Andreas Wellinger vor allem eins ändern: „Selbstvertrauen und Leichtigkeit ist das, was die anderen haben und wir nicht. Dabei haben wir eigentlich alle Werkzeuge in der Kiste.“ Allerdings nutzen sie die deutschen Skispringer bei der Vierschanzentournee regelmäßig nicht. Im vergangenen Winter war Geiger als Gesamtweltcup-Spitzenreiter und Topfavorit angereist. Doch er konnte die Erwartungen nicht erfüllen und landete auf Platz vier. Genau wie schon andere Favoriten in den vergangenen Jahren, wie Severin Freund, Richard Freitag oder Markus Eisenbichler.

Laut Andreas Wellinger mangelt es ihm und seinen Kollegen an Selbstvertrauen.

© IMAGO/Ulrich Wagner

Der letzte deutsche Tourneesieger Sven Hannawald glaubt, dass die deutschen Flieger bei der Tournee „mit dem Druck nicht zurechtkommen“. Und bemängelt, dass einfach immer versucht werde, noch mal „etwas extra“ zu machen und damit unnötige Nebenkriegsschauplätze aufgemacht würden. Karl Geiger wechselte zum Beispiel nach seinem starken vierten Platz von Oberstdorf den Helm und landete in Garmisch-Partenkirchen nur auf Rang elf.

Selbstvertrauen und Leichtigkeit ist das, was die anderen haben und wir nicht.

Andreas Wellinger

„Es ist alles Kopfsache“, sagt Überflieger Granerud und nennt damit den vielleicht wichtigsten Grund für die Probleme der Deutschen. Man muss auch ein bisschen freche „Rampensau“ sein, um diesen Skisprung-Grand-Slam über zehn Tage und vier Schanzen zu gewinnen. So wie Granerud, der in seiner Jugend splitternackt von einer Schanze heruntersprang und dabei gefilmt wurde.

Die Deutschen wirken dagegen immer etwas zu brav. Die positive Ausnahme in diesen Tagen ist Nachwuchs-Hoffnung Philipp Raimund (22), der aus der zweiten Liga des Skispringens kam (Continentalcup) und direkt zweimal unter die Top 15 der Welt flog. Beide Male schrie er danach seine Freude heraus und nahm ein Bad in der Menge von über 20.000 Fans.

„Es war Wahnsinn, wie er das gefeiert hat. Er wusste gar nicht, wohin mit seiner Euphorie“, erklärte Geiger staunend. Raimund sei ein paar Jahre jünger als der Rest des Teams und bringe frischen Wind herein: „Er ist ein extrovertierter Kerl, der viel redet und Autogramme gibt. Er scheißt sich einfach nix.“ Vielleicht ist genau das das Rezept für die deutschen Skispringer, um auch sportlich wieder über den Dingen zu schweben.

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