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Sport: Die letzte Anstrengung

In Malaysia beginnt für Florian Kunz und die deutsche Hockey-Nationalmannschaft in dieser Woche die Olympiasaison

Mönchengladbach. Es gibt verschiedene Kriterien, die bei der Auswahl eines Fitnessstudios eine Rolle spielen: der Preis zum Beispiel, die Lage oder die Kursangebote. Für Florian Kunz war nur eines wichtig: dass das Studio 24 Stunden am Tag geöffnet ist. Morgens um sechs, bevor er zur Arbeit fährt, muss er schon trainieren können. Viermal in der Woche macht er das, zweimal trainiert er nach Feierabend mit dem Bundestrainer Bernhard Peters Sprints oder Ecken, und hinzu kommen die Einheiten mit seinem Klub, dem Hockey-Bundesligisten Gladbacher HTC. Im Endeffekt trainiert der 31-Jährige fast jeden Tag zweimal. Dabei sagt der Libero und Kapitän der deutschen Nationalmannschaft von sich: „Ich hasse es zu laufen.“

Florian Kunz macht das alles nur, weil er noch ein sportliches Ziel hat: Olympiasieger zu werden. „Die Goldmedaille fehlt mir noch“, sagt der Welthockeyspieler 2002, und Athen „ist die letzte Chance für mich“, sie zu gewinnen. Inzwischen zählt Kunz die Tage bis zur Eröffnung. Nicht nur, weil er sich auf die Spiele freut, sondern auch, weil er weiß, dass die Schinderei nach Olympia ein Ende hat. Danach ist „wirklich endgültig Schluss mit internationalem Hockey“. Bis dahin aber wird Kunz „noch mal alles mitmachen“. Ab Freitag spielt die Nationalmannschaft in Malaysia beim Sultan-Azlan-Shah-Cup mit sieben Begegnungen in zehn Tagen. Es folgen bis zum Sommer das Hamburg Masters und ein Vier-Nationen-Turnier in Holland. Hinzu kommen die Lehrgänge. „Es wird ein Horrorjahr“, sagt Florian Kunz.

Deutschlands beste Hockeyspieler trainieren wie Profis, werden aber wie Amateure bezahlt. Leben kann von dem Sport niemand. Die meisten Nationalspieler studieren. Christoph Eimer war noch eine Woche vor seinem zweiten Medizin-Staatsexamen mit der Nationalmannschaft unterwegs und hat zwischen Training und Videostudium für die Prüfungen gelernt. Im besten Fall lassen sich Hockey und Studium miteinander verbinden wie bei Björn Michel, der für seine Doktorarbeit über „Stress im Leistungssport“ die Teamkollegen als Probanden benutzt hat.

Florian Kunz leitet mit seinem Bruder eine Immobilienfirma mit sechs Angestellten. Allein bis zum Beginn der Olympischen Spiele im August wird er wegen seiner Verpflichtungen mit der Nationalmannschaft an 65 Arbeitstagen fehlen. „Mein Bruder weiß noch gar nicht, was auf ihn zukommt“, sagt er. Aber nicht alle Arbeitgeber sind in der Lage, auf die bei ihnen beschäftigten Sportler so viel Rücksicht zu nehmen. Michael Green, Arzt an einem Hamburger Krankenhaus, hat ein Jahr unbezahlten Urlaub genommen und spielt jetzt den Winter über in Barcelona.

In den anderen großen Hockeynationen sind die Spieler richtige Profis. Die pakistanische Nationalmannschaft zum Beispiel ist schon seit drei Monaten im Trainingslager. Florian Kunz hält es daher für ein Wunder, „dass wir trotzdem mithalten können“. Mithalten ist gut. Die deutschen Hockeyspieler sind Welt- und Europameister, und sie sind die erste und bisher einzige deutsche Mannschaft, die sich in einer Ballsportart für Olympia qualifiziert hat.

Kunz fährt morgens von seinem Wohnort Mönchengladbach 50 Kilometer zur Arbeit nach Leverkusen und abends die gleiche Strecke wieder zurück. Auf dem Gelände vom GHTC wartet dann oft schon der Bundestrainer. Früher gehörte auch Christian Schulte, der Torwart vom Crefelder HTC, der kleinen Trainingsgruppe an, inzwischen aber spielt Schulte ebenfalls in Barcelona. Für Kunz bedeutet das, dass er die Ecken jetzt aufs leere Tor schießen muss, in so genannte Schlenzkästen, die der Bundestrainer eigens zu diesem Zweck entworfen hat. 100-, 150-mal macht Kunz das pro Trainingseinheit. An Stupidität ist die Übung kaum zu unterbieten. „Ich hasse es“, sagt er. „Aber du musst eben mehr tun, um dein Level zu halten.“

Nach Olympia wird das alles vorbei sein. Kunz will seine Laufschuhe gleich in Athen lassen. Die braucht er dann nicht mehr. Und wenn seine Nachfolger in der Nationalmannschaft demnächst zu Lehrgängen einrücken, kann Florian Kunz endlich mal wieder Urlaub machen. Der letzte liegt acht Jahre zurück.

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