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Sport: Größe ist nicht alles

Gabor Kiraly ist der bessere Torhüter bei Hertha BSC – aber Christian Fiedler passt besser ins System von Trainer Hans Meyer

Maspalomas. In diesen Tagen scheint etwas Außergewöhnliches mit Christian Fiedler zu geschehen. Fiedler brüllt und schreit und flucht. Dabei galt Herthas Ersatztorhüter einmal als ruhiger und zurückhaltender Mensch. „Raus hier, Niko!“, ruft er bei einem Trainingsspiel. „Ich muss doch letzter Mann sein!“, schreit Kovac zurück. „Wieso?“, antwortet Fiedler, „ich bin doch da.“

Besser könnte man die Rolle von Christian Fiedler eigentlich nicht beschreiben. Er ist einfach da. Seit 13 Jahren schon spielt er für Hertha BSC, mit den Amateuren stand er im Pokalfinale, und obwohl er 1997 mit den Profis in die Fußball-Bundesliga aufgestiegen ist, wurde er schon nach wenigen Spielen zum Ersatzmann zurückgestuft. Nur im letzten Jahr unter Jürgen Röber war Fiedler noch einmal für sieben Spiele die Nummer eins. Erst jetzt, nach mehr als sechs Jahren, hat Fiedler wieder die realistische Chance, Gabor Kiraly als Stammtorhüter abzulösen. „Ich fühle mich sehr gut“, sagt Fiedler. „Ich werde Druck ausüben. Aber das habe ich immer schon gemacht.“

Kiraly mag in der Summe aller fachspezifischen Fertigkeiten der bessere Torhüter sein, Fiedler aber passt besser in das von Hans Meyer erdachte System. Herthas neuer Trainer pflegt eine Form der offensiven Verteidigung. Die Stürmer sollen die gegnerischen Abwehrspieler schon weit vor der Mittellinie attackieren, sie unter Druck setzen und auf diese Weise zu Fehlern zwingen. Damit dieses System funktioniert, dem Gegner wenig Raum bleibt, reicht es nicht, wenn nur die Stürmer weit vorn angreifen; auch die anderen Mannschaftsteile müssen vorrücken: das Mittelfeld, die Abwehr – und der Torwart.

Bleibt der Torhüter in seinem eigenen Strafraum, klafft zwischen seinen Verteidigern und ihm eine riesige Lücke – es wäre die ideale Konstellation für Konterangriffe des Gegners. Um das zu verhindern, muss der Torhüter eine Art Ersatzlibero spielen. Als Meyer noch Trainer bei Borussia Mönchengladbach war, hat er mit dem Schweizer Jörg Stiel einen Torwart geholt, der diese Rolle fast perfekt ausfüllen konnte. „Er hat ein unglaublich gutes Auge für gefährliche Situationen gehabt“, sagt Meyer. „Fiedler hat das auch.“

Vom Typ her sind sich Fiedler und Stiel sehr ähnlich. Beide zählen zu den eher Kleineren ihres Fachs, Stiel gibt seine Größe mit 1,80 Meter an, was sogar leicht übertrieben ist, Fiedler ist genauso groß. Doch kleinere Torhüter stehen unter dem Generalverdacht, dass ihnen etwas zu wahrer Größe fehle. „Ich kann’s nicht ändern“, sagt Fiedler. „Oder soll ich sagen, dass ich 1,85 Meter groß bin?“

Fiedler ist nicht groß, dafür hat er andere Fähigkeiten. Ohne Zweifel ist er der beste Fußballer unter Herthas Torhütern. Der 1,90 Meter große Kiraly besitzt hingegen Vorzüge bei der Beherrschung seines Strafraums. Fiedler würde Probleme bekommen, wenn der Gegner Herthas Tor belagerte und eine hohe Flanke nach der nächsten in den Strafraum schlüge. Doch genau das will Trainer Meyer mit seiner Spielweise verhindern.

Es gibt auch noch andere Zeichen, welche die Spekulation über einen Tausch im Tor erhärten. Herthas Manager Dieter Hoeneß hat Ende des Jahres die Option verstreichen lassen, den Vertrag mit Gabor Kiraly zu den alten Konditionen bis Mitte 2006 zu verlängern. Das hatte zwar vor allem finanzielle Gründe: Der bisherige Vertrag des Ungarn datiert noch aus der Zeit vor der Kirch-Krise. Kiraly wird dadurch – für die heutigen Verhältnisse – übermäßig gut entlohnt. Und doch hat auch Kiralys nicht gerade berauschende Vorrunde bei Herthas Überlegungen eine Rolle gespielt. „Er muss sich steigern“, sagt Hoeneß. Andererseits ist Herthas Manager davon überzeugt, „dass Gabor kämpfen wird“. Kiraly sei diesmal wesentlich fitter aus dem Winterurlaub nach Berlin zurückgekehrt.

Doch im ersten Testspiel nach der Winterpause, bei der 1:2-Niederlage gegen den RSC Anderlecht, stand Fiedler im Tor – auch das könnte ein Zeichen sein. „Er hat gut gehalten“, sagt Herthas Torwarttrainer Enver Maric, der durch seine Rolle zu einer gewissen Neutralität verpflichtet ist. An den beiden Toren war Fiedler schuldlos. Er hat – im Gegenteil – die Rolle schon so ausgefüllt, wie Meyer sich das vorstellt. Bei den eigenen Angriffen stand Fiedler weit vor dem eigenen Strafraum. „Das ist mein Spiel – dass ich versuche, wie ein Libero zu agieren“, sagt er. Hans Meyer hat es ähnlich gesehen: „Wenn er das so spielt, hat er eine gute Chance.“

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