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Eine Familie bewundert den deutschen Siegerpokal der Fußball-WM von 2014 in der Schatzkammer des Dortmunder Fußballmuseums.

© Stephan Schütze

Glaube, Liebe, Tore: Das Kulturprogramm „Vom Fußball berührt“ zur Europameisterschaft

Parallel zur EM läuft in Deutschland ein breites Kulturprogramm, das den Fußball in all seinen Facetten beleuchten will. Eine Übersicht.

Pier Paolo Pasolini, vielleicht kein Wunder bei diesem dynamisch-wohlklingenden Namen, war nicht nur der große politische Poet und Filmemacher im Italien der sechziger und siebziger Jahre. Seine Leidenschaft galt auch dem Fußball, aktiv wie passiv. Wann immer möglich, ging er ins Stadion, um seinen FC Bologna zu unterstützen.

Fußball, Eros, Literatur – sie bildeten für ihn eine Trias: „Das Geheimnis des modernen Spiels liegt, was den einzelnen Fußballer angeht, in der Verbindung aus höchster Genauigkeit und maximaler Geschwindigkeit. Er muss rennen wie ein wahnsinniger und gleichzeitig Stil zeigen.“

Pier Paolo Pasolini (Bildmitte) 1969 im Fußballtrikot

© Imago

Der Schriftsteller Moritz Rinke, der viele Jahre später in einer anderen Liga stürmte, der deutschen Schriftsteller-Nationalmannschaft, hat es so ausgedrückt: „Die Liebe der Kulturschaffenden zum Fußball ist manchmal so glühend und blind, dass wir in die Protagonisten des Fußballs – unsere Sterne! – alles hineinprojizieren, was ohnehin schon in uns an Überhöhung vorhanden ist.“

Vier Wochen Fußball-Wahn bei der Europameisterschaft in deutschen Stadien und Städten. Dazu läuft bundesweit ein breites, kaum überschaubares Kulturprogramm mit dem Titel „Vom Fußball berührt“, das den Sport, aber auch den Kommerz betrachtet, Fußball und Fan-Kult in vielen Facetten.

Am Tag des Eröffnungsspiels, am 14. Juni (Deutschland trifft in München auf Schottland) kontert das Maxim Gorki Theater Berlin mit der Produktion „Ein Endspiel“. Da geht es um die Amateure und die Profis, die Basis und korrupte Bosse. An dem Projekt wirken Fußballerinnen und Fußballer aus hauptstädtischen Vereinen mit, ähnlich wie bei dem Dokumentarfilm „Elf Mal Morgen“, der in diesem Jahr auf der Berlinale lief.

Das Sportmuseum Berlin im Olympiapark zeigt während der Uefa Euro 2024 die Ausstellung „Sport. Masse. Macht“, die sich mit dem Thema Nationalsozialismus und Fußball auseinandersetzt. Das Haus der Kulturen der Welt macht die ganz großen Fässer auf. Das Programm „Ballett der Massen“ dreht sich um „Fußball und Katharsis, Kultur, Wirtschaft, Gesundheit, Geschichte und Politik“ im internationalen Rahmen. Man erinnert sich auch, wie aufregend es war, im HKW die großen Länderspiele live auf der Leinwand zu erleben.

Ein Wandbild im Dortmunder Stadion

© Imago

„Vom Fußball berührt“: Das offizielle Programm zur EM umfasst, von der Bundesregierung gefördert, rund sechzig Projekte und über dreihundert Einzelveranstaltungen. „Fußball ist für alle da“, heißt es in Dortmund. Kaum eine zweite Stadt ist so eng verbunden mit ihrem Club. In Dortmund ist auch das deutsche Fußballmuseum zu Hause.

Die Dortmunder Nordstadt soll mit großen Fassadenmalereien die Vielfalt und die Kraft des Fußballspiels zeigen, in einer Verbindung von Sozialarbeit und Kunst. Unter dem Motto „Glaube, Liebe, Fußball“ will das Düsseldorfer Schauspielhaus in einer Freiluftshow legendäre EM-Szenen, Fangesänge und Choreografien feiern.

Zu „Ballett der Massen“ im Haus der Kulturen der Welt in Berlin

© Random Institute Unsplash

Fußball historisch und ganz persönlich: Der Künstler Andreas Slominski hat alte Fußballplakate aus Westdeutschland zusammengetragen, die im Zentrum seiner Ausstellung „Wohnorte gegen Geburtsorte“ im Essener Museum Folkwang stehen. Das Problem ist jedem Fußballfan vertraut: Geboren irgendwo im Süden oder Westen, lebt man in Berlin. Zu welcher Mannschaft soll man halten? Slominski wurde in Meppen geboren.

Was auch zeigt: Fußball ist eine Graswurzelgeschichte. Meist fängt man ganz unten an. Und eine alte Regel sagt: Du kannst dir den Verein nicht aussuchen, der Verein sucht dich aus. Ebenfalls in Essen, in der Stiftung Ruhr Museum, läuft die Ausstellung „Mythos und Moderne. Fußball im Ruhrgebiet“. In Gelsenkirchen, wo der lokale Club derzeit nur zweitklassig ist, können die Besucher mit virtueller Technik aufregende europäische Fußballorte besuchen. Und da spielt dann auch der FC Schalke 04 eine wichtige Rolle.

Ein Plakat aus der Ausstellung „Wohnorte gegen Geburtsorte“ im Museum Folkwang Essen

© Museum Folkwang, Essen/© Andreas Slominski

Früher einmal haben deutsche Nationalmannschaften vor großen internationalen Turnieren eher peinliche Partyhymnen aufgenommen. Diese Zeiten sind vorüber. Es geht um mehr als Stimmungsmache. Es zeigt sich ein gesellschaftlicher Gesamtzusammenhang, wie es der kürzlich verstorbene Theaterautor René Pollesch gesagt hätte.

Euphorie und Emotionalität, Entertainment und globale Investoren bestimmen das Event gleichermaßen. Die Stiftung Fußball und Kultur Euro 2024 sieht Fußball als ein „Instrument der Soft Power“, als einen „Weg, um eine Vorbildfunktion auszuüben und die eigenen Werte nach außen zu projizieren.“

Philipp Lahm, Weltmeister von 2010, ist als Turnierdirektor federführend dabei. Er wünscht sich „ein neues Wir-Gefühl. Wir wollen in ganz Deutschland eine erfolgreiche Euro veranstalten, gute Gastgeber sein und darüber hinaus Positives für die Gemeinschaft bewirken und ein Vorbild für soziale und ökologische Nachhaltigkeit sein.“ Da klingt natürlich der Traum von einem Sommermärchen an.

Aber das wird kein leichter Weg sein, ganz abgesehen von den Korruptionsvorwürfen gegen die Organisatoren der Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland. Es herrscht Krieg in Europa. Das wird den Fußball nicht unbeeindruckt lassen. Die russische Nationalmannschaft nimmt an diesem Turnier nicht teil. Die Ukraine hat sich in letzter Minute noch qualifiziert.

Europa kann sich hier vor allem als ein Kontinent des Friedens präsentieren. „On Screen“: In zwei Dutzend Städten werden in lokalen Kinos schon seit Anfang März und bis zum 14. Juli, dem Tag des Endspiels, europäische Fußballfilme vorgeführt. Auch die „Theatersport-EM“ läuft in mehreren Städten: Da wird auf der Bühne improvisiert und um den Sieg gekämpft. Auch hier treffen sich Teams aus den europäischen Nachbarstaaten.

Fußball ist Theater, ist Drama

„Theater muss wie Fußball sein“ – das war einmal ein Spruch in der Freien Szene. Angeblich hat das auch schon Bertolt Brecht gesagt. Für die Oper mit ihren massiven Dramen gilt das umso mehr. Das Hamburger Opernloft spielt zur EM eine Show aus Fußballgesängen und Opernarien. Herzzerreißend sind sie allemal. Und auf Kampnagel in Hamburg gibt es Fußball ohne Ende, nicht nur zur EM – mit Workshops, Community-Programmen und einem großen Finale im Juni.

Dreizehn Millionen Euro lässt sich die Bundesregierung das Spektakel zum Spektakel kosten. Nach der WM in Qatar, so scheint es, will man etwas gutmachen, nicht nur wegen der sportlichen Pleite der deutschen Mannschaft bei der Winter-WM am Golf. Die ewigen Nachrichten von den geldgierigen, nimmersatten internationalen Spitzenverbänden brauchen eine Pause. Für Staatsministerin Claudia Roth ist der Fußball ein wichtiges Kulturgut. Er verbinde auf und abseits des Rasens die Menschen, unabhängig von Herkunft, Geschlecht oder Alter.

Aber es ist zu hoffen und im ungünstigen Fall auch zu fürchten, dass am Ende nur die Tore zählen. „Jedes Tor ist eine eigene Erfindung“, hat Pier Paolo Pasolini gesagt, „jedes Tor ist Unausweichlichkeit, Geistesblitz, Staunen, Irreversibiliät.“ Und er hat hinzugefügt: „Genau wie das dichterische Wort.“

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