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Finanzexperte Weber: "Prognosen von Aktienkursen sind Unsinn"

Finanzwissenschaftler Martin Weber spricht mit dem Tagesspiegel über typische Fehler von Privatanlegern, unnötige Kosten und schlechte Beratung.

Herr Weber, was sind die schlimmsten psychologischen Fallstricke für Anleger?

Die meisten Anleger überschätzen sich und glauben, ihre eigene Einschätzung sei grundsätzlich besser als die des Marktes. Dies ist vielleicht im Leben hilfreich, an der Börse aber nicht. Selbstüberschätzung führt dazu, dass der Markt selektiv aus dem eigenen Blickwinkel gesehen wird und Informationen, die nicht zur eigenen Meinung passen, ausgeblendet werden. Zweitens wollen viele Anleger nicht wahrhaben, dass es mehr Rendite nur mit einem höheren Risiko gibt und dass man umgekehrt mehr Sicherheit mit niedrigen Renditen bezahlt. Und drittens achten die meisten nicht auf die Kosten, die aber langfristig enorm die Rendite schmälern.

Viele vertrauen auf Analysten und ihre Tipps. Sie halten dies für unnötig. Warum?

Im Durchschnitt hat die Hälfte der Analysten recht, die andere Hälfte unrecht. Niemand kann die Zukunft vorhersagen. Dass viele Anleger dennoch Tipps und Kursziele ernst nehmen, liegt daran, dass ihnen die Ungewissheit der Zukunft Angst macht. Besser wäre es, die Unsicherheit hinzunehmen, denn Prognosen von Aktienkursen sind einfach Unsinn.

Aktienkauf ist dann reine Glücksache?

Ja, Aktienkauf ist Glückssache. Deswegen ist es sinnvoller, nicht auf einzelne Aktien zu setzen, sondern breit in den Markt zu investieren. Wenn ich überhaupt nicht bereit bin, zu irgendeinem Zeitpunkt Verluste zu machen, darf ich gar nicht an der Börse anlegen. Denn betrachtet man beispielsweise einen Zeitraum von fünf Jahren, liegt das Risiko, an der Börse einen Verlust einzufahren, bei eins zu sechs beziehungsweise 16 Prozent.

Viele Anleger glauben aber, dem Markt ein Schnippchen schlagen zu können.

Das schaffen die wenigsten Privatanleger, außer sie haben Glück. Im Schnitt ist ein Privatanleger, das haben viele Untersuchungen bewiesen, etwa zwei bis drei Prozent pro Jahr schlechter als der Markt, denn er muss ja auch seine Kosten erwirtschaften. Profis schneiden etwas besser ab, aber in der großen Mehrzahl bleiben sie dennoch unter dem Gesamtmarkt. Kein Anleger wird es schaffen, stets den richtigen Kauf- und Verkaufszeitpunkt zu erwischen. Das bringt nichts. Wenn ein Berater sagt, man solle jetzt einsteigen, weil es billig sei, oder verkaufen, weil der Markt gut gelaufen sei, ist dies Quatsch.

Egal war es aber nicht, ob ein Anleger 2007 bei mehr als 8000 Dax-Punkten oder 2008 unter 4000 Punkten gekauft hat?

Das weiß man aber immer erst später. Im Frühjahr 2009 haben viele gesagt, nun kommt die Katastrophe, eine Weltwirtschaftskrise wie in den Dreißigerjahren. Aber sie kam nicht, die Börsen stiegen wieder. Es ist völlig egal, ob ich heute kaufe oder morgen. Die Entwicklung der Vergangenheit spielt keine Rolle, weil alle bekannten Informationen stets im Kurs enthalten sind. Morgen werden die Karten neu gemischt.

Sie plädieren also für ein passives Orientieren am Index?

Ja. Wenn man weiß, dass Anleger und Fondsmanager im Schnitt nicht schlauer sein können als der Gesamtmarkt, dann macht das Sinn. Ein Depot mit passiven Indexpapieren ist zwar längst nicht so sportlich wie ein Depot mit zig Aktien und Fonds, dafür aber viel billiger.

Braucht man dann noch einen Berater?

Ja, aber nicht, um die Vorteile von Bayer im Vergleich zu BASF oder umgekehrt zu erklären. Auch ein Berater, der behauptet, 25 Prozent Anleihen seien besser als 35 Prozent, oder umgekehrt, erzählt Unsinn. Ein Berater sollte dafür sorgen, dass der Kunde günstig anlegt, alle Produkte versteht und sein Depot breit aufstellt. Diversifizierung ist vernünftig und notwendig.

Und viele Privatanleger vergessen dies?

Viele deutsche Privatanleger haben die „home bias“, sie kaufen am liebsten deutsche Aktien und erhöhen so unnötig ihr Risiko. Ich rate zu einer Aufteilung auf Europa, Nordamerika, Schwellenländer und den Pazifikraum. Man muss in die Schornsteine der ganzen Welt investieren. Hinzu kommen Anleihen und Rohstoffe.

Das Interview führte Veronika Csizi

Martin Weber ist Professor für Betriebswirtschaftslehre mit dem Schwerpunkt Bankbetriebslehre an der Universität Mannheim.

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