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Weihnachtsmarkt in der Kulturbrauerei.

© Tagesspiegel / Doris Spiekermann-Klaas

Angst vor Umwandlung zum Bürokomplex: Berlin soll Kulturbrauerei durch Ankauf retten

Lokalpolitik und Kulturschaffende fürchten nach einer Investorenfusion um die berühmte Kulturbrauerei in Prenzlauer Berg. Akut gefährdet ist das Kino.

Von Christian Hönicke

Sie ist neben dem Mauerpark die bekannteste Kulturinstitution Prenzlauer Bergs: die Kulturbrauerei. 2,5 Millionen Besucher aus aller Welt lockt die ehemalige Schultheiss-Brauerei an der Schönhauser Allee jedes Jahr mit ihrem bunten Angebot aus Musik, Film, Theater und Bildung an. Doch diese einmalige Mischung im Herzen Berlins ist bedroht.

Pankows Lokalpolitik fürchtet nach der Fusion des Grundstückseigentümers TLG Immobilien mit dem Luxemburger Immobilienkonzern Aroundtown, dass das kulturelle Herz Prenzlauer Bergs sukzessive zu einem Büro- und Shoppingstandort umgewandelt wird.

In der Pankower Bezirksverordnetenversammlung (BVV) gab es deswegen den Vorstoß, das Gelände durch das Land Berlin ankaufen zu lassen. Ein Antrag der Grünen, den die Linkspartei formal unterstützte, forderte am Mittwoch, den Kultur- und Kinobetrieb in der Kulturbrauerei „dauerhaft zu sichern“. Zur Begründung heißt es, in der Kulturbrauerei „droht akut die Umwandlung von Kulturräumen in Büroflächen“.

Einerseits sollen sich Bezirk und Senat für eine langfristige Verlängerung der Mietverträge um mindestens zehn Jahre einsetzen. Die kulturelle Nutzung soll „durch Festschreibung in einem Bebauungsplan oder durch Eintrag in das Grundbuch“ gesichert werden. Als Königsweg wird jedoch der Ankauf des Areals vorgeschlagen: „Das Bezirksamt wird schließlich ersucht, sich beim Senat für den Erwerb der Immobilie durch das Land Berlin einzusetzen, um die kulturelle Nutzung dauerhaft sicher zu stellen und kontinuierlich auszuweiten.“

Blick auf die ehemalige Schultheiss-Brauerei 1983.
Blick auf die ehemalige Schultheiss-Brauerei 1983.

© privat / Thomas Graminsky

Nach der Einstellung des Brauereibetriebs in den 1960er Jahren wurde das Gelände 1991 durch Künstlerinnen und Künstler zu einem Kultur- und Kunstzentrum umgestaltet. Dabei seien „hohe finanzielle Investitionen durch die Bundesregierung und die Landesregierung Berlin“ getätigt worden, heißt es im BVV-Antrag. Heute befinden sich neben dem „Kino in der Kulturbrauerei“ auf dem Gelände unter anderem der „frannz Club“, das „Soda“, ein Museum, die „Alte Kantine“ und das „Kesselhaus“.

Der Bund verkaufte das Areal 2012 - nun laufen die Mietverträge aus

Das Areal wurde zunächst von der Treuhandliegenschaftsgesellschaft verwaltet, 2012 wurde diese von der Bundesregierung an den US-Investor Lone Star verkauft. Für die Mietverträge der Kulturbrauerei wurde dabei lediglich eine zehnjährige Bestandsgarantie bis Ende 2021 vereinbart, dazu eine mieterseitige Option auf Verlängerung bis 2026. Zwischenzeitlich wurde die TLG in eine Aktiengesellschaft umgewandelt, die vergangenes Jahr mit dem Immobilienkonzern Aroundtown fusionierte.

Der neue Riese hat sich auf Gewerbeimmobilien spezialisiert – ein Kulturstandort wirkt in diesem Portfolio eher exotisch. Nicht nur Grüne und Linke haben daher die Sorge, dass an der Schönhauser Allee künftig Büros und Shopping dominieren werden. Die Verdrängung der Künstler „hat schon begonnen“, sagt die Grünen-Fraktionsvorsitzende Cordelia Koch. „Wenn wir nichts unternehmen, wird hier bald nur noch ein schicker Bürokomplex stehen.“

Koch nannte es einen „Skandal“ und „Irrsinn“, dass der Bund das Areal überhaupt an einen Investor verkauft habe. „Die Kulturbrauerei wurde mit öffentlichem Geld saniert und durch die ehrenamtliche Arbeit von Initiativen, Kulturschaffenden und Anwohnenden ermöglicht. Die gehört unmittelbar in öffentliche Hand.“ Doch leider sei beim Verkauf 2012 sogar versäumt worden, die kulturelle Nutzung ins Grundbuch oder einen Bebauungsplan festzuschreiben.

Die Kulturbrauerei sei ein „Leuchtturm“ weit über Prenzlauer Berg hinaus, befand auch Pankows CDU-Fraktionschef Johannes Kraft: „Dieser Kulturstandort ist von großer Bedeutung.“ Doch ein Ankauf sei das „ganz große Geschütz“, die CDU präferiere eine Lösung über die Aufstellung von Bebauungsplänen. Die BVV-Parteien einigten sich auf eine weitere Beratung der Thematik im Stadtentwicklungsausschuss. In jedem Fall brauche Berlin eine „nachhaltige Sicherung der Kulturbrauerei“, etwa durch eine „planungsrechtliche Festsetzung“ der kulturellen Nutzung, forderte Koch.

Wenn das Kino verschwindet, wird ein „Domino-Effekt“ befürchtet

Die Zeit dafür wird knapp. „Die meisten Mietverträge auf dem Gelände haben noch eine Laufzeit von vier bis fünf Jahren“, sagt Sören Birke. „Die Frage ist, wie geht es dann weiter.“ Birke ist eine Institution in der Kulturbrauerei. Er betreibt die Eventlocations Kesselhaus und Maschinenhaus im Auftrag des Landes Berlin und ist quasi als Unterhändler der diversen Brauerei-Nutzer unterwegs. Trotz seiner diplomatischen Worte ist ihm die Sorge um die Zukunft anzumerken. „Die Kulturbrauerei braucht eine langfristige Perspektive als Kulturstandort“, sagt er. Das sei für Mieter, Eigentümer und Bezirks- und Landespolitik „eine Aufgabe der kommenden Legislaturperiode“. Nötig sei dabei zuallererst eine stadtgesellschaftliche Verabredung, „dass die Kulturbrauerei ein Kulturstandort bleibt“.

Akut gefährdet ist laut Birke das Kino. Der Betreiber Cinestar ist nach Angaben der Grünen „aufgrund der Pandemie in sehr schwieriger wirtschaftlicher Lage“ und befinde sich überdies mit der TLG im Rechtsstreit wegen Mietzahlungsrückständen während der Pandemie. Das Kino habe „eine Schlüsselfunktion für das gesamte Gelände“, sagt Birke. „Wenn man diesen Teil loslässt, entsteht möglicherweise ein negativer Domino-Effekt gegen die anderen Kulturanbieter.“ Es gebe Ideen, es als Programmkino umzugestalten. Der Eigentümer sucht derzeit dem Vernehmen nach bereits einen neuen Betreiber. Die TLG äußerte sich dazu auf Nachfrage nicht.

Der Hof der Kulturbrauerei in Berlin-Prenzlauer Berg.
Der Hof der Kulturbrauerei in Berlin-Prenzlauer Berg.

© Tagesspiegel / Thilo Rückeis

Mit dem Verkauf des Areals durch den Bund und nun der Fusion von TLG und Aroundtown habe sich „die Dynamik verändert“, sagt Birke. „Die Frage ist: Welches Interesse hat der jetzige Eigentümer an einer nachhaltigen Entwicklung des Kulturstandorts? Dazu gibt es derzeit keinen Dialog.“

Die TLG bekannte sich auf Tagesspiegel-Anfrage nicht explizit zur Sicherung des Kulturstandorts. Stattdessen verfüge die Kulturbrauerei „über einen breit gefächerten Mietermix aus den verschiedensten Segmenten“, hieß es in einer Erklärung. „Die TLG verfolgt allgemein das Ziel, in ihrem Portfolio langfristige Mietverträge mit stabilen Mietzahlungen und einer diversifizierten Mieterstruktur abzuschließen.“ Unabhängig davon seien „Mietvertragsabschlüsse für Gewerbeflächen immer das Ergebnis partnerschaftlicher Verhandlungen“.

Die Zeichen sind eher, dass die Eigentümer den Weg der maximalen Verwertung suchen.

Sören Birke, Betreiber von Kessel- und Maschinenhaus

Genau diese „partnerschaftlichen Verhandlungen“ wünscht sich auch Sören Birke. Doch der Kontakt zu den Mietern insbesondere aus dem Kulturbereich werde vonseiten der Eigentümer aktuell „nicht gewünscht. Die Zeichen sind eher, dass sie den Weg der maximalen Verwertung für das Gelände suchen.“

Zwar verweist die TLG darauf, dass erst kürzlich bestehende Mietverträge verlängert worden seien. Doch bei Neuvermietungen lägen die Gewerbemietpreise schon bei 30 Euro je Quadratmeter, sagt Birke, „das ist nicht im Sinne des Gründungsmythos der Kulturbrauerei“. In der Kulturbrauerei stecke „so viel gesellschaftliches und privates Geld, Engagement Einzelner, Lebenszeit und Leidenschaft drin. Das darf man nicht einfach der Immobilienverwertungslogik opfern - aber genau das passiert jetzt.“

Seine Befürchtungen skizziert Birke so: „Erst kommen die Clubs, dann sind die zu laut, dann kommen die Galerien, die ziehen Kapital an, dann werden daraus Büro- und Einkaufszentren. Das ist die weltweite Logik, der Berlin widerstehen sollte.“ Wenn ein Standort wie die Kulturbrauerei wegfallen würde, „wäre das international ein großer Verlust für Berlin“.

Um das zu verhindern, sei zunächst einmal der Dialog mit dem Eigentümer wichtig. „Unser erster Wunsch ist, überhaupt ins Gespräch zu kommen, um gemeinsam eine Perspektive für die nächsten 20, 30 Jahre zu erarbeiten“, sagt Birke. „Ich unterstütze auch in jedem Fall den Kaufwille des Landes Berlin, als ein Szenario.“ Sein persönlicher Wunsch „wäre ein Grundbucheintrag für alle Ewigkeiten, mindestens für 99 Jahre, der die kulturelle Nutzung festschreibt“.

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