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Einer der neuen Containerblöcke am S-Bahnhof Grünau.

© Thomas Loy

600 Euro für 18 Quadratmeter: Illegale Containersiedlung am Stadtrand

Am S-Bahnhof Grünau ist ein neues Wohnquartier entstanden, ganz ohne Mittun und Genehmigung der Behörden. Der Vermieter spricht von einem „alternativ-sozialen Wohnprojekt“.

| Update:

Wohncontainer, das war die Notlösung zur Unterbringung von Flüchtlingen aus Syrien und vielen anderen Ländern ab 2015. Erst wurden die Container gestapelt, dann nebeneinandergestellt, immer mehrere Container zu einer Unterkunft verbunden. Diese staatlichen Containerprovisorien haben sich jetzt gewerbliche Anbieter zum Vorbild genommen. Die Wohnungsnot in Berlin ist weiterhin groß, da lassen sich auch Container problemlos vermieten.

Zum Beispiel am S-Bahnhof Grünau, direkt neben dem Bahndamm. Dort wird ein „alternativ-soziales Wohnprojekt in urbaner Randlage“ vermarktet, wie es auf Ebay-Kleinanzeigen heißt. 18 Quadratmeter für rund 600 Euro inklusive. Wohnen im Container ist nicht jedermanns Sache, aber die Vorteile liegen klar auf der Hand: „Kein WBS notwendig, Umzugsservice möglich, Abrechnung direkt mit Jobcenter/Sozialamt möglich, Hilfe bei Ämterangelegenheiten, keine Mieterhöhungen, Preis für bis zu zwei Personen und drei Haustiere.“

Filmemacher Biesendorfer ist ein Fan des Minimalismus

In die rund zwei Dutzend Container, die am S-Bahnhof Grünau stehen (weitere angeblich in Schöneweide und Karlshorst), passen je ein Bett, ein Kühlschrank und ein Regal. Ein Schrank würde die Bewegungsfreiheit schon ziemlich einschränken. Frank Biesendorfer, US-Amerikaner mit deutschen Wurzeln, 58 Jahre, wohnt hier seit fünf Monaten und ist ganz zufrieden. Er mag den „Minimalismus“, in der Kunst und auch für seinen privaten Alltag.

Frank Biesendorfer ist ganz zufrieden mit seiner Mini-Wohnung.
Frank Biesendorfer ist ganz zufrieden mit seiner Mini-Wohnung.

© Thomas Loy

Nach einer Scheidung habe er seinen Besitz in den USA verkauft, erzählt der Amerikaner, seitdem lebe er im Container in Grünau. Die Wände hat er mit Zeitungsseiten beklebt, die wild bemalt sind. Eigentlich sei er Filmemacher, habe aber schon lange keinen Film mehr gemacht. In Berlin arbeitet er als Koch, auch Lkw habe er schon gefahren, in den USA. Als US-Bürger sei er daran gewöhnt, sich alleine durchzuschlagen und nicht auf den Staat zu warten.

Motto der neuen Stadtrandsiedlung: „Anrufen … besichtigen … einziehen.“

Fürs Duschen, Wäschewaschen und die Toilette gibt es Gemeinschaftsräume, „Nutzung kostenlos“, heißt es in der Mietanzeige, außerdem gebe es viele Parkplätze direkt vor der Tür, ebenfalls kostenlos – so wird der öffentliche Park-&-Ride-Parkplatz am Bahnhof gleich mitvermietet. Motto der neuen Stadtrandsiedlung: „Anrufen … besichtigen … einziehen.“

Zwischen den beiden Containerblöcken gibt es einen Caravan-Stellplatz, blickdicht zum Parkplatz mit einem hohen Holzbohlenzaun abgeschirmt. Das Tor ist verschlossen. Stattdessen können die wartenden S-Bahn-Fahrgäste vom erhöhten Bahnsteig aus hineinschauen. Neben dem Stellplatz gibt es ein festes Gebäude, das wohl früher von der Bahn genutzt und vor ein paar Jahren zu einer „Pension“ ausgebaut wurde. Drei Frauen unterhalten sich im Flur, sie sprechen nur gebrochen Deutsch und möchten nicht wirklich reden.

Die Briefkästen für die Gemeinschafts-Wohnanlage.
Die Briefkästen für die Gemeinschafts-Wohnanlage.

© Thomas Loy

Im Flur der Baracke, erhellt von einer bunten Lichterkette, stehen Wäscheständer, Schuhe und Einkaufstüten. Am hölzernen Bauzaun hängt eine Reihe von Briefkästen, alle ordentlich mit Namen versehen. Die Pension wird offenbar dauerhaft bewohnt. Wie auch die Container nebenan. Hier wohnen weitere Mieter, ganz regulär und dauerhaft, wie ein Mann erzählt, der seinen Hund ausführt. Gemacht für Leute, die in Berlin sonst keine Wohnungen finden. Auch er möchte eigentlich nichts sagen. „Die Leute im Asylheim haben es besser als wir.“

Im Januar 2020 fragte die Treptow-Köpenicker AfD-Fraktion, was es mit dem Platz auf sich habe. Das Bezirksamt erklärte, es gebe Bauanträge zur Umnutzung eines Bürogebäudes in eine Pension und einer Freifläche in einen Parkplatz. Doch diese „ordnungsbehördlichen Maßnahmen“ seien erst aufgrund von Bürgeranfragen eingeleitet worden. Die Eigentümer hatten einfach Fakten geschaffen. Von Containern war damals noch nicht die Rede.

Sie sollen erst später entstanden sein, ebenfalls ohne Genehmigung. Auf Anfrage teilt die Stadtentwicklungsstadträtin Claudia Leistner (Grüne) mit: „Auf dem Grundstück sind eine Stellplatzanlage und eine Pension genehmigt. Bezüglich der ungenehmigten Nutzungen auf dem Gelände hat die Bauaufsicht ein Ordnungsmaßnahmeverfahren eingeleitet. Es ist bereits jetzt absehbar, dass dieses sehr langwierig werden wird.“ Warum das so lange dauern wird, erklärt Juristin Leistner so: „Die Verwaltung handelt nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip. Bevor eine Räumung veranlasst werden kann, sind alle milderen verwaltungsrechtlichen Mittel auszuschöpfen (nachträgliches Genehmigungsverfahren, Nutzungsuntersagung, Versiegelung und Ähnliches mehr).“

Stellungnahme des Vermieters: Das „Wohnprojekt“ nutzt Brachflächen, um Menschen zu helfen

Solange kann der Eigentümer, das in Niederschöneweide firmierende Unternehmen Santext, offenbar weiter mit einem Geschäftsmodell Geld verdienen, das die aktuelle Wohnungsnot zur Grundlage hat. Santext war zunächst telefonisch nicht erreichbar, hat aber inzwischen auf den bereits am Montag veröffentlichten Artikel im Leute-Newsletter für Treptow-Köpenick reagiert. Das Geschäftsmodell der „Santext Projektentwicklungs GmbH“ sei nicht die Wohnungsnot, sondern „die Umwidmung und Interimsnutzung von Brachflächen für alternativ-soziale Wohnprojekte für Menschen mit komplexen sozialen Hintergründen“, erklärt Elena Kirilov von Santext. Damit sei die „Entwicklung der Grundstücke zu Wohnbauzwecken für Luxuswohnungen mit Gewinnabsicht“ ausgeschlossen.

Rund ein Drittel der Bewohner wohnten mietfrei auf dem Gelände, sagt Kirilov, „weil sie entweder keinen Anspruch auf Sozialleistungen haben oder nicht in der Verfassung sind, ihre Rechte gegenüber Behörden geltend zu machen“. Darunter Sinti- und Romafamilien, die auf dem regulären Wohnungsmarkt praktisch chancenlos seien. Dass die AfD das Projekt sabotiere, sollte dem Bezirksamt eher zu denken geben, „nicht die kleineren Verstöße gegen Baurichtlinien“.

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