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Sophia Stahl

© Sven Darmer

Auf rechten Feindeslisten gelandet: „Jedem Demokraten kann das passieren“

Eine Ausstellung in Berlin zeigt Menschen, die auf Feindeslisten Rechtsextremer stehen. Hier erklärt die Organisatorin, wie ernst das Problem ist.

| Update:

Ab Dienstag präsentiert der Tagesspiegel zusammen mit dem gemeinnützigen Recherchezentrum Correctiv eine Ausstellung auf dem Platz vor dem Bahnhof Friedrichstraße: „Menschen – im Fadenkreuz des rechten Terrors“ zeigt eine Woche lang Bürger:innen, die von Rechtsextremen bedroht und auf sogenannte Feindeslisten gesetzt wurden. Die Journalistin Sophia Stahl hat die Ausstellung mitkonzipiert.

Frau Stahl, die Vorbereitung der Ausstellung hat ein ganzes Jahr gedauert. Weshalb so lange?
Wir mussten zunächst genügend Menschen finden, die bereit waren, sich für dieses Projekt fotografieren zu lassen und uns ihre Geschichte zu erzählen. Viele hatten verständlicherweise Vorbehalte.

Welche denn?
Sie hatten Angst, durch ihre Teilnahme noch stärker ins Visier der Rechtsextremen zu geraten. Sie machten sich Sorgen um sich selbst, aber auch um ihre Familie, Freunde oder Bekannte. Oder sie sagten ab, weil sie kleine Kinder haben. Andere brauchten Bedenkzeit, haben sich erst nach Wochen zurückgemeldet und gesagt: Okay, ich bin dabei, dieses Projekt ist mir wichtig.

Nun sind knapp 60 Porträts von Menschen zusammengekommen, die auf Feindeslisten von Rechtsextremen stehen, zum Teil mit Adresse und Telefonnummer. Wussten die Betroffenen davon?
Einige haben es erst durch uns erfahren. Andere wurden von Freunden gewarnt oder haben es per Zufall selbst entdeckt. Die allerwenigsten wurden von den Behörden gewarnt – und das, obwohl die Feindeslisten der Polizei natürlich bekannt sind.

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Was bezwecken Sie mit der Ausstellung?
Wir möchten zeigen, dass es Menschen in der Mitte der Gesellschaft trifft. Dass dies jedem Demokraten passieren kann und dass wir alle gemeint sind, wenn Rechtsextreme drohen. Es reichen schon vermeintliche Kleinigkeiten, um von Neonazis als Feind eingestuft zu werden. Zum Beispiel Joachim Treiber, der Leiter eines Stuttgarter Pflegeheims: Er hat Demonstranten, die gegen die AfD protestieren wollten, erlaubt, sich auf den Parkplatz des Heims zu stellen. So ist er auf einer Feindesliste gelandet. In der Berichterstattung über Rechtsextremismus stehen ja meist die Täter im Vordergrund. Wir wollten uns auf die Perspektive der Betroffenen konzentrieren.

Die Ausstellung ist seit Sommer durch Deutschland getourt. Zum Abschluss kommt sie für sieben Tage nach Berlin. Wie waren die Erfahrungen in anderen Städten?
Es kam darauf an, wo wir jeweils standen. Mitten in der Innenstadt gab es viel Zufallspublikum. Menschen, die vielleicht gerade einkaufen wollten oder in der Mittagspause waren. Die sahen dann das Porträt von Karl Lauterbach und dachten erstmal: Das ist eine Ausstellung zu Corona! Aber auch mit denen sind wir ins Gespräch gekommen. Wir haben enorm viel Interesse und Neugier gespürt. Gerade ältere Leute haben sich Zeit genommen. Vereinzelt gab es auch Versuche, das Problem zu relativieren. Zum Beispiel wurden wir gefragt, was denn bitteschön mit der Gewalt von links sei.

Was ist mit der Gewalt von links?
Dazu zeigen wir eine Statistik in unserer Ausstellung: Seit der Wiedervereinigung gab es vier Todesopfer durch linke Gewalt, im selben Zeitraum mindestens 187 Tote durch rechte Gewalt. Wer beides gleichsetzt, möchte das Problem rechter Gewalt kleinreden. Gerade vor dem Hintergrund der Selbstenttarnung des „Nationalsozialistischen Untergrunds“, die sich an diesem Donnerstag zum zehnten Mal jährt, halte ich das für geschmacklos.

Haben Sie Störversuche von Rechtsextremen erlebt?
Es gab Ankündigungen auf Telegram, gerade in Dortmund. Da schrieben Neonazis: „Wir sollten uns das mal ansehen und abgleichen, ob wir auf unseren Listen vielleicht jemanden vergessen haben.“ Aber die sind nicht aufgetaucht. Wir haben auch Sicherheitsmaßnahmen getroffen, stehen in engem Kontakt zur Polizei. Das hat bisher immer gut geklappt.

Die Bundesregierung hat das Verbreiten von Feindeslisten dieses Jahr unter Strafe gestellt.
Das ist ein guter Schritt, aber noch viel zu wenig. Es braucht dringend eine Informationspflicht. Dass also Sicherheitsbehörden die Betroffenen automatisch in Kenntnis setzen, sobald deren Name auf einer Feindesliste gefunden wird. Außerdem verbietet das neue Gesetz nur das Verbreiten solcher Listen. Adresssammlungen, die Neonazis nur für sich selbst anlegen, sind durch das neue Gesetz nicht betroffen.

Was wünschen Sie sich für die sieben Tage in Berlin?
Erstmal hoffe ich auf angenehme Temperaturen. Wir haben ja schon im Sommer beschlossen, dass wir die Ausstellung wegen Corona auch in Berlin open air präsentieren werden. Wir hatten Bedenken, dass die Inzidenzen bis November wieder deutlich ansteigen würden. Wie sich jetzt zeigt, war diese Entscheidung richtig.

Ist es nicht wahrscheinlich, dass Sie nach dieser Ausstellung selbst auf einer Feindesliste landen?
Ja, und davor habe ich natürlich Angst. Besonders meine Mutter hat mich gefragt, ob ich das nicht lieber sein lassen will. Aber als Journalisten ist es nun mal unser Job, auf gesellschaftliche Missstände hinzuweisen. Deshalb muss ich das in Kauf nehmen.

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