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Ankunftszentrum Tegel

© pa/SZ Photo/Schicke

Chaos im Berliner Flüchtlings-Ankunftszentrum: „Die Verantwortlichen ducken sich weg“

Wie werden Geflüchtete im Ankunftszentrum Tegel empfangen? Hier berichtet ein Mitarbeiter von organisatorischen Mängeln, Frust und Kälte.

Diesen Montag waren Franziska Giffey und Olaf Scholz für einen PR-Termin hier. Da hieß es wieder, wie rund alles laufe, wie eingespielt die Prozesse im Ankunftszentrum Tegel doch seien. Das macht mich wütend. Denn es hat wenig mit der Realität zu tun. Wer wie ich hier arbeitet, der weiß: Die Zustände sind chaotisch.

Wichtige Abläufe dauern länger als nötig oder funktionieren überhaupt nicht, weil sie schlecht organisiert sind. Und Geflüchtete, die dringend Hilfe brauchen, gehen in diesem Chaos unter. Mittlerweile kann ich gar nicht mehr sagen, was mich mehr entsetzt: was alles in Tegel nicht funktioniert oder wie wenig über diese Missstände in der Öffentlichkeit bekannt ist.

Ich habe erlebt, wie Helfer nach ihrem ersten Tag zum Teamleiter ernannt werden und dann völlig überfordert sind. Es gibt zu wenig Übersetzer, und die wenigen sind im Getümmel schwer auffindbar. Die Geflüchteten warten stundenlang in schlecht beheizten Zelten, sie frieren.

Coronatest? Nee, doch nicht

Zu Beginn wurde uns Helfern mitgeteilt, dass sich alle Ankommenden auf Corona testen lassen sollten. Das geht aber überhaupt nicht, denn die Teststation befindet sich im Flughafen, und die gesamte Registrierung findet im Außenbereich in den drei Zelten statt. Also hat man diesen Plan bald aufgegeben.

Flüchtlinge, die das erste Zelt betreten, bekommen ein Klemmbrett in die Hand und werden in den Wartebereich geführt, in dem sie einen Zettel ausfüllen können. Dann leitet man sie weiter an die Soldaten. Dort findet die erste Prüfung statt, nämlich vor allem: Haben sie eine Unterkunft in Berlin oder nicht? Sie dürfen nur in Berlin bleiben, wenn sie nachweisen können, dass sie bereits eine haben – und zwar garantiert für mindestens sechs Monate. Wer das nicht kann, wird in den nächsten Bus gesetzt und in ein anderes Bundesland gebracht. Die Flüchtlinge fragen uns natürlich, wo der Bus jeweils hinfährt, aber uns wurde mehrfach eingebläut, das auf keinen Fall zu verraten.

Ich habe in den Zelten Menschen gesehen, die umkippen und zu Boden fallen. Auch Kinder, die ganz blass waren und sich vor Stress übergeben mussten. Ich habe mitbekommen, wie Menschen mit Schmerzen gesagt wurde: „Sie sind jetzt kein akuter Notfall, bitte setzen Sie sich wieder hin.“

Offiziell, also auf dem Papier, soll es hier auch psychologische Unterstützung geben, aber ich habe auf dem Gelände sämtliche Ecken abgesucht, viele Menschen befragt. Niemand konnte helfen. Ich bin mittlerweile davon überzeugt, dass dieses Betreuungsangebot in der Realität schlicht nicht existiert.

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Diejenigen, die eine langfristige Unterkunft vorweisen können und in Berlin bleiben dürfen, werden im Zelt weitergeschickt zum Bereich des BAMF, des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge. Dort findet die eigentliche Registrierung statt, es werden Fingerabdrücke genommen und Ausweise geprüft.

Ich sah eine geflüchtete Frau im Rollstuhl, die hatte Krebs im fortgeschrittenen Stadium, ihre Chemotherapie war wegen der Flucht abgebrochen worden und musste dringend fortgesetzt werden. Man sah ihr an, wie geschwächt sie war. Eine Ärztin hier vor Ort hat ihr ein Dokument ausgestellt, wonach diese Frau definitiv nicht transportfähig ist und mitsamt ihrer Familie in Berlin bleiben muss, damit sie hier medizinisch behandelt wird.

Transportunfähig? Das ist egal.

Aber die Mitarbeiter vom BAMF und Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten haben sich quergestellt und geweigert, die kranke Frau zu registrieren – weil sie keine sechsmonatige Unterkunft in Berlin vorweisen konnte. Der Nachweis der Ärztin, dass die Frau transportunfähig ist, hat sie nicht interessiert.

Es gab Helfer, die konnten es nicht glauben und haben versucht, mit den Mitarbeitern der Ämter zu diskutieren. Aber die blieben stur. Sie wollten einfach nichts machen, was ihnen hinterher selbst Probleme bereiten könnte. Manche Mitarbeiter haben gesagt, sie seien nicht zuständig, man solle mal die Kollegen am Nachbartisch fragen. Einer schlug vor, die Frau solle doch zwei Tage später in Brandenburg ihr Glück versuchen.

Das ging mehr als vier Stunden so. Und die krebskranke Frau saß die ganze Zeit im Rollstuhl in einer Ecke des schlecht beheizten Zelts. Am Ende haben dann Helfer privat herum telefoniert und eine Unterkunft organisiert.

Das erlebe ich sowieso: Was die Behörden nicht zustande bekommen, fangen andere, nichtstaatliche Strukturen auch in dieser Krise wieder auf. Mit viel Engagement und Herzblut. Ich kann nur empfehlen, sich dort einzubringen. Die Situation in Tegel zeigt doch vor allem, wie wichtig es ist, dass sich möglichst viele Leute privat engagieren und gemeinsam Flüchtlinge unterstützen, die jetzt in Familien untergekommen sind oder anderweitig privat Unterkunft gefunden haben. Um so die Helfenden zu entlasten und den Flüchtenden den Schutz zu gewährleisten, den sie dringend benötigen.

Im Ankunftszentrum Tegel bekommen sie diesen Schutz nicht. In den drei Zelten geht es hektisch zu. Die einen Geflüchteten wissen nicht, wo ihr Gepäck geblieben ist. Andere verstehen nicht, was sie da ausfüllen sollen. Wieder andere haben sich komplett verlaufen. Dazu kommen die Verantwortlichen, die sich taub stellen und wegducken. In der Hoffnung, selbst keinen Ärger zu bekommen.

Dass in der Öffentlichkeit suggeriert wird, in Tegel laufe alles rund, halte ich für einen Skandal. Denn so wird sich auch nichts verbessern. Alle Helfer, mit denen ich gesprochen habe, finden die Zustände hier ebenfalls chaotisch. Aber keiner will das offen ansprechen. Manche winken zynisch ab und sagen nur „Grüße an die Senatsverwaltung“, andere geben ganz offen zu: „Ich möchte meinen Job nicht verlieren.“

Miese Organisation, die lustig klingt

Allein das Chaos mit den Westen. Die Mitarbeiter einer Hilfsorganisation sollen eigentlich blaue Westen tragen, aber alle, die im Leitsystem arbeiten, tragen ebenfalls blaue Westen. Die Übersetzer bekommen orangene, aber nur so lange, wie diese vorrätig sind, ansonsten tragen sie auch lilafarbene Westen. Die lilafarbenen Westen sind jedoch für medizinisches Personal gedacht. Es gibt auch Menschen, die zwei Westen tragen.

So viel miese Organisation mag lustig klingen, aber sie gefährdet die Sicherheit und Gesundheit der Geflüchteten. Zum Beispiel passen wir Helfer manchmal auf Kinder auf, während deren Eltern in der Registrierungsschlange stehen. Einmal waren die Eltern stundenlang fort, ihre Kinder blieben bei uns. Da wäre es dringend nötig, dass man zumindest wüsste, welche Leute als Helfer vor Ort sind.

Ich kenne hier Fälle, bei denen überhaupt nicht geprüft wurde, wer das ist. Die hatten auch keine Ahnung von Flüchtlingsbetreuungsaufgaben und haben sich einfach, so wie ich, kurz vorher über eine App angemeldet, mussten weder Impfschutz noch Führungszeugnis vorweisen. Letzteres ist für Kinderbetreuungsaufgaben eigentlich eine Selbstverständlichkeit.

Die Regel, dass alle Flüchtlinge ohne mindestens sechsmonatige Unterkunft aus Berlin weggebracht werden, ist auch deshalb problematisch, weil sie viele Flüchtlinge davon abhält, sich überhaupt registrieren zu lassen. Dazu muss man wissen, dass es in der Anfangszeit, zum Beispiel auf dem Messegelände, gar keine Registrierungsmöglichkeit gab. All die Menschen, die damals kamen, leben jetzt in Berlin und haben kein Interesse daran, sich nachträglich registrieren zu lassen – etwa weil ihnen ihre aktuelle Unterkunft nicht für sechs Monate zugesichert ist und sie deshalb aus der Stadt gekarrt würden

Protokoll: Sebastian Leber

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