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Alles anders in Berlin: Atefeh Kheirabadi und Mehrad Sepahnia.

© Atefeh Kheirabadi und Mehrad Sepahnia

Erfolgsmenschen oder Versager?: Wie ein Künstlerpaar aus Iran in Berlin überlebt

Atefeh Kheirabadi und Mehrad Sepahnia sind preisgekrönte Filmemacher, aber immer pleite und voller Existenzangst. Was motiviert sie weiterzumachen?

Von Maryam Mardani

Was ist Erfolg? Dieser Frage will ich nachgehen und habe mich in einem kleinen Café in Schöneberg mit einem Pärchen verabredet, von dem ich mir einen interessanten Blick auf das Thema erhoffe: Atefeh Kheirabadi und Mehrad Sepahnia sind Filmemacher aus dem Iran. Seit einigen Jahren leben und arbeiten sie in Berlin und man kann sagen: Sie sind extrem erfolgreich.

Ihr Kurzfilm „Kommen und Gehen“ wurde bei sieben Festival ausgezeichnet und für elf weitere Filmpreise nominiert. Sie sind in der Berliner Off-Kunstszene bekannt, der Inbegriff der internationalen Bohème. Zugleich schlagen sie sich dauernd mit Geld- und Existenzsorgen herum. Betrachtet man sie mit betriebswirtschaftlichen Augen, sind sie Looser und auch ihre iranische Herkunft sortiert sie in den Augen vieler eher auf die Schattenseite des Lebens.

Arm, reich, schwarz, weiß: Will ich mitmachen bei dem großen Sortieren?

Ich schaue mich im Café um, während ich auf die beiden warte: Die Menschen hier, in welche Schublade gehören sie? Erfolgsmenschen oder Versager? Und wie sehen sie mich? Was sind das überhaupt für Kategorien? Will ich überhaupt mitmachen bei dem großen Sortieren, denn oft verläuft die Grenze entlang der altbekannten Linien: Arm und Reich, Schwarz und Weiß, Diesseits und Jenseits des Mittelmeeres. Bevor ich noch weiter in Selbstzweifel abstürze, treten die beiden an meinen Tisch.

Kein Netzwerk: Für die beiden Filmemacher war es schwer, Fuß zu fassen.
Kein Netzwerk: Für die beiden Filmemacher war es schwer, Fuß zu fassen.

© Atefeh Kheirabadi und Mehrad Sepahnia

Atefeh Kheirabadi, die zierliche 32-Jährige mit den halblangen Wuschelhaaren, ist vor neun Jahren aus Teheran nach Berlin gekommen. Sie hat Kommunikationswissenschaften studiert und ist erst in Berlin zum Filmemachen gekommen. Mehrad Sepahnia hat im Iran Minen-Ingenieur studiert, aber das war nie das, was der breitschultrige 36-Jährige machen wollte. Er hatte schon im Iran angefangen, Filme zu machen. Experimentalfilme - insbesondere, wenn diese kritisch das Männerbild traditioneller islamischer Gesellschaften untersuchen - , kamen bei der Regierung der islamischen Republik nicht gut an. Er musste fliehen und machte in Berlin eine Ausbildung zum Mediengestalter. 

Wir bestellen Kaffee und trockenen Kuchen und ich taste mich nun an das Thema meines Interviews heran: „Was hat sich für eure Filmkunst geändert, als ihr nach Deutschland kamt?“, frage ich sie. „Alles hat sich geändert“, sagt Atefeh: „Filmemachen ist Teamwork und hier in Berlin hatten wir kein Netzwerk, niemand, der ihm helfen konnte. Das hat die Möglichkeiten sehr eingeschränkt“, sagt sie.

Tipps für Filmförderung, Equipment ausleihen, Aushilfe bei Darstellern, Kamera und Assistenz – Für all das braucht man Freunde, Beziehungen und Zugang zur Szene.“ Dafür wiederum muss man Deutsch können. Lauter Hürden. Mehrad lächelt seine Freundin an: „Na, ich hatte ja Dich!“ Tatsächlich habe es aber bis 2018 gedauert, bis sie das Budget für ihren ersten Kurzfilm auftreiben konnten. „Sechs Jahre nach unserer Flucht, waren wir endlich so weit“, sagt Mehrad.

Für die erste Generation von Einwanderern ist es oft sehr schwer, in Deutschland erfolgreich zu sein. Wie haben sie es geschafft? Atefeh beschreibt, wie sie sich von Projekt zu Projekt, von Kontakt zu Kontakt gehangelt haben. Kunstinitiativen unter der Überschrift “Diversity” seien für sie ein guter Anknüpfungspunkt gewesen. Dann stießen sie auf ein Kunstprojekt für Kinder. Es zielte darauf, Künstlerinnen und Künstlern aus Minderheitengruppen Einkommensmöglichkeiten zu geben.

„Bis dahin haben wir beide in irgendwelchen Jobs unseren Lebensunterhalt verdient. Das war unser erster Job in der Kunst. Zwar nicht in genau unserem Bereich, aber ab da wurde es besser“, beschreibt Mehrad. Das Projekt wurde von alteingesehenen Künstlern und Künstlerinnen in Berlin ins Leben gerufen: „Wir sind ihnen sehr dankbar, mit diesem Job haben sie uns unsere Anerkennung als Künstler und die Hoffnung zurückgegeben!“, ergänzt er.

Mit Experimentalfilmen verdient man kaum Geld.
Mit Experimentalfilmen verdient man kaum Geld.

© Atefeh Kheirabadi und Mehrad Sepahnia

Die konnten sie gebrauchen, denn Filmemachen und noch dazu experimentelle Filme ist selbst in Berlin, der Stadt der vielen Möglichkeiten, eine Tätigkeit, die fast immer arm macht. „Filme sind auch hier ein Markt, der vom Geld beherrscht wird. Unsere Filme füllen keine großen Säle und mit der Zeit verloren wir auch noch unseren Jugendbonus. Viele Stipendien und Förderprogramm sind nur für junge Künstler und wir sind über den ganzen Herausforderungen alt geworden“, sagt er.

Wir haben einen Traum. Wir wollen Filme machen, wie sie uns gefallen.

Atefeh Kheirabadi und Mehrad Sepahnia

Und was motiviert sie, dennoch weiterzumachen? Gerade arbeiten sie wie die Besessenen an einem neuen Filmprojekt. Tag und Nacht sind sie beschäftigt und es war fast unmöglich, einen Termin mit ihnen für dieses Interview zu vereinbaren. Wieso machen sie nicht etwas Einfacheres oder legen sich frustriert ins Bett, schieben den Misserfolg auf Corona etc., wie viele andere es tun? Haben sie nie Durchhänger? „Doch, ständig!“ sagen beide wie aus einem Mund. Ständig erlebten sie Rückschläge und Niederlagen. „Doch wir haben einen Traum. Wir wollen Filme machen, wie sie uns gefallen. Das lädt unsere inneren Batterien immer wieder auf“, sagt Atefeh und an der Art, wie ihre Hand ganz leicht die Hand ihres Partners berührt zeigt, dass da auch noch eine andere Energiequelle im Spiel ist.

Filmemachen „lädt unsere inneren Batterien wieder auf“.
Filmemachen „lädt unsere inneren Batterien wieder auf“.

© Sajad Bayeqra

„Ein Künstler ist jemand, der morgens aufwacht und eine fixe Idee hat. Diese gilt es umzusetzen, egal, welche Klippen auf dem Weg lauern. Kunst ist eine Art von Widerstand gegen die Härten des Lebens: politische und persönliche,“ sagt Mehrad. Er erzählt, wie er im Iran mehrere Kurzfilme unter großen Schwierigkeiten endlich produzieren konnte und diese dann verboten wurden, weil sie als zu radikal empfunden wurden. Das machte ihn ein bisschen bekannt, allerdings nur in der begrenzten Kunstszene, und noch dazu musste er bald darauf das Land verlassen.

Erfolg oder Misserfolg? Gemeinsam mit Mehrad und Atefeh versuche ich, ihre Erfahrung und ihr Leben in diese Kategorien einzuordnen. Was denken sie darüber? „Ich denke, dass viele Leute nur auf Äußerlichkeiten schauen, um Menschen einzuordnen. Dabei kann man äußerlich ein Erfolgsmensch sein und innerlich ein zwergenhafter Looser“, sagt Mehrad. Oder andersherum, und das beschreibt ganz gut das Bild, das sie von sich selber haben. Es kommt also nicht darauf an, was andere sehen, sondern was man selbst aus seinem Leben macht. Genau darin, so scheint es mir, liegt ihr ganz persönliches Erfolgsgeheimnis.

Die Autorin stammt aus dem Iran. Sie arbeitet für die Nachrichtenplattform Amal, Berlin!

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