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Mit „Hygiene-Demonstrationen“ fing es an, seither reißen die Verschwörungstheorien rund um die Pandemie nicht ab.

© imago images/Müller-Stauffenberg

Experte Michael Blume über Corona-Demonstrationen: „Wer mitmarschiert, hakt sich bei Antisemiten unter“

Die Stuttgarter Bewegung „Querdenken“ mobilisiert nach Berlin. Welche Ideologien stecken dahinter? Baden-Württembergs Antisemitismusbeauftragter spricht im Interview von „digitalen Sekten“.

Der Religionswissenschaftler Michael Blume ist Baden-Württembergs Antisemitismusbeauftragter und beschäftigt sich seit Jahren mit Verschwörungsmythen. Seit diesem Frühjahr beobachtet er auch die in Stuttgart gegründete „Querdenken“-Bewegung, die am Sonnabend zum zweiten Mal im Berliner Tiergarten aufmarschieren will – das Verbot der Versammlungsbehörde ist am Freitag aufgehoben worden, nachdem die Organisatoren Einspruch eingelegt hatten.

Herr Blume, nachdem „Querdenken“ beim letzten Mal 1,3 Millionen Teilnehmer statt der realen 30.000 verkündete, rechnen Anhänger nun mit bis zu „zehn Millionen Teilnehmern“. Was sagt Ihnen das über diese Bewegung?
Wir haben es hier mit digitalen Sekten zu tun. Gruppen, die glauben, dass sie gerade eine große Verschwörung aufdecken und jetzt unmittelbar vor der Apokalypse stehen. Deshalb müssen sie ständig eskalieren. Um die eigene Anhängerschaft bei Laune zu halten, werden Teilnehmerzahlen stark übertrieben. Das liegt auch am Druck, unter dem die Bewegung steht.

Welchem Druck?
Querdenken ist eng mit QAnon verbunden, dem Verschwörungsglauben, wonach ausgerechnet US-Präsident Donald Trump der Erlöser sei, der die Weltverschwörung zerschlagen wird. Nun läuft es für Trump bekanntlich nicht so gut, er steht mit dem Rücken zur Wand. Umso mehr müssen die Querdenker ihren Aufmarsch in Berlin zu einer Art Endkampf stilisieren. Viele glauben tatsächlich, sie könnten die Bundesregierung stürzen.

Michael Blume hat kürzlich im Patmos-Verlag das Buch „Verschwörungsmythen – woher sie kommen, was sie anrichten, wie wir ihnen begegnen können“ veröffentlicht. Dazu betreibt er den Podcast „Verschwörungsfragen“.
Michael Blume hat kürzlich im Patmos-Verlag das Buch „Verschwörungsmythen – woher sie kommen, was sie anrichten, wie wir ihnen begegnen können“ veröffentlicht. Dazu betreibt er den Podcast „Verschwörungsfragen“.

© Loges + Langen / Promo

Woher kommt die Vorstellung unter „Querdenken“-Anhängern, Deutschland sei eine Diktatur, alle Bürger würden kontrolliert und manipuliert?
Der westliche Verschwörungsglaube geht letztlich auf den Platonismus zurück. Also die Vorstellung, wir seien alle in einer Höhle gefesselt, finstere Gaukler würden uns dort festhalten und uns die Welt vorspielen. Bis ein Befreier kommt, der uns ans Licht führt, zur Wahrheit. Diesem Prinzip folgen Querdenken und QAnon: Ihre Anhänger glauben, sie würden von allen belogen - von sämtlichen demokratischen Politikern, von Medien und Wissenschaftlern. Donald Trump sei gekommen, sie aus der Höhle zu befreien. Sie glauben, wir befänden uns in den letzten Tagen der Herrschaft des Unrechts.

Beim ersten Aufmarsch Anfang August waren viele Teilnehmer aus Baden-Württemberg angereist. Dort ist die Querdenken-Bewegung besonders stark, sie wurde in Stuttgart gegründet. Können Sie das erklären?
Ich denke, das ist kein Zufall. Süddeutscher Platonismus trifft auf norddeutschen Zentralismus. Bei uns breitet sich die Wahrnehmung aus, dass wir in der Bundesregierung kaum noch vertreten sind. Dass Baden-Württemberger in norddeutschen Medien kaum noch vorkommen, solange wir uns nicht wie Boris Palmer benehmen. Und dass wir in Österreich und der Schweiz ernster genommen werden als in Berlin. Dies entschuldigt natürlich nichts, aber es erklärt vieles. Schon Adorno hat gesagt: Faschisten und Antisemiten organisieren sich immer wieder über die vermeintliche Provinz.

Coronaleugner werden oft als „Covidioten“ verhöhnt. Den Begriff lehnen Sie ab.
Verschwörungsgläubige sind nicht dümmer. Es gibt Professoren, Doktoren, hochgebildete Leute, die diese Szene bedienen, anleiten und auch ausbeuten. Es ist ein Kernfehler anzunehmen, Denken sei automatisch gut. Wenn wir diese Leute als „Covidioten“ bezeichnen, begehen wir einen doppelten Fehler: Wir stoßen auch jene zurück, mit denen man noch reden könnte. Und wir unterschätzen, dass es eben auch ein böses, gefährliches Denken gibt. Und genau mit dem haben wir es gerade zu tun. Ich spreche lieber von Covid19-Rücksichtslosen.

Auf Telegram kann man lesen, wen die Qanon-Gläubigen und viele „Querdenker“ für die Hintermänner ihrer angeblichen Weltverschwörung halten: die Rothschilds, George Soros, Zionisten.
Die Bewegung ist ganz klar antisemitisch. Das überrascht mich aber nicht. Im Verschwörungsglauben werden grundsätzlich immer nur die Juden als die Superverschwörer gesehen. Nie die Brasilianer oder die Quäker oder die Muslimbrüder. Das Judentum steht stets an der Spitze der Verschwörungspyramide. Hinzu kommt, dass zur Demo am Wochenende auch noch Rechtsradikale wie die NPD und der Dritte Weg mobilisieren. Ich muss das ganz deutlich sagen: Wer bei dieser Demonstration mitmarschiert, der hakt sich bei Antisemiten unter. Da gibt es nichts zu beschönigen.

Sie haben schon zu Beginn der Pandemie vor einer neuen Eskalation des Antisemitismus gewarnt.
Für alles, was Angst macht, ob das ein Virus ist oder Zuwanderung, braucht es für Verschwörungsgläubige einen Schuldigen. Ich habe das im Irak erlebt, als ich dort ein humanitäres Programm leitete. Selbst in einem Land, in dem ab 1941 alle jüdischen Gemeinden vertrieben wurden, sind Antisemiten fest davon überzeugt, dass an allem, was schief läuft, die vermeintliche jüdische Weltverschwörung schuld wäre. Das haben wir jetzt leider auch wieder in Berlin.

Warum ist das so?
Das Judentum war die erste Religion des Alphabets. Zum ersten Mal gab es nur 30 Buchstaben, im Gegensatz zu allen älteren Schriftsystemen war diese Schrift von jedem Menschen leicht zu erlernen. Mit dem Judentum begann die Vorstellung, dass auch Kinder aus armen Verhältnissen lesen und schreiben lernen sollten. Max Liebermann hatte genau das in seinem Gemälde über den zwölfjährigen Jesus perfekt eingefangen. Für die anderen Völker der Antike war das ein Schock. Im Judentum spielt Bildung eine herausragende Rolle, deshalb stellen Juden seither überdurchschnittlich viele Gelehrte, Ärzte, Nobelpreisträger. In guten Zeiten wurden sie als Heiler geschätzt und aufgesucht, in Pandemiezeiten der Verschwörung und Bereicherung beschuldigt.

In den Foren von Coronaleugnern liest man gelegentlich, Angela Merkel sei Jüdin.
Im antisemitischen Weltbild können alle, die mir nicht passen, als Juden oder deren Mitverschwörer dargestellt werden. Im Irak hieß es, der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan sei Jude. Oder der damalige IS-Chef Abu Bakr al-Baghdadi: Der heiße eigentlich Simon Elliot und komme von CIA und Mossad. Wenn Antisemiten keine Juden haben, erfinden sie sich welche. In Deutschland passiert das regelmäßig Journalistinnen und Kommunalpolitikern. Mir auch, allein schon wegen meines Nachnamens und meiner Ehe mit einer Muslimin. Dass ich Christ bin, wird dann einfach bestritten.

Ich würde mir von Polizei und Justiz ein stärkeres Vorgehen  wünschen.

Michael Blume

Reagiert der Rechtsstaat richtig auf den eskalierenden Judenhass?
Nein, er handelt nicht wehrhaft genug. Ich würde mir von Polizei und Justiz ein stärkeres Vorgehen wünschen. Dass ein Attila Hildmann, der so viele Menschen bedroht und antisemitisch beleidigt, immer noch frei durch Berlin laufen kann, ja sogar noch vom “Spiegel” zum Waldspaziergang eingeladen wird... Unser Rechtsstaat ist noch viel zu zurückhaltend.

Was passiert nach Ende der Pandemie? Ist dann Schluss mit dem Hass?
Erstmal fürchte ich, dass die Lage in den kommenden Monaten weiter eskalieren wird. Auch wegen der US-Wahl. Wenn den Letzten dämmert, dass Donald Trump doch nicht der große Erlöser war, der Befreier aus der Höhle, werden sich einige weiter radikalisieren, das kann auch zu Gewalttaten führen. Und wenn die Pandemie einmal vorbei ist, wird die Klimakrise neues Futter bieten. Wir werden noch einige heftige Jahre vor uns haben, die Republik wird auf eine harte Probe gestellt. Aber ich bin überzeugt, dass die Antisemiten es diesmal nicht schaffen werden, unsere Demokratie zu vernichten. Diesmal nicht.

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