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Glücklich in der neuen Heimat.

© Zeinab Fahramand

Ich bin endlich ich: Aus Afghanistan nach Brandenburg an der Havel

Eine Frau aus reicher Familie flieht nach Deutschland, lebt in einer kleinen Wohnung und arbeitet als Integrationslotsin. Warum das für sie ein Erfolg ist.

Von Zainab Farahmand

„Ich bin Lina aus Afghanistan“: So beginnt der Kommentar, den Lina Hussainzadeh auf Facebook schreibt. Sie regiert auf einen Aufruf, den die Nachrichtenplattform Amal, Berlin! im April dieses Jahres gepostet hat: „Wir suchen Erfolgsgeschichten! In Zeiten, wo in erster Linie über Probleme bei der Integration von Geflüchteten die Rede ist, werden Stories gesucht, die der schlechten Stimmung etwas entgegensetzen. Erfolgsstories. Was mit Erfolg gemeint ist, bleibt absichtlich offen“, stand dort. Lina Hussainzadeh ist eine von knapp hundert Nominierungen. Das Besondere an ihrem Vorschlag: Sie nominiert sich selbst.

Es macht mich sehr glücklich, anderen zu helfen.

Lina Hussainzadeh

In ihrer Nachricht beschreibt sie, wie sie mit ihrer Mutter und ihrer damals einjährigen Tochter vor vier Jahren aus Afghanistan übers Mittelmeer nach Deutschland geflohen ist und dann hier ganz von vorne anfangen musste. Acht Mal fällt das Wort „schwierig“ in ihrer Nachricht und die Nachricht ist recht kurz. Sie endet mit dem Satz: „Jetzt helfe ich anderen, damit das Leben für sie nicht mehr schwierig ist. Ich bin sehr glücklich, weil ich weiß, dass ich die Klippen überwunden habe“.

Die Klippen überwunden: Lina Hussainzadeh.
Die Klippen überwunden: Lina Hussainzadeh.

© Zainab Fahramand

Lina Hussainzadeh wohnt in Brandenburg an der Havel. Die 26-Jährige trägt das Haar offen und blond. Die Kleidung Ton in Ton, dezentes Make-up. Lina Hussainzadeh hat eine große Handtasche bei sich, das Handy immer in Sichtweite. Sie ist Integrationslotsin bei einem freien Träger, der Name sei hier lieber nicht genannt. Sie hilft Menschen, die neu nach Deutschland kommen bei der Wohnungs- und Jobsuche, hilft beim Ausfüllen von Anträgen, begleitet Menschen zum Arzt. „Ich habe das selbst alles durchgemacht und es macht mich glücklich, dass ich anderen helfen kann, nicht die gleichen Probleme zu haben wie ich.“

Lina Hussainzadeh lädt zu einem Spaziergang ein. Brandenburg im Sonnenschein. Als wir zum Wasser kommen, beginnt sie von ihrer Mutter zu erzählen. Ihre Mutter war mit ihr auf der Flucht. Als sie gerade ins Schlauchboot einsteigen sollten und sie ihrer Mutter ihre kleine Tochter reichte, entdeckte die Mutter, dass ein Schuh des Babys am Strand geblieben war, und sie schickte ihre Tochter zurück. „Es war ein kritischer Moment, weil es gleich losgehen sollte, aber ich habe trotzdem getan, was sie gesagt hat und es ist alles gut gegangen. Ich glaube an ihre Intuition“, sagt sie. Bei der Erinnerung muss sie lachen.

Von nun an galt ihr Name nichts mehr

„Meine Mutter ist mein großes Vorbild. Wenn ich nicht mehr weiter weiß, überlege ich, was sie an meiner Stelle machen würde“, sagt Hussainzadeh. In Afghanistan sei zwar ihr Vater dem Namen nach das Familienoberhaupt gewesen, doch ihre Mutter habe das Sagen gehabt und die Belange der Familie geregelt. Lina Hussainzadeh konnte zur Universität gehen und hat mehrere Erzählbände verfasst, mit denen sie sich einen Namen machen konnte. Dann allerdings heiratete sie einen einflussreichen Mann aus noch einflussreicherer Familie. Von nun an galt ihr Name nichts mehr, nur noch seiner.

„Egal, wo ich hinkam, man hat nie mich als Person gesehen, immer zählte nur der Name der Familie.“ Irgendwann hält sie es nicht mehr aus und verlangt die Scheidung. Eine schwierige Angelegenheit und der berühmte letzte Tropfen, weshalb sie sich entscheidet, den gefährlichen Weg der Flucht auf sich zu nehmen. Sie, ihre Mutter und ihr Baby machen sich auf den Weg.  

„Oft werde ich gefragt, wo ich die Stärke hernehme, all diese Dinge zu schaffen und meine Antwort ist: Ich bekomme sie, wenn ich meine Mutter anschaue. Nicht, weil meine Mutter stark ist, aber weil sie klare Prioritäten hat und sehr hartnäckig ihre Ziele verfolgt!“, so Hussainzadeh. Der Anfang in Deutschland war schwer: „Wir haben nichts verstanden. Die Sprache nicht und die Menschen auch nicht. Wir hatten eine schlimme Zeit in der ersten Unterkunft, ich suchte eine Wohnung, konnte aber keine finden. Es war eine feindliche Umgebung. Erst als es mir gelang, eine Wohnung in Brandenburg an der Havel zu finden und die Ausbildung zur Integrationslotsin begann, wurde es besser.“ Sie wird gebraucht und sie kann etwas tun.

Lina Hussainzadeh wird gebraucht  - als Integrationslotsin.
Lina Hussainzadeh wird gebraucht - als Integrationslotsin.

© privat

Manchmal bekomme sie Hilfe-Anrufe sogar mitten in der Nacht. „Das muss ich meinen Kunden noch abgewöhnen“, sagt sie streng. Es ist ihr jedoch anzumerken, dass sie nicht unzufrieden ist mit ihrer Rolle: „Tatsächlich macht es mich glücklich. Alle paar Tage bekomme ich mit, dass ich ein Problem gelöst habe, das eine geflüchtete Familie belastet hat. Das ist ein tolles Gefühl!“

Oft entstünden die Probleme dadurch, dass die Menschen sich an Wertvorstellungen festklammerten, die sie aus der Heimat mitgebracht hätten. „Viele afghanische Männer finden, dass sie ihre Frauen hier behandeln sollten wie daheim. Die Frauen sollen zum Beispiel nicht arbeiten. Damit kommen sie nicht weit und es gibt viele Probleme. Das versuche ich ihnen klarzumachen“, sagt sie.

Lina macht einen zufriedenen Eindruck. „Was mir am besten gefällt, ist, dass sich hier niemand dafür interessiert, aus was für einer Familie ich komme. Meine einflussreiche Schwiegerfamilie in Afghanistan ist hier völlig egal“, sagt sie. So stelle sie sich oft einfach nur mit ihrem Vornamen vor. So wie sie es in der Nachricht auf der Facebookseite von „Amal, Berlin!“ getan hat. „Ich bin Lina aus Afghanistan!“. Für sie ist das Erfolg.     

Die Autorin ist selbst aus Afghanistan geflüchtet. Sie arbeitet für die Nachrichtenplattform „Amal, Berlin!“

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