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Mensch und Maske.

© mauritius images / Westend61 / Giorgio Magini

Tagesspiegel Plus

Corona und Berliner Grundschulen: Die „psychischen Deformationen“, die es aufzufangen gilt

Berlins Grundschüler müssen keine Maske mehr im Unterricht tragen. Ein Psychologe erklärt, welche Folgen die Maskenpflicht haben könnte.

Endlich, freuen sich die einen, nachdem die Maskenpflicht hinter der Stadtgrenze bereits im August entfiel. Zu früh, warnen andere, weil Reisen während der Herbstferien das Infektionsgeschehen befeuern könnten. Ein kontroverses Thema, zu dem sich viele lieber nur vorsichtig äußern. Besonders zu der Frage, wie die lange Tragepflicht Kinder verändert haben könnte.

Die schärfste Kritik an der Maske käme überdurchschnittlich oft von Großeltern, sagt Heinz-Peter Meidinger, Präsident des deutschen Elternverbandes. Die Kinder selbst dramatisierten am wenigsten, hätten ein eher rationales Verhältnis zur Maskenpflicht, als kleinerem Übel gegenüber Schulschließungen. Durch Pausen und Kontakte am Rande der Schule ließen sich Beziehungen unmaskiert aufbauen. „Es ist ja nicht so, dass sie ihre Banknachbarn nicht kennen.“ Dennoch spricht auch Meidinger von „psychischen Deformationen“, die es aufzufangen gelte.

Welche Schäden kann es verursachen, wenn Kinder nicht mehr durch ein Lächeln ermutigt werden können? Es liegt auf der Hand, dass es zu Missverständnissen kommt. Sorgen bereiten auch jene Kinder, denen bereits in Schuluntersuchungen ein verzögerter Spracherwerb attestiert wurde.

Eine ursächlich auslösende Störung sei in der Maske nicht zu erkennen, heißt es aus dem Bundesverband für Logopädie, wo man nicht namentlich genannt werden will. Es sei sogar möglich, dass sich die Artikulation verbessert, wenn gegen den Widerstand des Vliesstoffs gesprochen wird.

Mundschutz kam auch Ängsten von Kindern entgegen

Kinder seien recht anpassungsfähig, meint Matthias Siebert, Vorsitzender des Landesverbandes Schulpsychologie. Es sei ihnen häufig gut gelungen, sich mit den Belastungen der Tragepflicht zu arrangieren. Oft hätte sie der Gedanke beschäftigt, die eigenen Eltern anzustecken. Da kam der Mundschutz Ängsten entgegen. Negativ fiel Siebert auf, dass die Maskenpflicht teilweise von Eltern instrumentalisiert wurde, um ihre Kinder im Haus zu behalten.

Von einer „riesigen Zunahme der psychischen Belastungen“ spricht Matthias Siebert auch bei Lehrkräften. Er warnt aber davor, sich im Geflecht der Coronamaßnahmen auf die Maske zu versteifen, im Ende der Tragepflicht gar eine Art Heilsversprechen zu sehen. Die Auseinandersetzung mit Abstandsgeboten, Luftfilteranlagen und Masken gehören für den Psychologen auch zu Bewältigungsstrategien und Fixierungen, um der eigenen Hilflosigkeit Aufgabenfelder zu geben.

Vielen fällt es schwer, zu einer gesunden Distanz zurückzufinden

Gerade in Bezug auf die Maske waren die Maßnahmen für viele Kinder widersprüchlich. Warum durfte man sich in volle Busse stellen, wenn gleichzeitig die Reittherapie verboten blieb?

Manche werden ihren Mundschutz wohl aufbehalten, vermutet Matthias Siebert. Sozialer Druck, Ängste, die sich nicht leicht abbauen. Man habe in der Pandemie Menschen durch ihre bloße Anwesenheit als lebensbedrohlich wahrgenommen. Es fällt schwer, aus der erlernten Distanz zu einer gesunden Nähe zurückzufinden.

Die Aufhebung der Maskenpflicht könnte laut Siebert „ein kleines Signal der Zuversicht senden, dass wir alle gemeinsam gut durch die Zeit gehen“. Da dürfte es auch wieder unruhiger werden in Berliner Klassenzimmern, denn „vielleicht war die Maske auch ein Dämmfilter für Lautstärke“.

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