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Blick durch die Kolonnaden in den Kleistpark, vorn die Gedenktafel für die Opfer des nationalsozialistischen „Volksgerichtshofs“, der auch im Kammergericht tagte, das hinten zu sehen ist.

© Kitty Kleist-Heinrich

Nazis, Dichter, Antifaschisten: Der Kleistpark ist ein Berliner Ort voller Geschichte und Geschichten

Vor 110 Jahren wurde der frühere Botanische Garten in Schöneberg als Heinrich-von-Kleist-Park neu eröffnet – am 100. Todestag des Namensgebers.

Von Markus Hesselmann

| Update:

In der Erzählung „Kleist, Moos, Fasane“ schreibt Ilse Aichinger von einer Kleistgasse, „die vielleicht deshalb so hieß, weil nichts darin an Kleist erinnerte oder weil niemand, der dort wohnte, etwas von ihm wusste. Und das wäre ja Grund genug.“ Denn die Sache war klar – zumindest für die Kinder, die aufwuchsen in dem Straßengeflecht, das einen bleibenden Erinnerungsort für sie markierte. „Daß Kleist mit Fasanen zusammenhing, mit Moos und mit der Bahn, wer hätte es sich träumen lassen, wenn nicht er selber und die Kinder dieser Gegend, die in der Moosgasse wohnten, in der Fasangasse, in der rechten und linken Bahngasse.“

Was lässt der Kleistpark uns träumen? Was hängt da womit zusammen? Potsdam, Elßholz, Pallas, Grunewald: Klingt als Kindheitserinnerung auch nicht schlecht und begrenzt einen Ort, der Berliner und deutsche Geschichte erzählt. Ich habe einige Menschen, die mit dem Kleistpark auf verschiedene Art zu tun haben und in Berührung kamen, nach ihrer Verbindung zu dem Areal, dessen Geschichte und dessen Namensgeber gefragt.

Kleist-Wandgemälde in der Grunewaldstraße in Berlin-Schöneberg, am Kleistpark.
Kleist-Wandgemälde in der Grunewaldstraße in Berlin-Schöneberg, am Kleistpark.

© imago images / Steinach

„Dieser Ort gleicht einem Geschichtsbuch, dessen Seiten aufgeschlagen werden können, je nachdem was man erkunden möchte“, schreibt mir Bodo Förster. „Der Kleistpark war immer ein besonderer Ort in der Nachbarschaft der Sophie-Scholl-Schule, wo ich drei Jahrzehnte als Geschichts- und Politiklehrer tätig war.“ Und wo er Führungen veranstaltet hat. „Mein Schwerpunkt und Spezialgebiet waren die Orte des Nationalsozialismus und danach.“ Über die NS-Zwangsarbeiter:innen, die in der zum Lager umfunktionierten Schule untergebracht waren und den Hochbunker in der Pallasstraße bauen mussten, hat er mit anderen ein Buch herausgebracht („Ich war in Eurem Alter, als sie mich abholten!“), das antiquarisch immer noch zu haben und sehr lesenswert ist.

Ein Ort und ein Dichter der Nationalsozialisten - und der Antifaschisten

Seit dem 21. November 1911, dem 100. Todestag Heinrich von Kleists, ist dieser Berliner und deutsche Ort nach einem Dichter benannt, der den Nationalsozialisten vor allem wegen seiner patriotischen, antinapoleonischen Dramen „Prinz von Homburg“ und „Die Hermannsschlacht“ als „Deutschester der Deutschen“ galt. Und auch der Kleistpark ist durch das Zwangsarbeiterlager in der Pallasstraße, die Zentrale der „Deutschen Arbeitsfront“ in der Potsdamer Straße und nicht zuletzt das Kammergericht in der Elßholzstraße, einem der Tagungsorte des „Volksgerichtshofs“, mit dem Nationalsozialismus verbunden.

Doch wie der Dichter steht der nach ihm benannte Ort für so viel mehr – auch für den Antifaschismus. Von Bertolt Brecht und Anna Seghers bis Günter Kunert und Christa Wolf: Der Autor des „Michael Kohlhaas“ eignete sich immer auch für Literarisch-Emanzipatorisches. Der Kleistpark wurde nicht nur zum Erinnerungsort mit der Benennung der früheren Augustaschule nach der Widerstandskämpferin Sophie Scholl oder den Gedenk-Inschriften für die im Kammergerichtsgebäude zum Tode Verurteilten – neben vielen anderen Julius Leber, der in Schöneberg, nur wenige hundert Meter weiter, getarnt als Kohlehändler, den Widerstand mitorganisiert hatte. Nach dem Krieg zog der Alliierte Kontrollrat ins Kammergericht ein. Den Auftrag zur Sanierung und Neugestaltung des Parks erhielt der Landschaftsarchitekt Georg Pniower, der von den Nazis als „Halbjude“ verfolgt worden war und Zwangsarbeit leisten musste.

Bravouröse Neugestaltung - die nicht gepflegt wurde

Bettina Bergande hat sich eingehend mit dem Kleistpark und Pniowers Wirken befasst: „Mich verbindet mit dem Kleistpark die Beschäftigung im Rahmen meiner gartendenkmalpflegerischen Planungen für Teile des Kleistparks und für den Botanischen Garten Berlin.“ Mit ihrer Kollegin Gabriele Schulz hat sie das Kapitel über den Heinrich-von-Kleist-Park in dem Buch „Gartendenkmale in Berlin: Parkanlagen undStadtplätze“ geschrieben, einer Veröffentlichung des Landesdenkmalamts. Mit der Geschichte des Ortes verbinde sie, dass es zur Zeit der Anlage des Kleistparks noch einen Gartendirektor für Berlin gab, Albert Brodersen, der für alle Grünanlagen zuständig war und auch selber gestalten konnte.

„Vor allem verbinde ich aber damit, dass es die Alliierten und nicht die Deutschen waren, die nach dem Krieg als erste den bedeutenden und von den Nazis mit Berufsverbot belegten Gartenarchitekten Georg B. Pniower mit einer Neugestaltung, des Kleistparks, beauftragt haben, was dieser in kürzester Zeit mit Bravour löste.“ Die Gestaltung Pniowers sei aber lange Zeit nicht gepflegt und erhalten worden, so dass die Wälle, die den Park zu den seitlichen Parkplätzen für Militärfahrzeuge abschirmen sollten, zugewuchert sind.

In Berlin ist den Hobby-Naturschützern die Bewahrung des gartenkulturellen Erbes ein Graus.

Bettina Bergande, Landschaftsarchitektin und Denkmalpflegerin

„Ursprünglich konnte man oben auf den Wällen an Skulpturen entlang spazieren und von den Sitzplätzen aus über Staudenpflanzungen an den Hängen auf die große Wiese schauen. Das kann man wahrscheinlich nie wieder restaurieren, weil in Berlin den Hobby-Naturschützern die Bewahrung des gartenkulturellen Erbes ein Graus ist. Es könnte ja etwas Grünes gerodet werden.“ Auch vor dem Hintergrund interessant wird, in welche Richtung die Planungen der angekündigten Sanierung des Parks jetzt anlaufen. Erste Ideen werden bereits diskutiert, interessierte Bürger:innen können sich einbringen.

Mit Heinrich von Kleist verbindet Bettina Bergande in diesem Zusammenhang nur, dass zufällig im Jahr der Fertigstellung sein 100. Todestag war und er deshalb Namensgeber wurde. „Ich hätte den Park Adelbert-von-Chamisso-Park genannt. Er war zugleich Dichter, Naturforscher, Botaniker und Kustos am Botanischen Garten und wohnte auch ganz in der Nähe.“

Der Kleistpark verrät seine Geschichte nicht auf den ersten Blick - das macht ihn umso reizvoller und typisch für Berlin.

Andrea Kerner, Anwohnerin und Kulturmanagerin

Eine Anwohnerin, die Kulturmanagerin Andrea Kerner, mag gerade das Unspektakuläre des Parks. „Er verrät seine Geschichte nicht auf den ersten Blick - das macht ihn aber in meinen Augen umso reizvoller und typisch für Berlin. In dieser Stadt gibt es so viele Orte, deren wechselhafte Geschichte(n) sich nicht auf den ersten Blick erschließen, sondern einladen, einzutauchen, nachzuforschen und sich schrittweise vertraut zu machen.“

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Mit dem Ort verbindet Andrea Kerner in erster Linie die „,Kinder vom Kleistpark’, die mit Liedern aus aller Welt große wie kleine Musikfreunde begeistern“ und für die sie einige Jahre die Pressearbeit machte. „Dass der Kleistpark ursprünglich der Botanische Garten Berlins war, habe ich erst später gelernt, auch dass im Kammergericht an der Elßholzstraße, einst der Volksgerichtshof sein Unwesen trieb und das Viermächte-Abkommen über Berlin unterzeichnet wurde.“ Einen Zusammenhang zum Namensgeber sieht sie nicht, ihre persönliche Verbindung Kleist ist eine berufliche: „Bei meiner ersten Regiehospitanz ging es um den ,Zerbrochenen Krug’, gleich danach durfte ich eine Amazone im Heer der ,Penthesilea’‘, dem für mich spannendsten Drama überhaupt, spielen und an einigen szenischen Lesungen über das Leben und Wirken Kleists teilnehmen.“ Ihr Lieblingstext von Kleist sei „Das Bettelweib von Locarno“, eine Erzählung, „die mich heute noch tief berührt“.

Henriette Vogel mit dem „bekannten Kleist“ unterwegs Richtung Wannsee

Sibylle Nägele und Joy Markert haben sich als Autorin und Autor des 2011 in erweiterter Auflage erschienenen Buchs „Die Potsdamer Straße. Geschichten, Mythen und Metamorphosen“ mit dem Kleistpark befasst. Zudem veranstalten sie Führungen und Salons, letzteres derzeit pandemiebedingt erschwert. Gefragt, was aus ihrer Sicht Ort und Namensgeber verbindet, antworten sie: „Das mag womöglich die einzige Beziehung des Dichters Kleist zum Kleistpark sein: Als er mit Henriette Vogel am Mittag des 20. November 1811 auf der Straße nach Potsdam vorbeifuhr, mit drei Pistolen im Gepäck. Ob er sich da wohl an einen Besuch im Botanischen Garten erinnerte?“ Tags darauf erschoss Kleist, dem „auf Erden nicht zu helfen war“ (Kleist über Kleist), seine Freundin Henriette Vogel und sich selbst am Kleinen Wannsee. Der „bekannte Kleist und ich“ befänden sich „in einem sehr unbeholfnen Zustande, indem wir erschossen da liegen, und nun der Güte eines wohlwollenden Freundes entgegen sehn, um unsre gebrechliche Hülle, der sichern Burg der Erde zu übergeben“, hatte Henriette Vogel kurz zuvor an einen Freund geschrieben, der sich um die Bestattung der beiden kümmern sollte, die dann am Kleinen Wannsee erfolgte.

Das Porträt, das Wilhelmine und Auguste von Preußen mit deren Tochter Marie Frederica am Botanischen Garten in Schöneberg zeigt, dem späteren Kleistpark, hat Kleists Zeitgenosse Friedrich Bury gemalt. Den Hintergrund, in dem Berlin in der Ferne zu erkennen ist, hat der Landschaftsmaler Janus Genelli beigesteuert.
Das Porträt, das Wilhelmine und Auguste von Preußen mit deren Tochter Marie Frederica am Botanischen Garten in Schöneberg zeigt, dem späteren Kleistpark, hat Kleists Zeitgenosse Friedrich Bury gemalt. Den Hintergrund, in dem Berlin in der Ferne zu erkennen ist, hat der Landschaftsmaler Janus Genelli beigesteuert.

© Friedrich Bury, Public domain, via Wikimedia Commons

Zu Kleists Zeiten und noch bis 1899, als es in Schöneberg zu eng wurde und Dahlem mehr Platz bot, war der spätere Kleistpark Berlins Botanischer Garten. In Kleists „Berliner Abendblättern“ wird dieser Ort am 18. Oktober 1810 erwähnt. „Auf dem, vom Herrn Genelli gemalten Hintergrunde erscheint von der Süd-West-Seite, etwa vom Botanischen Garten aus, die Stadt Berlin mit ihren Thürmen, wie sie eben von schweren, dunklen Wolken, die über ihr gelegen haben, verlassen zu werden scheint.“ Die Rede ist von einem Werk des Porträtmalers Friedrich Bury, das Wilhelmine und Auguste von Preußen mit deren Tochter Marie Frederica unter einer Palme zeigt und für das der Landschaftsmaler Janus Genelli den Hintergrund schuf. Es lässt erahnen, wie die Distanz zwischen Botanischem Garten und Stadt Berlin seinerzeit empfunden wurde.

Wir denken an den Dichter und Naturforscher Adelbert von Chamisso und fragen uns, warum der Park nicht nach ihm benannt wurde

Sibylle Nägele und Joy Markert, Buchautor:innen

Zu Kleists Abendblättern steuerte ein Zeitgenosse mit Bezug zum Botanischen Garten eine wichtige Nachricht bei, indem er 1810 von Paris aus auf die Flucht der napoleonkritischen Schriftstellerin Germaine de Staël nach der Konfiszierung ihres Werks „Über Deutschland“ hinwies: Adelbert von Chamisso, der deutsch-französische Autor des „Peter Schlemihl“, der seinen Schatten verkaufte und daraufhin von seinen Mitmenschen gemieden und heimatlos wurde.

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„Wir denken an den Dichter und Naturforscher Adelbert von Chamisso und fragen uns, warum der Park eigentlich nicht nach ihm benannt wurde“, schreiben Sibylle Nägele und Joy Markert. „Immerhin hat er an die 19 Jahre lang an diesem Ort gearbeitet, war ab 1819 Kustos am Herbarium und Botanischen Garten. Er hat hier die Ausbeute seiner botanischen Sammlungen, die er von einer dreijährigen Weltumseglung mitbrachte, wissenschaftlich aufgearbeitet, viele Exponate von ihm sind heute noch im (neuen) Botanischen Museum zu finden.“ Am damaligen Königlich Botanischen Museum und heutigen Haus am Kleistpark in der Grunewaldstraße wird mit einer Gedenktafel an Chamisso erinnert. Die Elßholzstraße ist übrigens nach Johann Sigismund Elßholz benannt, der 1679 den Hof- und Küchengarten anlegte, der ab 1718 als Botanischer Garten bezeichnet wurde.

Baumsterben im Kleistpark, Klimakrise im Kiez

Trauer empfinden Sibylle Nägele und Joy Markert über die aktuelle Stadtnatur, über das Baumsterben im Kleistpark: „Wir sind schockiert, dass ein rot-grün regierter Bezirk nicht alles tut, um die alten Bäume im Kleistpark zu retten. Zum Beispiel durch Gießen.“ Aus der Presse hätten sie erfahren, dass aus Kostengründen seit den 1990-er Jahren die Hydranten im Kleistpark stillgelegt seien. Immerhin überlege das Bezirksamt nun, ob man diese Hydranten vielleicht wieder in Betrieb nehmen sollte. „Nach 30 Jahren!“

Sinnbild des Naturverlusts ist für Sibylle Nägele und Joy Markert die Fällung eines besonderen Gewächses. „Unser geliebter Kletterbaum im Kleistpark war immer voller Kinder und Spatzen, die abwechselnd und miteinander zwitscherten“. Laut Senats-Website entstammte die spitzblättrige Rotbuche dem alten Botanischen Garten. 2019 wurde sie gefällt. „Taz“-Autorin Sunny Riedel verfasste einen „Nachruf auf einen Kletterbaum“, Obertitel: „Klimawandel vor der Haustür“, denn der plötzliche Tod des alten Baumes galt als Folge des Dürresommers.

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„Kleist ist in seinen Novellen und Dramen ein Krisen- und Katastrophenspezialist“, schreibt sein Biograf Günter Blamberger mit Blick auf den Umbruch nach 1789 zu Lebzeiten Kleists, um dann den Kleist-Preisträger Albert Ostermaier zu zitieren: „Angesichts der Probleme und existenziellen Gefährdungen Kleists sind unsere Probleme lächerlich.“

Ein Satz von 2003, der 18 Jahre später, zu Pandemiezeiten und mitten in der Klimakrise, die sich zusehends zur Klimakatastrophe ausweitet, schon überholt wirkt und Kleist aktueller erscheinen lässt als manche seiner dichterischen Nachfahren.

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