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© imago / Fotostand

Tagesspiegel Plus

Und dann kam Corona: Welche Pläne wir seit einem Jahr aufschieben

Dem Kind das Meer zeigen, mit Opa seinen 80. feiern, auf Ibiza heiraten? Fehlanzeige. Corona macht seit einem Jahr viele Striche durch viele Rechnungen. Zwölf durchkreuzte Pläne aus zwölf Monaten Pandemie.

Von Tagesspiegel- Autor:innen

Naja, und dann kam halt Corona.“ So enden momentan fast alle Erzählungen. Dabei hatten wir so viel vor in den vergangenen Monaten. Wir wollten die Babys von Freunden kennenlernen, die Nächte durchtanzen, mit dem Rucksack durch Patagonien reisen. Aber die weltweite Ausbreitung des Virus ließ uns fast alles aufschieben, abermals und abermals. Aber irgendwann, da wird alles nachgeholt. Doppelt und dreifach. Zwölf aufgeschobene Pläne aus zwölf Monaten Pandemie.


Impfen statt Feiern

Nicht gefeiert: Opas 80.
Nicht gefeiert: Opas 80.

© privat

Meine beiden Großväter haben einiges durch in ihrem Leben: Krieg und Nachkriegszeit, auch Hunger, Sozialismus und Mauerfall, Nachwendejahre und mich als Enkelin, war bestimmt nicht immer leicht. Dass auf ihre alten Tage noch ein Virus kommt, kann nur heißen, dass sie ihre Katastrophen-Stempelkarten nun vollgemacht haben. Dabei hätte letztes Jahr groß gefeiert werden sollen, beide wurden 80, der erste im Januar. Die Feier sollte ausnahmsweise im Sommer stattfinden, mehrere Zimmer in einem Hotel am See sind schon im Winter reserviert worden, ich sollte eine kleine Rede auf ihn halten, wünschte sich Opa.

Im ersten Lockdown hatten wir noch etwas Hoffnung, dass es möglich sein würde, die runden Geburtstage im Sommer zu feiern. Nacheinander wurden sie abgesagt, denn selbst, wenn man draußen gesessen hätte: So viel Risikogruppe auf einem Haufen wäre zu keinem Zeitpunkt vernünftig gewesen. Das Januar-Geburtstagskind ist mittlerweile 81. Einen neuen Termin für die Feier gibt es nicht, denn wer verlässt sich noch auf Termine? Doch, vielleicht auf diesen: Beide haben gerade ihre Einladung zum Impfen bekommen. Ein Grund zum Feiern, nicht erst am nächsten runden Geburtstag. (Angie Pohlers)


Schreibtisch statt Delirium

Nicht begossen: Den Masterabschluss.
Nicht begossen: Den Masterabschluss.

© imago / momentphoto/Röhner

Es hätte die Sause des Jahres werden sollen. Monatelang hatte ich nichts anderes getan, als Tag für Tag an meinem Schreibtisch zu sitzen. Für die Masterarbeit wälzte ich Pierre Bourdieus Werke zur französischen Klassengesellschaft und stürzte mich in statistische Methodenlehre. Nach Jahren des Studiums wollte ich es mir im Frühjahr 2020 so richtig gut gehen lassen. Jedes Wochenende stand ein anderer Berliner Club auf der Liste, die meine Kommilitoninnen und ich in Momenten der Prokrastination akribisch angefertigt hatten. Wir wollten Berlin in vollen Zügen genießen, von Späti zu Späti ziehen, die Nacht zum Tag machen und wieder zur Nacht. Weg mit dem intellektuellen Habitus, ab ins Delirium! Stattdessen ging es wieder an den hauseigenen Schreibtisch. Das Delirium muss jetzt bis 2022 warten. (Corinna Cerruti)


Vermehren statt Heiraten

Nicht getraut: Hochzeit am Strand.
Nicht getraut: Hochzeit am Strand.

© mauritius / Blend Images / Aleksandr Kuzmin

Es gibt etwas, das ist noch toller, als Freunde auf Ibiza zu haben: Freunde auf Ibiza zu haben, die dort ihre Hochzeit feiern wollen. So richtig groß, mit Freunden und Familie von überall her – und natürlich dem wilden alten Berliner Haufen. Aber dann: kam Corona. Erst wurde die Hochzeit vom Frühling in den Oktober verschoben. Dann wieder auf diesen Frühling. Und nun auf unbestimmte Zeit. Aber die Freunde auf Ibiza wären nicht die Freunde auf Ibiza, wenn sie sich von Corona die Gazpacho versalzen ließen. Sie kriegen jetzt einfach erstmal ein Kind.
(Constanze Nauhaus)


Zillertal statt Patagonien

Nicht beklettert: argentinische Berge.
Nicht beklettert: argentinische Berge.

© mauritius / Westend61 / Uwe Umstätter

Morgens aufwachen, den Campingkocher anschmeißen und mit dem ersten Kaffee in der Hand dabei zusehen, wie die Sonne hinter dem Fitz Roy aufgeht. Seit vielen Jahren träume ich von mehreren Wochen wandern und klettern rund um El Chaltén, dem Outdoor-Eldorado im südlichen Argentinien. Im Herbst 2020 sollte es endlich losgehen, die Flüge waren schon fast gebucht – und dann durchkreuzte ein Virus die Reisepläne.

Statt am Cerro Torre kletterte ich im Frühherbst im österreichischen Zillertal, auch dort gibt’s immerhin den Blick auf schneebedeckte Gletscher. Aber die Weite, die Unberührtheit, die fehlt. Seither versuche ich, der verschobenen Reise etwas Gutes abzugewinnen: Vielleicht gibt es in einer Zeit kurz nach Corona die einmalige Gelegenheit, ohne die – mittlerweile wohl recht großen – übrigen Tourist:innenmassen Patagonien zu erkunden. Und die Wahrscheinlichkeit, dass die Gletscher noch eine Weile erhalten bleiben, steigt mit sinkendem CO2-Ausstoß auch. (Madlen Haarbach)


Christian Drosten statt Hofrat Behrens

Nicht gelesen: Thomas Mann’s „Zauberberg“ (der auch verfilmt wurde).
Nicht gelesen: Thomas Mann’s „Zauberberg“ (der auch verfilmt wurde).

© picture alliance

Selbst das, was aufgrund von Lockdowns, Sichbeherbergenlass-Verboten, gesparter Arbeitswege und Pyjama-Dresscode nun wirklich möglich hätte sein sollen, hat sich als unrealistisch erwiesen. Ich hatte mir vorgenommen, noch einmal den „Zauberberg“ von Thomas Mann zu lesen. Denn als Wissenschaftsredakteur arbeitet man in einer Zeit, in der Wissenschaft so wichtig und so kontrovers ist wie selten – und so unsicher wie immer – natürlich besonders viel, ohne dass es je genug wäre. Die tägliche Lektüre besteht nicht aus Belletristik, sondern aus Forschungsartikeln und Artikeln über Forschungsartikel. Und zwei kleine Kinder zuhause zu betreuen, wenn beide Eltern voll berufstätig sind, erinnert zwar auch nicht unbedingt an ein Sanatorium mit Extraportionen Butter und täglicher Liegekur.

Die Lockdown-, Homeoffice- und Homeschooling-Welt im Drei-Generationen-Haushalt hat sich trotzdem als eine eigene Art Zauberberg entpuppt. Der Müßiggang ist zwar gestrichen. Die Settembrinis und Naphtas aber kommen heute eben über Twitter und TikTok, genauso wie Hofrat Behrens, der nun eben Spahn heißt, und Dr. Krokowski alias Drosten. Und aus Frau Stöhr wird Klaus Stöhr. Wer Clawdia Chauchat ist, kann ich hier jetzt leider nicht verrraten. Vielleicht später, denn man sollte das alles mal aufschreiben. Irgendwann. (Richard Friebe)


Timmendorfer Strand statt USA

Nicht besucht: Freunde hinterm Ozean.
Nicht besucht: Freunde hinterm Ozean.

© mauritius / Blend Images / Pete Saloutos

Das mit der lang geplanten Wohnungsrenovierung direkt vor dem Frühling klappte noch besser als erwartet. Obwohl die Schatten schon erkennbar waren und täglich dunkler wurden. Plötzlich legten die Malermeister einen Affenzahn vor und wurden viel früher fertig als erwartet. „Flug buchen“ stand auf der To-do-Liste für den Tag, als alles wieder ordentlich war. Im Kopf war die Reise schon durchgeplant, erst New York, dann Maryland, dann Arizona. Endlich wieder mit den all den lieben Freunden zusammen sein, in den alten Lieblingsrestaurants essen, das eine oder andere Kunstwerk besuchen, nach interessanten Büchern Ausschau halten, wandern gehen. Auch ein bisschen Shopping sollte sein, weil in den USA Cocktailkleider oft so viel günstiger sind als hier.

Plötzlich wurden die Menschen aus aller Welt heimgeholt aus ihren Urlaubsorten. Eine Freundin aus Washington schrieb mir, wie sie es auf den letzten Drücker aus einem Dorf in der Nähe von Sarajevo noch heim geschafft hatte. An eine Flugbuchung war nicht mehr zu denken. Dafür hatte ich reichlich Gelegenheit, meine Expertise in stundenlangen transatlantischen Telefongesprächen auszubauen. Aus vier Wochen USA wurden im Laufe des Sommers vier Tage Timmendorfer Strand. Was man mit Cocktailkleidern anfängt, hatte ich bis dahin schon fast vergessen. (Elisabeth Binder)


Videocall statt Knuddeln

Nicht bekuschelt: das Baby der Freundin.
Nicht bekuschelt: das Baby der Freundin.

© mauritius / Alamy / Cavan Images

Etwa ein halbes Jahr vor dem ersten Lockdown zog eine meiner besten Freundinnen, die vorher nur ein paar hundert Meter von mir entfernt gewohnt hatte, nach Frankreich. Plötzlich trennte uns nicht mehr nur der Gleisdreieckpark, sondern ein paar tausend Kilometer. Wir nahmen uns vor, uns regelmäßig zu besuchen, ich wollte im Sommer 2020 den Anfang machen. Schließlich wollte ich ihr zweites Kind kennenlernen, das im Dezember 2019 auf die Welt gekommen war. Und es meiner Zweitgeborenen „vorstellen“, die nur ein dreiviertel Jahr älter ist. Inzwischen hat das Baby längst seinen ersten Geburtstag gefeiert, meine Kleine wird bald zwei und gesehen haben wir uns alle nur über Videotelefonie. Wenn man endlich wieder reisen kann, schaffen wir es hoffentlich bald, uns zu besuchen. (Daniela Martens)


Stapeln statt Tauschen

Nicht losgeworden: Klamotten.
Nicht losgeworden: Klamotten.

© imago / Revierfoto

Vor der Pandemie gab es einmal im Monat an einem Sonnabend eine tolle Möglichkeit, gebrauchte Kinderkleidung auf nachhaltige Weise loszuwerden – den Kinderkleidertausch in einem Kreuzberger Familienzentrum. Das war äußerst praktisch, man brachte etwas hin, was nicht mehr gebraucht wurde, und nahm dafür etwas anderes mit. Und auch für mich selbst war ich vor dem Lockdown gern bei Kleidertausch-Veranstaltungen für Erwachsene, von denen vor der Pandemie immer mehr in Berlin organisiert wurden. Zum Beispiel in netten Cafés und Bars, wo man zu guter Musik Neues in Altem findet. Inzwischen stapeln sich bei mir die Bodies, kleinen Hosen und T-Shirts. Ich freue mich schon sehr auf den ersten Tausch nach der Pandemie. (Daniela Martens)


Bildschirm statt Menschen

Nicht kennengelernt: Kommilitonen.
Nicht kennengelernt: Kommilitonen.

© dpa / Britta Pedersen

Das Jahr zog vorbei, die Pandemie blieb und plötzlich war es November. Ich begann mein Masterstudium, doch das erste Semester sollte, entgegen der ersten Ankündigungen des Studiendekans, nur online stattfinden. Den Winter über saß ich also vor meinem Computer und starrte in den Vorlesungen und Seminaren in 40 mir fremde Gesichter. Über die kleinen Kacheln auf dem Bildschirm versuchte ich immer wieder zu verstehen, wer und wie die Personen sind, die dort vor den Kameras sitzen. Doch so richtig lernt man sich über Videocalls eben nicht kennen. Nun soll mindestens auch das Sommersemester nicht in Präsenz stattfinden – zum großen Bedauern aller. Doch sobald es geht, bin ich gespannt darauf, meine Kommilitonen mal live und in Farbe zu sehen und die Menschen hinter ihren Bildschirmen kennen zu lernen. (Louise Otterbein)


Youtube statt Nordseewellen

Nicht dem Kind gezeigt: das Meer.
Nicht dem Kind gezeigt: das Meer.

© mauritius / Pitopia / Claudia EVANS

Wenn ich jemandem erklären sollte, warum es mir so wichtig ist, meinem Kind das Meer zu zeigen, braucht es eigentlich ein Lied. Die Worte des plattdeutschen Heimat-Klassikers „Wor de Nordseewellen“ beschreiben es ganz gut: „Dor is mine Heimat, dor bün ik to Hus.“ Aus diesem Grund vielleicht schenkte mir eine Verwandte im Herbst 2019 einen Gutschein für einen Kurzurlaub mit meinem Kind, am Meer. Ich wollte den Gutschein bis Ostern 2020 einlösen, wenn an den Stränden noch etwas weniger los wäre. Dann kam der erste Lockdown – und mit ihm immer mehr Fragezeichen. Ich verschob die Pläne auf Mai.

Wir hätten natürlich auch eine Tagestour zur Ostsee machen können. Immerhin stammen sowohl das sogenannte „Friesenlied“ als auch seine ursprüngliche Autorin Martha Müller-Grählert eigentlich von dort. Aber mitten in der Pandemie stundenlang in den Öffentlichen sitzen, mit einem Kleinkind, das gerne Scheiben ableckt – nein danke. Und das „Meer“, das ich ihm zeigen möchte, ist ja auch das, an dem ich selbst als Kind Urlaub gemacht habe: die Nordsee, mit Ebbe und Flut und Robben auf den Sandbänken, Deichen und Wattwanderungen. Bei einem Tag am Meer denke ich an den endlosen Strand von Sankt Peter Ording oder die Ruhe auf den ostfriesischen Inseln.

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Als mit dem zweiten Lockdown erneut unabsehbar wurde, wann Urlaubsreisen wieder möglich sein würden, ertappte ich mich eines Abends beim Hören von schmetternden Shanty-Chören, deren Reiz ich als Kind nie verstehen konnte, und mir wurde - wie den Alten damals – ganz wehmütig bei dem Gedanken an Wellen, Weite und Seeluft. Aber nicht ohne Hoffnung: Dieses Jahr wird es klappen! Mein Kind ist in einem Alter, in dem man sich stundenlang am Strand mit Buddeln und dem Herumtragen von Sand und Wasser beschäftigen kann – und ich bin mittlerweile in der besten Verfassung, um stundenlang einfach nur zuzusehen und ansonsten nichts zu tun außer Meeresrauschen und Möwengeschrei zu lauschen. (Rilana Kubassa)


Familie statt Workshop

Nicht erfahren: sich selbst.
Nicht erfahren: sich selbst.

© mauritius / Alamy / Sasa Blagojevic

Vor einigen Jahren bekam ich von meiner Mutter einen Gutschein für einen Selbsterfahrungs-Workshop. 2020 wollte ich das Geschenk endlich einlösen. Das Seminar sollte in einem kleinen Schloss in den französischen Wäldern stattfinden. Im grauen Februar schaute ich mir in meinen Mittagspausen also immer wieder das Programm für den Sommer an, konnte mich jedoch nicht so recht entscheiden. Vielleicht hatte ich auch etwas Hemmung, Kurse mit Titeln wie „Finde die Kraft deiner inneren Stimme“ und „Von Inspiration zu Kreation“ zu buchen.

Bevor ich mich entscheiden – und überwinden – konnte, kam Corona, kam der erste Lockdown, und ich zog für drei Monate wieder zu meiner Familie, auch eine Art der Selbsterfahrung. Nach dieser langen Zeit der gefühlten Isolation kann ich es kaum erwarten, den Workshop irgendwann nachzuholen, endlich mal wieder auf fremde Menschen zu treffen – und vielleicht sogar etwas über mein Selbst zu erfahren. (Louise Otterbein)


Zoomen statt Durchmachen

Nicht betanzt: das „Kumpelnest“ in Schöneberg.
Nicht betanzt: das „Kumpelnest“ in Schöneberg.

© imago / Charles Yunck

Zu Nicht-Pandemie-Zeiten verhält es sich in Berlin häufig so: Man könnte ja noch abends weggehen, muss man aber nicht. Denn morgen ist auch noch ein Tag, ein Abend oder eine Nacht. Wenn man sich aber zu Corona-Zeiten nicht mit Freund:innen sieht, weil man sich und vulnerable Angehörige vor einer Virusinfektion schützen will, bleiben nur Telefon oder Zoom-Treffen. Vor kurzem entwickelte sich während einer virtuellen Begegnung eine muntere Diskussion über Kneipen, Bars, Clubs und die Frage, wann Mann oder Frau sich das letzte Mal in dem einen oder anderen Etablissement aufgehalten hat. Schnell keimte der Vorsatz auf, dass man sich nach Impfung und Öffnung nächtlicher Vergnügungsstätten auf jeden Fall (!) im legendären „Kumpelnest“ in Schöneberg treffen müsse. Eine durchtanzte Nacht dort mit Freunden, morgens aus dem Laden stolpern, eine Sonnenbrille aufziehen und gut gelaunt mit dem Taxi nach Hause fahren! Coole Sache! (Sabine Beikler)

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